Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstzeit. Grundwehrdienst bei DDR-Grenztruppen
Leitsatz (redaktionell)
Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats aus den Urteilen vom 23. Juni 1994 (– 6 AZR 911/93 – BAGE 77, 137, 145 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR) und vom 30. März 1995 (– 6 AZR 340/94 – n.v.).
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: DDR; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 13. März 1997 – 1 Sa 83/96 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 13. Dezember 1995 – 7 Ca 466/93 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die vom Kläger bei den Grenztruppen der DDR zurückgelegte Grundwehrdienstzeit als Dienstzeit anzurechnen ist.
Der am 12. Februar 1940 geborene Kläger war seit dem 1. September 1954 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Deutschen Reichsbahn, beschäftigt. In der Zeit vom 4. April 1962 bis zum 23. Oktober 1963 leistete er seinen Grundwehrdienst bei einer Grenzbrigade der Nationalen Volksarmee (NVA), die fünfwöchige Grundausbildung beim Grenzregiment. Danach wurde der Kläger als Funker bei der. Grenzbrigade in R. eingesetzt. Unmittelbar nach der Entlassung aus dem Grundwehrdienst setzte der Kläger seine Tätigkeit bei der Deutschen Reichsbahn fort. Mit Wirkung zum 1. Januar 1994 wurde das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte übergeleitet. Zum 31. Januar 1996 schied der Kläger aus dem Arbeitsverhältnis aus und befindet sich seitdem im Vorruhestand.
Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung die für die Arbeitnehmer der DB AG geltenden Tarifverträge Anwendung. Die maßgeblichen Tarifbestimmungen lauten auszugsweise wie folgt:
„Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der DB AG (MTV)
§ 4
Zugehörigkeit zur DB AG
(1) Als Zeit der Zugehörigkeit zur DB AG gelten Zeiten, die in einem ständigen Arbeitsverhältnis
a) bei der DB AG
…
zurückgelegt wurden.
Tarifvertrag über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur DB AG übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV)
§ 22
Vorzeiten
(1) Sofern bei der DB AG der Anspruch auf tarifvertragliche Leistungen eine Zeit der Zugehörigkeit zur DB AG voraussetzt (z.B. Jubiläum, Vermögenswirksame Leistungen), sind auch die Zeiten, die bei den Rechtsvorgängern der DB AG in einem ständigen Arbeitsverhältnis zurückgelegt oder angerechnet wurden, zu berücksichtigen.
…
Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Reichsbahn vom 30. September 1992 (AnTV-DR)
§ 12
Dienstzeit
(1) 1. Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) ist die in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis bei der Deutschen Reichsbahn zurückgelegte Zeit.
…
3. Ist der Angestellte aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus einem der vorstehend genannten Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisse ausgeschieden, so besteht kein Anspruch auf Anrechnung der vor dem Ausscheiden liegenden Zeiten als Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit).
…
4. Von der Berücksichtigung als Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) sind ausgeschlossen
…
b) Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR,
…
(2) 1. Die allgemeine Dienstzeit umfaßt die Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) (Abs. 1) und die nach den Nrn. 2–6 anzurechnenden Zeiten, soweit sie nicht schon als Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) berücksichtigt sind.
…
4. Von der Anrechnung der nach Nr. 3 erbrachten Zeiten einer Tätigkeit als allgemeine Dienstzeit sind ausgeschlossen:
- Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zur informeller/inoffizieller Mitarbeit),
- Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR,
- Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen war.
…
6. Anzurechnen sind ferner die Zeiten des Wehrdienstes im Soldatenverhältnis in der Bundeswehr (aktive Dienstpflicht, Übungen und freiwilliges Dienen),…
Den Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr stehen Zeiten des Grundwehrdienstes in der NVA (einschließlich Baueinheiten) sowie Zeiten in den kasernierten Einheiten der Volkspolizei und der Transportpolizei soweit sie der Ableistung des Grundwehrdienstes entsprachen, gleich. Abs. 2 Nr. 4 gilt.
