Entscheidungsstichwort (Thema)

Postdienstzeit. Tätigkeit für das MfS

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. Senatsurteile vom 28. Mai 1998 – 6 AZR 618/96 – und vom 29. Januar 1998 – 6 AZR 300/96 – beide zur Veröffentlichung vorgesehen.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: DDR; TV Ang-O §§ 16-17; Übergangsvorschriften zu TV Ang-O § 16 Nr. 1 Buchst.a; ZPO § 565 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 22.04.1996; Aktenzeichen 7 Sa 1249/95)

ArbG Leipzig (Urteil vom 02.11.1995; Aktenzeichen 6 Ca 5668/95)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 22. April 1996 – 7 Sa 1249/95 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Dauer der Postdienstzeit des Klägers.

Der Kläger war seit dem 1. Mai 1970 bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR beschäftigt. Er war am Fernmeldeamt Leipzig zunächst als Leiter des Kabelmeßdienstes, vom 1. Januar 1973 bis zum 30. August 1975 als Abteilungsleiter des Technischen Dienstes Kabel und ab dem 1. September 1975 als Stellvertreter Technik des Leiters des Fernmeldeamts tätig. Vom 1. November 1984 bis zum 30. September 1990 war er Leiter des Fernmeldeamtes …. Nach Herstellung der deutschen Einheit wurde er von der Rechtsvorgängerin der Beklagten übernommen. Zur Zeit arbeitet er als Sachbearbeiter im Bauherrenreferat in der Dienststelle der Beklagten … Leipzig. Auf sein Arbeitsverhältnis finden aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost Anwendung.

Durch Tarifvertrag Nr. 401 e über die Anerkennung früherer Beschäftigungszeiten für die Angestellten im Beitrittsgebiet vom 5. Februar 1992 wurde – soweit hier von Bedeutung – folgende Regelung über die Postdienstzeit in den TV Ang-O aufgenommen:

㤠16

Postdienstzeit

(1) Postdienstzeit ist die bei der Deutschen Bundespost/Deutsche Post und der Landespostdirektion Berlin in einem Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist; …

Übergangsvorschriften:

1. für Zeiten vor dem 1. Januar 1991

Von der Berücksichtigung als Postdienstzeit sind ausgeschlossen

a) Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),

Von einer Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen sind auch Zeiten, die vor einer Tätigkeit im Sinne der Buchst. a, b und c zurückgelegt worden sind.

…”

Die Beklagte berücksichtigte zunächst als Postdienstzeit die Zeit seit dem 1. Mai 1970. Mit Schreiben vom 31. August 1993 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: Bundesbeauftragter) der Beklagten mit, daß der Kläger auf Karteikarten des MfS unter dem Decknamen „K.” als „GMS” (Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit) geführt worden sei. Die dazugehörige Akte sei zur Zeit nicht auffindbar. Aufgrund der vorhandenen Karteierfassung könne nicht gesagt werden, in welchem Umfang und mit welcher Intensität der Kläger für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gearbeitet habe.

Die Beklagte hörte den Kläger am 26. April 1994 zum Inhalt des Berichts des Bundesbeauftragten an. Dabei bestritt der Kläger jede Form einer Zusammenarbeit mit dem MfS. Er habe nach seiner Berufung zum Leiter des Fernmeldeamtes dienstlichen Kontakt mit Vertretern der dortigen MfS-Kreisdienststelle gehabt. Themen dieser Unterhaltungen seien Fragen der Ordnung und Sicherheit im Post- und Fernmeldewesen, Geheimnisschutz sowie Fragen zur Besetzung von Arbeitsplätzen, Strukturfragen und Probleme der Versorgung und Materialbeschaffung gewesen. Derartige Unterhaltungen hätten etwa vier bis fünfmal pro Jahr stattgefunden, und zwar auch vor der in jedem Herbst stattfindenden Sicherheitskonferenz, an der auch immer der stellvertretende Leiter der MfS-Kreisdienststelle teilgenommen habe. Die Gespräche hätten stets im Dienstzimmer des Fernmeldeamtes stattgefunden, nie außerhalb des Dienstgebäudes. Zu keinem Zeitpunkt sei er eine schriftliche Verpflichtung eingegangen, das MfS bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Auch der in der Kartei angegebene Deckname sei ihm völlig unbekannt.

Die Beklagte setzte daraufhin mit Vermerk vom 22. April 1994 den Beginn der Dienstzeit des Klägers auf den 3. Oktober 1990 fest. Hiergegen richtet sich die Klage.

Der Kläger hat behauptet, er sei nicht für das MfS tätig gewesen und habe sich zu einer solchen Tätigkeit auch nicht verpflichtet. Aus dem Bericht des Bundesbeauftragten lasse sich nichts Gegenteiliges herleiten. Aus der Existenz der Karteikarten könne weder auf eine Tätigkeit für das MfS noch auf die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung geschlossen werden.

