Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Revision wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bestätigung von BAG 19. Februar 2002 – 3 AZR 105/00 – EZA ZPO § 233 Nr. 54
Leitsatz (redaktionell)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist nur zu gewähren, wenn der Prozessbevollmächtigte ohne sein Verschulden an der Fristeinhaltung verhindert war.
Normenkette
ArbGG § 74 Abs. 1 S. 1 aF; ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 234 Abs. 1; EGZPO § 26 Nr. 7
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 07.11.2001; Aktenzeichen 10 Sa 90/00) |
ArbG München (Urteil vom 21.12.1999; Aktenzeichen 17 Ca 8723/99) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 7. November 2001 – 10 Sa 90/00 – wird als unzulässig verworfen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Altersversorgung des Klägers.
Der am 26. Juni 1938 geborene Kläger war seit dem 11. Januar 1971 bei der Beklagten, zuletzt als Angestellter im Werkdienst, beschäftigt. Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung in Form einer Eigenversorgung, die auf Tarifverträgen zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr beruht. Die bis zum 31. Dezember 1997 geltende Fassung der “Örtlichen Tarifvereinbarung Nr. A 21” sah vor, daß nach zehn Dienstjahren das Ruhegeld 50 % des versorgungsfähigen Einkommens beträgt und mit jedem weiteren Dienstjahr um je 1,5 % bis zur Obergrenze von 80 % des versorgungsfähigen Einkommens steigt. Durch die zum 1. Januar 1998 in Kraft getretene “Örtliche Tarifvereinbarung Nr. C 74” wurde die Tarifbestimmung zu den Ruhegeldsätzen geändert. Zwar sollte nach zehn Dienstjahren nach wie vor das Ruhegeld 50 % betragen, es sollte jedoch je weiteres Dienstjahr nur noch um 1,25 % bis zum Höchstsatz von 75 % des versorgungsfähigen Einkommens gesteigert werden. Mit Wirkung zum 3. September 1998 wurde der Eigenbetrieb der Beklagten in die Stadtwerke M… GmbH umgewandelt. Nach dem dazu am 3. September 1998 abgeschlossenen Personalüberleitungs-Tarifvertrag blieb die Beklagte Versorgungsschuldnerin.
Durch Auflösungsvertrag schied der Kläger zum 31. März 1999 aus dem Arbeitsverhältnis bei der Stadtwerke M… GmbH aus und bezieht seitdem eine Betriebsrente von der Beklagten. Deren Höhe berechnete die Beklagte mit dem jährlichen Steigerungssatz und der Versorgungsobergrenze gemäß der Tarifvereinbarung Nr. C 74.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der seit dem 1. Januar 1998 geltende geringere Steigerungssatz und die seither geltende Höchstbetragsgrenze dürfe bei der Berechnung seiner Betriebsrentenansprüche nicht für alle zurückgelegten Dienstjahre zugrunde gelegt werden. Bei den bis zum 31. Dezember 1997 erworbenen Betriebsrentenanwartschaften handele es sich um eigentumsgleiche Rechtspositionen, in die rückwirkend nicht eingegriffen werden dürfe. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes begrenze insoweit die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien. Die Anwendung der neuen Regelungen führe zu einer monatlichen Minderung seiner Rente in Höhe von ca. 330,00 DM. Es fehle an einem dringenden betrieblichen Grund, um in seine erworbenen Rechtspositionen derart einzugreifen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß seine Betriebsrente auf der Basis eines Steigerungsfaktors von 1,5 % statt 1,25 % pro Beschäftigungsjahr für die Zeit bis 31. Dezember 1997 zu berechnen ist unter Zugrundelegung einer Höchstgrenze von 80 % statt 75 % des versorgungsfähigen Einkommens.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ihrer Auffassung nach ist die Tarifvereinbarung Nr. A 21 durch die Tarifvereinbarung Nr. C 74 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 wirksam abgeändert worden. Es gelte die Zeitkollisionsregel. Die neue Regelung verstoße weder gegen das Grundgesetz noch gegen zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts. Die allenfalls in Betracht kommende unechte Rückwirkung sei zulässig, wenn die Normadressaten noch mit einer Änderung der Rechtsvorschriften rechnen müßten. Die Abänderung der tariflichen Regelung sei verhältnismäßig gewesen. Sie sei in der Harmonisierung der Altersversorgungssysteme und der Angleichung an die Beamtenversorgung begründet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 7. November 2001, dem Kläger zugestellt am 13. März 2002, zurückgewiesen.