Ausführungsbestimmungen
…
Zu Abs. 1 Nr. 4:
2. Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR sind nicht ausgeschlossen, wenn der Angestellte nach der Einberufung als Wehrpflichtiger zu den Grenztruppen der DDR dort nur die Grundausbildung geleistet hat und im unmittelbaren Anschluß daran von Grenztruppendienst freigestellt/vorzeitig entlassen worden ist, um bei der DR wieder Arbeit im Lokfahrdienst, Zugbegleitdienst, Fahrdienstleiterdienst, Stellwerksdienst oder Rangierdienst zu leisten. Der Angestellte muß hierüber einen lückenlosen Nachweis führen.
…”
Der Anwenderhinweis Nr. 3 zu § 22 Abs. 1 ÜTV lautet wie folgt:
„Zeit der Zugehörigkeit zur DB AG
…
Rechtsvorgänger der DB AG sind die Deutsche Bundesbahn sowie die Deutsche Reichsbahn als Sondervermögen des Bundes.
…
Die Zeit in einem ständigen Arbeitsverhältnis mit der DR unmittelbar vor der Leistung des Grundwehrdienstes bei den ehemaligen Grenztruppen der DDR ist zu berücksichtigen, wenn sich ein ständiges Arbeitsverhältnis mit der DR unmittelbar nach Abschluß des Grenztruppendienstes anschloß. Die Zeit des Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen selbst bleibt ausgeschlossen. …”
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten setzte den Beginn der Dienstzeit des Klägers zunächst auf den 24. Oktober 1963, den Tag der Wiederaufnahme des Dienstes nach Beendigung des Grundwehrdienstes, fest. Im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 19. April 1994 auch die vor dem Grundwehrdienst geleistete Beschäftigungszeit des Klägers bei der DR (im folgenden: Vordienstzeit) als Dienstzeit an und änderte deren Beginn auf den 21. März 1956. Die Zeit des Grundwehrdienstes vom 4. April 1962 bis zum 23. Oktober 1963 rechnete die Beklagte auf die Dienstzeit nicht an. Bei einer Berücksichtigung dieser Zeit hätte dem Kläger die Jubiläumszuwendung nach 40jähriger Zugehörigkeit zum Unternehmen der Beklagten zugestanden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auch die Grundwehrdienstzeit sei als Dienstzeit zu berücksichtigen. Er sei nicht Angehöriger der Grenztruppen der DDR im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR gewesen. Er habe seinen Grundwehrdienst bei der NVA geleistet. Die Grenztruppen seien damals eine Untergliederung der NVA gewesen und erst 1972/73 als eigenständige Formation „Grenztruppen der DDR” aus der NVA herausgelöst worden. Außerdem verstoße die tarifliche Schlechterstellung der bei den Grenztruppen abgeleisteten Grundwehrdienstzeit gegenüber einer solchen bei der NVA gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die unterschiedliche Verwendung der Wehrpflichtigen im Rahmen des Grundwehrdienstes sei kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung, da der einzelne Wehrpflichtige hierauf keinen Einfluß habe nehmen können. Auch die Rücksichtnahme auf die Opfer der von den Grenztruppen begangenen Menschenrechtsverletzungen rechtfertige die unterschiedliche Behandlung nicht. Aus der Ausführungsbestimmung Nr. 2 zu § 12 Abs. 1 Nr. 4 AnTV-DR ergebe sich, daß die Tarifvertragsparteien nicht von einer einheitlich negativen Bewertung der Grenztruppenzugehörigkeit ausgegangen seien. Schließlich relativiere die nachträgliche Anrechnung der Vordienstzeiten durch die Beklagte das Opferschutzargument.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte dem Kläger die Zeit vom 4. April 1962 bis zum 23. Oktober 1963 als Dienstzeit im Sinne des § 12 AnTV-DR anzurechnen hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut des § 12 AnTV-DR sei hinsichtlich des Begriffs der Grenztruppen eindeutig. Die Vorschrift differenziere nicht zwischen verschiedenen Grenztruppentätigkeiten und erfasse auch Zeiten des Grundwehrdienstes. Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern, die den Grundwehrdienst bei den Grenztruppen absolviert haben, gegenüber wehrpflichtleistenden Arbeitnehmern anderer Truppenteile sei aufgrund der besonderen Aufgabenstellung der Grenztruppen als staatliches Repressionsorgan mit Rücksicht auf deren Opfer sachlich gerechtfertigt. Wegen dieser Aufgabenstellung seien bei den Grenztruppen nur Wehrpflichtige eingesetzt worden, die sich zuvor durch besondere Systemverbundenheit ausgezeichnet hatten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Grundwehrdienstzeit des Klägers sei bereits deshalb als Dienstzeit anzurechnen, weil der Kläger den Grundwehrdienst nicht bei den Grenztruppen der DDR im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR abgeleistet habe. Damit seien nur die Grenztruppen der DDR als eigenständiger Truppenbestandteil, wie sie erst seit 1973 existiert hätten, gemeint. Außerdem sei die tarifliche Dienstzeitberechnung verfassungswidrig, soweit sie eine Nichtanrechnung von Grundwehrdienstzeiten bei den Grenztruppen vorsehe. Die Ungleichbehandlung von solchen Zeiten gegenüber dem berücksichtungsfähigen Grundwehrdienst bei der NVA verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifvertragsparteien hätten entscheidend darauf abstellen müssen, ob der Wehrpflichtige freiwillig den Dienst bei den Grenztruppen übernommen habe. Schließlich habe die Beklagte durch die Nichtanrechnung des Grundwehrdienstes des Klägers gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.
II. Dem folgt der Senat nicht. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die bei den Grenztruppen abgeleistete Grundwehrdienstzeit nicht gemäß § 22 Abs. 1 ÜTV, § 12 AnTV-DR auf die Dienstzeit des Klägers anzurechnen.
1. Nach § 4 Abs. 1 Buchst. a MTV gelten als Zeit der Zugehörigkeit zur Beklagten Zeiten, die in einem ständigen Arbeitsverhältnis bei ihr zurückgelegt wurden. Sofern der Anspruch auf tarifvertragliche Leistungen eine Zeit der Zugehörigkeit zur Beklagten voraussetzt, sind gemäß § 22 Abs. 1 ÜTV auch Zeiten zu berücksichtigen, die bei einem der Rechtsvorgänger der Beklagten in einem ständigen Arbeitsverhältnis zurückgelegt oder angerechnet wurden. Insoweit sind die tariflichen Vorschriften maßgeblich, die bei dem jeweiligen Rechtsvorgänger galten. Dies ist im vorliegenden Fall § 12 AnTV-DR, da der Kläger vor der Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt war.
2. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 AnTV-DR setzt sich die allgemeine Dienstzeit zusammen aus der Eisenbahndienstzeit, d.h. der bei der Deutschen Reichsbahn zurückgelegten Beschäftigungszeit, und sonstigen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2–6 AnTV-DR anzurechnenden Zeiten.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 1 AnTV-DR sind Zeiten des Wehrdienstes im Soldatenverhältnis in der Bundeswehr als Dienstzeit anzurechnen. Zeiten des Grundwehrdienstes in der NVA stehen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 2 Satz 1 AnTV-DR Wehrdienstzeiten bei der Bundeswehr gleich.
Der Kläger hat vom 4. April 1962 bis zum 23. Oktober 1963 seinen Grundwehrdienst bei der NVA abgeleistet. Gleichwohl ist diese Zeit nicht als Dienstzeit zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 2 AnTV-DR.