Der Kläger hat den Antrag gestellt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, seine Postdienstzeit gemäß § 16 TV Ang-O und Dienstzeit gemäß § 17 TV Ang-O ab dem 1. Mai 1970 anzuerkennen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, schon der Umstand, daß der Kläger beim MfS als Gesellschaftlicher Mitarbeiter geführt worden sei, lasse auf eine Tätigkeit für das MfS schließen. Bei der Kontaktaufnahme mit Führungsoffizieren habe sich der Kläger zu einer entsprechenden Zusammenarbeit verpflichtet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Zeit der Tätigkeit des Klägers vom 1. Mai 1970 bis zum 3. Oktober 1990 sei von der Berücksichtigung als Postdienstzeit nach Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O ausgeschlossen, weil der Kläger während dieser Zeit mit dem MfS zusammengearbeitet habe. Unter der Tätigkeit sei jegliche bewußte und gewollte (finale) Mitarbeit für das MfS anzusehen. Der Kläger habe von Ende 1984 bis 1989 Informationen aus seinem Arbeitsbereich an das MfS weitergegeben. Die jeweiligen Mitarbeiter des MfS hätten sich dem Kläger auch als solche zu erkennen gegeben, so daß diesem bewußt gewesen sei, daß er die Stellung eines Informanten gegenüber dem MfS wahrnimmt. Dabei könne es unentschieden bleiben, ob der Kläger tatsächlich eine mündliche oder schriftliche Verpflichtungserklärung abgegeben habe.

II. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts lag eine Tätigkeit für das MfS in der Regel nicht vor, wenn der Angestellte in Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten dem MfS Auskünfte über dienstliche Angelegenheiten erteilte. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger für das MfS in einem Umfang tätig war, der über die Wahrnehmung dienstlicher Belange seines Arbeitgebers hinausging, oder ob er eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS abgegeben hat. Der Rechtsstreit war daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Gem. Ziff. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O sind von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen Zeiten jeglicher Tätigkeit für das MfS/AfNS. Damit sind sowohl die hauptamtliche Tätigkeit als auch die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter erfaßt. Nach dem Tarifwortlaut kommt es weder darauf an, wie die Tätigkeit geartet war, insbesondere, welchen „Unrechtsgehalt” sie aufwies, noch ist der Umfang der Tätigkeit maßgebend. Allerdings muß es sich um eine bewußte und gewollte Tätigkeit für das MfS gehandelt haben (Senatsurteile vom 29. Februar 1996 – 6 AZR 381/95 – AP Nr. 1 zu § 16 TV Ang Bundespost, zu 2 b der Gründe und vom 29. Januar 1998 – 6 AZR 360/96 – (zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1 der Gründe).

Um eine Tätigkeit für das MfS handelte es sich jedoch in der Regel nicht, wenn der Angestellte dem MfS in Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung Auskünfte über dienstliche Angelegenheiten erteilte. Diese dem Arbeitgeber geschuldete Tätigkeit kam zwar letztlich dem MfS zugute, der Angestellte erbrachte sie jedoch nicht „für” das MfS, sondern „für” seinen Arbeitgeber. Anders könnte der Fall zu beurteilen sein, wenn der Angestellte das MfS in einem seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen übersteigenden Umfang unterrichtet hätte, da insoweit keine Tätigkeit für den Arbeitgeber mehr vorgelegen hätte, sondern allein eine solche für das MfS (vgl. heutiges Senatsurteil in der Sache – 6 AZR 618/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Nach diesen Grundsätzen, die der erkennende Senat im vorgenannten Urteil, auf das er Bezug nimmt, näher erläutert hat, durfte das Landesarbeitsgericht nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen nicht annehmen, der Kläger sei im Tarifsinne für das MfS tätig gewesen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger dienstliche Berührungspunkte mit Mitarbeitern des MfS. Aus der persönlichen Anhörung des Klägers vom 7. März 1994 ergibt sich, daß dieser gegenüber Mitarbeitern des MfS Informationen aus seinem Arbeitsbereich erteilt hat. Der Kläger hat bestätigt, etwa vier bis fünfmal im Jahr von Mitarbeitern des MfS aufgesucht worden zu sein und über Fragen der Ordnung und Sicherheit im Post- und Fernmeldewesen gesprochen zu haben. Diese Kontakte des Klägers mit Mitarbeitern des MfS waren keine Tätigkeit für das MfS im Sinne der tariflichen Bestimmung. Der Kläger war zu dieser Zusammenarbeit mit den Organgen der Staatssicherheit der DDR seinem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet. Darüber hinausgehende Tätigkeiten für das MfS hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Es wird in der neuen mündlichen Verhandlung den bisherigen Vortrag der Beklagten, den diese unter Beweis gestellt hat, würdigen müssen.

3. Das Landesarbeitsgericht hat auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS abgegeben hat, obwohl die Beklagte auch dies unter Beweisantritt vorgetragen hat. Diese Frage ist entscheidungserheblich, wenn keine Tätigkeiten des Klägers für das MfS festgestellt werden, die über rein dienstlich bedingte Kontakte hinausgingen. Die Verpflichtung zur informellen/inoffiziellen Mitarbeit für das MfS erfüllt allein den Ausschlußtatbestand der Übergangsvorschrift Nr. 1 Buchst. a zu § 16 TV Ang-O. Dies hat der Senat durch Urteile vom 29. Januar 1998 (– 6 AZR 300/96 – und – 6 AZR 507/96 – beide zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, auf deren Begründungen er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt. Zur Darlegungs- und Beweislast für die Abgabe einer Verpflichtungserklärung hat der Senat sich in dem bereits genannten heutigen Urteil in der Sache – 6 AZR 618/96 – geäußert, auf das auch insoweit Bezug genommen wird.

III. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Reimann, Gebert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1127009

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