Die hiergegen zugelassene Revision hat der Kläger am Montag, 15. April 2002 eingelegt und mit Schriftsatz vom 10. Juni 2002, beim Bundesarbeitsgericht am 10. Juni 2002 per Fax und am 11. Juni 2002 im Original eingegangen, begründet. Zugleich hat er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung hat er vorgetragen, in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten sei die Rechtsanwaltsfachangestellte S… E… für die Führung des Fristenkalenders und die Eintragung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen zuständig. Die Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 17. April 2002 über den Eingang der Revisionsschrift vom 15. April 2002 sei am 18. April 2002 in der Kanzlei des Klägervertreters eingetroffen. Frau E… habe diese Post entgegengenommen, geöffnet, jedoch aus nachträglich nicht mehr nachvollziehbaren Gründen weder die Revisionsbegründungsfrist berechnet noch in den Fristenkalender eingetragen. Erst nach Eingang des weiteren gerichtlichen Hinweises vom 17. Mai 2002 über die ausgebliebene Revisionsbegründung am 27. Mai 2002 sei der Fehler entdeckt worden. Als gelernte Fachkraft mit siebenjähriger Berufserfahrung habe Frau E… die Eintragung und Überwachung von Fristen stets zuverlässig ausgeführt. Regelmäßige Kontrollen durch den Prozeßbevollmächtigten hätten zu keinen Beanstandungen geführt. Nach fast zweijähriger Mitarbeit in der Kanzlei sei erstmals eine Rechtsmittelfrist übersehen und nicht eingetragen worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG aF begründet worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist nicht zu gewähren, weil der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht ohne sein Verschulden an der Fristeinhaltung verhindert war (§ 233 aF iVm. § 85 Abs. 2 ZPO).
Die Revision ist nicht innerhalb der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG aF begründet worden.
1. Im Streitfall ergeben sich die Fristen für die Revisionseinlegung und -begründung aus § 74 Abs. 1 ArbGG in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung. Das durch die Revision angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts erging auf Grund der am 7. November 2001 geschlossenen mündlichen Verhandlung. Gemäß § 26 Nr. 7 EGZPO gelten die am 31. Dezember 2001 geltenden Vorschriften der ZPO für ein Revisionsverfahren weiter, wenn die mündliche Verhandlung, auf die das anzufechtende Urteil ergeht, vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist. Zwar enthält das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887 ff.), durch das § 74 Abs. 1 ArbGG abgeändert wurde, für die Änderungen des ArbGG keine Übergangsvorschriften. Gleichwohl ist anzunehmen, daß die neuen Regelungen des arbeitsgerichtlichen Revisionsverfahrens zeitgleich mit den Regelungen der ZPO in Kraft treten sollten, da nur so vermieden werden kann, während einer Übergangszeit im selben Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht einerseits die neuen ArbGG-Bestimmungen, andererseits noch die alten ZPO-Regelungen zur Anwendung zu bringen (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 72 Rn. 2; Schmidt/Schwab/Wildschütz NZA 2001, 1217, 1227).
2. Dem Kläger ist das angefochtene Urteil vom 7. November 2001 am 13. März 2002 zugestellt worden. Dagegen hat er fristgerecht Revision mit Schriftsatz vom Montag, 15. April 2002, per Fax am selben Tag und im Original einen Tag später beim Bundesarbeitsgericht eingegangen, eingelegt. Infolgedessen hätte die Revisionsbegründung spätestens am Mittwoch, 15. Mai 2002 beim Bundesarbeitsgericht eingehen müssen, § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG aF iVm. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Die am 10. Juni 2002 bei Gericht eingegangene Revisionsbegründung ist daher nicht rechtzeitig erfolgt.
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
1. Die Wiedereinsetzung ist rechtzeitig im Sinne von § 234 Abs. 1 ZPO beantragt worden. Die zweiwöchige Antragsfrist hat mit der Zustellung des Hinweises des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Mai 2002 am 27. Mai 2002 zu laufen begonnen. Sie ist mit dem am Montag, 10. Juni 2002 eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag gewahrt.
2. Der Kläger hat die Revisionsbegründungsfrist nicht auf Grund des individuellen Versagens einer ansonsten als zuverlässig bekannten Rechtsanwaltsfachangestellten versäumt. Entscheidend war das Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Weder dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten noch der zur Glaubhaftmachung beigefügten Eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten E… ist zu entnehmen, daß in der Anwaltspraxis andere Vorkehrungen für die Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist getroffen worden wären als deren Berechnung und Eintragung in den Fristenkalender nach Eingang der Bestätigung des Revisionsgerichts über die Revisionseinlegung. Demnach hat der Klägervertreter sein Büropersonal nicht angewiesen, die voraussichtliche Frist für die Revisionsbegründung bereits bei Absendung der Revisionsschrift im Fristenkalender zu vermerken.