Nach dieser Vorschrift gilt für die Anrechnung von Wehrdienstzeiten § 12 Abs. 2 Nr. 4 AnTV-DR. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR sind u.a. Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR von der Anrechnung als Dienstzeit ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gehörte der Kläger während seines Grundwehrdienstes den Grenztruppen der DDR an. Der Tarifvertrag meint nicht nur die Zugehörigkeit zu den Grenztruppen der DDR seit 1973, sondern erfaßt auch Arbeitnehmer, die zuvor den Grenztruppen angehört haben. Dies ergibt die Auslegung der Tarifbestimmung in § 12 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR.
a) Der Wortlaut der Tarifnorm, von dem bei der Tarifauslegung in erster Linie auszugehen ist (st. Rspr., vgl. etwa BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 20. März 1996 – 4 AZR 906/94 – AP Nr. 36 zu § 23 a BAT, zu 2.2.1 der Gründe; Senatsurteil vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 784/95 – AP Nr. 22 zu § 4 TVG Rationalisierungsschutz, zu II 2 der Gründe; Senatsurteil vom 28. Mai 1998 – 6 AZR 349/96 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 2 a der Gründe), stützt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen den Begriffen „Grenztruppen” als unselbständiger Teil der NVA und „Grenztruppen der DDR” als selbständiger Truppenteil nicht. Nach dem allgemeinen Wortsinn ist maßgeblicher Bestandteil des tariflichen Ausschlußtatbestandes der Begriff „Grenztruppen”. Der Zusatz „der DDR” hat demgegenüber lediglich klarstellende Funktion. Inhaltlich erläutert der Begriff „Grenztruppen” die besondere Aufgabe des durch ihn bezeichneten Truppenteils, nämlich die Grenzsicherung. Darauf, daß es sich bei diesem Verband im Verhältnis zur NVA um einen selbständigen Truppenteil handelte, stellt die Tarifbestimmung nicht ab. Die Begriffe „Grenztruppen” und „Grenztruppen der DDR” können nicht als feststehende Fachausdrücke des juristischen Sprachgebrauchs angesehen werden. Zwar wurde in früheren Erlassen und Anordnungen der DDR lediglich der Begriff „Grenztruppen” verwandt (vgl. § 7 Dienstlaufbahnverordnung vom 24. Januar 1962, GBl. I S. 6, 8; § 14 Abs. 2 Musterungsordnung vom 24. Januar 1962, GBl. I S. 15, 17), während in späterer Zeit von den „Grenztruppen der Deutschen Demokratischen Republik” die Rede war (vgl. Beschluß des Staatsrates der DDR vom 10. Dezember 1973, GBl. I S. 555; § 2 Abs. 2 Wehrdienstgesetz vom 25. März 1982, GBl. I S. 221, 222; § 2 Dienstlaufbahnordnung vom 25. März 1982, GBl. I S. 241). Allein daraus, daß die Tarifvertragsparteien des Jahres 1991 den umfassenden, aktuellen Begriff mit dem klarstellenden Zusatz „der DDR” übernommen haben, kann nicht geschlossen werden, daß hiervon der frühere, im Kern identische Begriff der „Grenztruppen” nicht gleichermaßen erfaßt werden sollte.
Gegen die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen einer Zugehörigkeit zu den „Grenztruppen” als unselbständigem Truppenteil der NVA und den „Grenztruppen der DDR” als selbständiger Formation spricht die bei der Tarifauslegung zu berücksichtigende Tarifsystematik. Die Behandlung von Grundwehrdienstzeiten bei der NVA im Rahmen der Dienstzeitberechnung ist in § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 2 AnTV-DR geregelt. Satz 2 dieser Bestimmung verweist auf den Ausschlußtatbestand der Grenztruppenzugehörigkeit. Daraus ist zu entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien den Grundwehrdienst bei den Grenztruppen der DDR im Zusammenhang mit dem bei der NVA abgeleisteten Grundwehrdienst gesehen haben und nicht nur den bei den Grenztruppen der DDR als eigenständiger Organisation abgeleisteten Grundwehrdienst von der Anrechnung als Dienstzeit ausschließen wollten.
Schließlich ergeben Sinn und Zweck des Ausschlußtatbestandes in § 12 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR, daß auch vor dem Jahr 1973 bei den Grenztruppen abgeleistete Grundwehrdienstzeiten von der Anrechnung ausgeschlossen sind. Wie der Senat im Urteil vom 23. Juni 1994 (– 6 AZR 911/93 – BAGE 77, 137, 145 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, zu II 2 b der Gründe zur Übergangsvorschrift Nr. 1 Buchst. b zu § 9 TV Arb-O) ausgeführt und in der Entscheidung vom 30. März 1995 (– 6 AZR 340/94 – n.v., zu II 2 der Gründe) für den hier einschlägigen AnTV-DR bestätigt hat, soll mit diesem Ausschlußtatbestand der besonderen Aufgabenstellung der Grenztruppen als einem Hauptrepressionsorgan der ehemaligen DDR Rechnung getragen werden. Die Tätigkeit der Grenztruppen zielte u.a. darauf ab, elementare Menschen- und Grundrechte zu verletzen, wie z.B. das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Freizügigkeit und das Recht auf Leben. Zeiten einer Tätigkeit mit einer solchen Zielsetzung, die mit den Anforderungen des öffentlichen Dienstes, wie er in einer demokratischen rechtsstaatlichen Verwaltung verstanden wird, nicht vereinbar sind, wollten und durften die Tarifvertragsparteien von einer Anrechnung als Dienstzeit ausnehmen. Die Aufgabenstellung der Grenztruppen hat sich durch deren Verselbständigung zu einem eigenständigen Truppenteil der NVA im Jahr 1973 nicht verändert. Der Normzweck des Ausschlußtatbestandes in § 12 Abs. 2 Nr. 4 b AnTV-DR gilt daher gleichermaßen für die Zugehörigkeit zu der unselbständigen Grenztruppenorganisation im hier streitbefangenen Zeitraum der Jahre 1962 und 1963.
b) Der Kläger war als Grundwehrdienstleistender auch „Angehöriger” der Grenztruppen im Sinne der Tarifbestimmung. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats werden nicht nur Zeit- oder Berufssoldaten, sondern auch Wehrpflichtige, die ihren Grundwehrdienst bei den Grenztruppen der DDR abgeleistet haben, von dem tariflichen Ausschlußtatbestand erfaßt. Nach § 14 Abs. 2 der Musterungsordnung vom 24. Januar 1962 (GBl. I S. 15, 17) waren die Wehrpflichtleistenden für den aktiven Wehrdienst aufzuteilen u.a. auf die Truppenteile (Buchst. a) und Spezialeinheiten (Buchst. b) der NVA und auf die Grenztruppen (Buchst. d). Im letztgenannten Fall waren die Wehrpflichtigen für die Dauer des Grundwehrdienstes Angehörige der Grenztruppen. Anhaltspunkte für die Absicht der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Ausschlußtatbestand auf Zeit- oder Berufssoldaten zu beschränken, bestehen deshalb nicht (Senatsurteile vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 – BAGE 77, 137, 143 = AP, a.a.O., zu I 3 der Gründe; vom 30. März 1995 – 6 AZR 340/94 – n.v., zu I 2 a der Gründe).
Von dieser Rechtsprechung abzuweichen gibt die Regelung in Nr. 2 der Ausführungsbestimmungen zu § 12 Abs. 1 Nr. 4 AnTV-DR keinen Anlaß. Danach sind Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR von der Anrechnung als Dienstzeit nicht ausgeschlossen, wenn der Angestellte nach der Einberufung als Wehrpflichtiger zu den Grenztruppen der DDR dort nur die Grundausbildung abgeleistet hat und im unmittelbaren Anschluß daran vom Grenztruppendienst freigestellt oder vorzeitig entlassen worden ist, um bei der Deutschen Reichsbahn wieder im Lokfahrdienst, Zugbegleitdienst, Fahrdienstleiterdienst, Stellwerksdienst oder Rangierdienst zu arbeiten. Diese Bestimmung, deren Voraussetzungen der Kläger unstreitig nicht erfüllt, regelt einen Ausnahmefall. Das Landesarbeitsgericht hat diese Regelung zutreffend als „Rückausnahme” von dem regelmäßig eingreifenden Ausschlußtatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR bezeichnet. Auf ihrer Grundlage läßt sich der Regelungsgehalt des Ausschlußtatbestandes nicht bestimmen. Wegen ihres Ausnahmecharakters ist dieser Bestimmung gerade nicht zu entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien die Zeit des Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen grundsätzlich nicht als anrechnungsschädlich angesehen haben, vielmehr bestätigt diese Vorschrift den grundsätzlichen Anrechnungsausschluß von Grundwehrdienstzeiten, die bei den Grenztruppen abgeleistet wurden.