Es gehört zu den Organisationspflichten eines Rechtsanwalts, selbst oder durch entsprechende Anweisungen an geschultes und zuverlässiges Büropersonal dafür Sorge zu tragen, daß bei oder nach Absendung der Rechtsmittelschrift die nach bisherigem Recht von deren Einreichung abhängige voraussichtliche Frist für die Rechtsmittelbegründung sofort festgehalten wird (BAG 30. Mai 2001 – 4 AZR 271/00 – AP ZPO 1977 § 233 Nr. 74 = EzA ZPO § 233 Nr. 52, zu II 2a der Gründe; BGH 9. Januar 2001 – VIII ZB 26/00 – VersR 2001, 1132, zu IV der Gründe; 6. Mai 1997 – VI ZB 12/97 – VersR 1997, 1118, zu II 1 der Gründe; 21. Oktober 1987 – IVb ZB 158/87 – NJW 1988, 568). Die Pflicht, nach Eingang der gerichtlichen Empfangsbestätigung diese Fristeintragung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, ergänzt diese notwendige Vorkehrung, ersetzt sie aber nicht. Erst die Kombination beider Maßnahmen erfüllt den hohen Sorgfaltsmaßstab, den ein Rechtsanwalt im Hinblick auf die Bedeutung der Einhaltung prozessualer Fristen zu wahren hat. Der Verpflichtung zur Notierung der vorläufigen Frist bereits bei Absendung der Revision kommt nicht nur die Funktion zu, die Einhaltung der Frist für den Fall zu sichern, daß keine Eingangsmitteilung des Gerichts eingeht. Sie stellt gleichzeitig eine Sicherung gegen Fehler bei der Notierung der Frist bei Eingang der Empfangsbestätigung des Gerichts dar. Sie führt dazu, daß die Frist – jedenfalls als vorläufige – im Fristenbuch eingetragen ist, auch wenn bei Eingang der gerichtlichen Empfangsbestätigung die Frist – wie hier – versehentlich nicht eingetragen oder fehlerhaft berechnet und eingetragen wird (BAG 19. Februar 2002 – 3 AZR 105/00 – EzA ZPO § 233 Nr. 54).
3. Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beruht auch auf diesem Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers. Ein schuldhaftes Fehlverhalten steht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nur dann entgegen, wenn es für die Fristversäumung ursächlich geworden ist. Gibt es mehrere schuldhaft gesetzte Ursachen für die Fristversäumung, hindert ein erstes Fehlverhalten die Wiedereinsetzung auch dann, wenn die zweite Ursache mitursächlich gewesen ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die zweite Ursache im Sinne einer überholenden Kausalität zum Tragen gekommen ist, die erste sich also auf die Fristversäumung letztlich nicht ausgewirkt haben kann (BAG 30. Mai 2001 – 4 AZR 271/00 – AP ZPO 1977 § 233 Nr. 74 = EzA ZPO § 233 Nr. 52, zu II 2b aa der Gründe). Danach ist von einer Mitursächlichkeit des beim Prozeßbevollmächtigten des Klägers liegenden Organisationsverschuldens auszugehen, die nicht durch das individuelle Fehlverhalten seiner Mitarbeiterin bei der Führung des Fristenkalenders überholt worden ist. Das Organisationsverschulden des Klägervertreters hat dazu geführt, daß im Fristenkalender bei Absendung der Revisionsschrift keine vorläufige Frist für die Revisionsbegründung eingetragen worden ist. Bei pflichtgemäßer Anweisung durch den Prozeßbevollmächtigten des Klägers hätte die Rechtsanwaltsfachangestellte andernfalls bereits am 15. April 2002, dem Tag der Absendung der Revisionsschrift auf dem Postweg und per Fax, den 15. Mai 2002 als vorläufige Frist für die Revisionsbegründung in den Fristenkalender eingetragen. Dies hätte dazu geführt, daß dem Prozeßbevollmächtigten die Akte spätestens am 15. Mai 2002 mit dem Hinweis auf den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hätte vorgelegt werden müssen. Damit wäre in jedem Fall die Handakte dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers rechtzeitig vor Fristablauf am 15. Mai 2002 vorgelegt worden und dies unabhängig von dem späteren Fehler der Mitarbeiterin, die endgültige Revisionsbegründungsfrist nicht zu vermerken. Da Vorkehrungen für eine doppelte Sicherung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist getroffen werden müssen, reicht es für die Kausalität des Verschuldens des Prozeßbevollmächtigten des Klägers aus, daß eine der Sicherungen durch das Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten nicht eingerichtet worden ist, auch wenn für die Fristversäumung mitursächlich war, daß die einzig tatsächlich organisierte Sicherung wegen eines der Partei nicht zurechenbaren Fehlers der Rechtsanwaltsfachangestellten nicht gegriffen hat.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Reissner, Schoden
Fundstellen