3. Die tarifliche Regelung verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden. Sie haben damit auch den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Dieser wird durch eine Tarifnorm verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BAG Urteil vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 – BAGE 67, 264, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT, zu II 5 a der Gründe). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Letzteres gilt insbesondere bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen (BAG Urteil vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 –, a.a.O.).
b) Der erkennende Senat hat durch Urteile vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 – (BAGE 77, 137, 145 f. = AP, a.a.O., zu II 2 b der Gründe, zur Übergangsvorschrift Nr. 1 Buchst. b zu § 9 TV Arb-O) und vom 30. März 1995 (– 6 AZR 340/94 – n.v. – zur hier geltenden Bestimmung in § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR) die Ungleichbehandlung von Grundwehrdienstzeiten, die bei den Grenztruppen der DDR abgeleistet wurden, gegenüber solchen bei anderen Truppenteilen der NVA bei der Dienstzeitberechnung aufgrund der Rücksichtnahme auf die Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Grenztruppen als sachlich gerechtfertigt angesehen. Anders als der NVA, deren Aufgabe ebenso wie bei den Armeen anderer Staaten in der herkömmlichen Landesverteidigung bestand, oblag es den Grenztruppen, u.a. die Freizügigkeit der in der ehemaligen DDR lebenden Menschen unter Mißachtung elementarer Grundrechte einzuschränken. Dabei stand die Organisation der Grenztruppen als Ganzes für diesen ihr übertragenen Auftrag. Als mögliche Teilnehmer an solchen Menschenrechtsverletzungen kamen aus Sicht der Opfer alle Grenztruppenangehörigen in Betracht, ohne Rücksicht darauf, ob sie freiwillig oder zur Erfüllung ihrer allgemeinen Wehrpflicht dorthin gelangt waren. Dies rechtfertigt es, auch Zeiten des Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen von der Anrechnung als Dienstzeit auszunehmen.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch für den vorliegenden Fall fest. Dieser gibt entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung.
aa) Das Landesarbeitsgericht stützt seine gegenteilige Auffassung zum einen auf Nr. 2 der Ausführungsbestimmungen zu § 12 Abs. 1 Nr. 4 AnTV-DR und meint, wenn in den dort genannten Fällen die Ableistung der Grundausbildung bei den Grenztruppen anrechnungsunschädlich sei, könne die pauschale Rücksichtnahme auf die Opfer von Menschenrechtsverletzungen allein eine Ungleichbehandlung der Grenztruppenangehörigen gegenüber anderen Angehörigen der NVA nicht rechtfertigen. Dabei verkennt das Landesarbeitsgericht, daß der sachliche Grund für die unterschiedliche Behandlung von Wehrdienstleistenden, die nur die Grundausbildung bei den Grenztruppen absolviert haben, und den Wehrpflichtigen, die den gesamten Grundwehrdienst dort abgeleistet haben, darin besteht, daß die Grundausbildung der Wehrpflichtigen bei allen Truppenteilen gleich war. Eine Teilnahme an den Menschenrechtsverletzungen der Grenztruppen kam daher während der Grundausbildung regelmäßig nicht in Betracht. Deshalb ist es sachlich gerechtfertigt, daß die Tarifvertragsparteien solche Wehrdienstzeiten vom Anrechnungsausschluß ausgenommen haben.
bb) Zum anderen vertritt das Landesarbeitsgericht die Auffassung, die Tarifvertragsparteien hätten bei der in der Ausführungsbestimmung Nr. 2 zu § 12 Abs. 1 Nr. 4 AnTV-DR vorgenommenen Differenzierung nicht stehenbleiben dürfen, sondern – auch mit Rücksicht auf mögliche Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Grenztruppen – darauf abstellen müssen, ob die Tätigkeit bei den Grenztruppen freiwillig übernommen wurde.
Damit hat das Landesarbeitsgericht die Grenzen der gerichtlichen Nachprüfbarkeit tariflicher Bestimmungen anhand des Gleichheitssatzes überschritten. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gewährleistete Tarifautonomie besteht die Aufgabe der Gerichte lediglich darin, tarifliche Regelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen, nicht jedoch darauf, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben (Senatsurteile vom 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – BAGE 70, 62, 69 = AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985, zu II 2 b cc der Gründe; vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 – BAGE 77, 137, 148 = AP, a.a.O., zu II 2 d der Gründe; vom 29. Januar 1998 – 6 AZR 423/96 – n.v., zu II 2 a der Gründe). Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet, in dem es angenommen hat, nur die freiwillige Übernahme einer Grenztruppentätigkeit könne zum Anrechnungsausschluß führen. Zwar wäre möglicherweise die Freiwilligkeit ein sachgerechtes Differenzierungskriterium gewesen. Darauf haben die Tarifvertragsparteien in der tariflichen Regelung jedoch nicht abgestellt.
4. Die Beklagte verstößt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht dadurch gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, daß sie entsprechend dem Anwenderhinweis Nr. 3 zu § 22 Abs. 1 ÜTV Vordienstzeiten vor Ableistung des Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen als Dienstzeit anrechnet, die Grundwehrdienstzeit selbst jedoch nicht.
Das Landesarbeitsgericht hält diese Unterscheidung für inkonsequent und meint, wenn die Beklagte die Vordienstzeiten ausnahmsweise anrechne, könne dies nur darauf beruhen, daß der Grenztruppendienst unfreiwillig geleistet worden sei. Mit dieser Begründung sei dann aber auch der Grundwehrdienst selbst anzurechnen.
Dabei übersieht das Landesarbeitsgericht, daß die beiden tariflichen Ausschlußtatbestände – Grundwehrdienstzeit bei den Grenztruppen einerseits und Vordienstzeiten andererseits – auf unterschiedlichen Gründen beruhen. Während die Tarifvertragsparteien im erstgenannten Fall die Zugehörigkeit zu einem der Hauptrepressionsorgane des Staatsapparates der früheren DDR und die sich hieraus ergebende Zurechnung der von diesem Organ begangenen Menschen- und Grundrechtsverletzungen sanktionieren wollten, beruht der Ausschluß der Vordienstzeiten auf der Gleichbehandlung mit dem Anrechnungsausschluß, den Arbeitnehmer hinnehmen müssen, die ein früheres Arbeitsverhältnis aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch beendet haben und deren Vordienstzeiten deshalb nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 AnTV-DR nicht als Beschäftigungszeit und damit nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 AnTV-DR nicht als Dienstzeit berücksichtigt werden (Senatsurteile vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 632/95 – BAGE 83, 149, 158 f. = AP Nr. 9 zu § 19 BAT-O, zu II 3 c der Gründe; vom 29. Januar 1998 – 6 AZR 423/96 – n.v., zu II 2 b der Gründe). Deshalb ist nur für den Anrechnungsausschluß der Vordienstzeiten die Freiwilligkeit des Grenztruppendienstes entscheidend, nicht aber für den Anrechnungsausschluß des Grenztruppendienstes selbst. Die Nichtanrechnung von Vordienstzeiten vor einem nicht freiwillig bei den Grenztruppen abgeleisteten Grundwehrdienst wäre deshalb gleichheitswidrig (Senatsurteil vom 28. Mai 1998 – 6 AZR 585/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, Zeiten des Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen der DDR ebenso wie Vordienstzeiten zu behandeln.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Steinhäuser, Schneider
Fundstellen