Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachgewährung von Freischichten wegen Krankheit

 

Normenkette

BGB §§ 362, 812; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1; GG Art. 14; TVG Auslegung § 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 13.12.1989; Aktenzeichen 4 Sa 1098/89)

ArbG Wesel (Urteil vom 27.07.1989; Aktenzeichen 5 Ca 860/89)

 

Tenor

1. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. Dezember 1989 – 4 Sa 1098/89 – wird aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 27. Juli 1989 – 5 Ca 860/89 – wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger zwei unbezahlte Freischichten nachgewähren muß, weil er an den zunächst hierfür vorgesehenen Tagen arbeitsunfähig erkrankt war.

Der Kläger ist seit Oktober 1966, zuletzt als Sicherheitsfachkraft, zu einem monatlichen Festlohn von 5.234,– DM brutto bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die metallverarbeitende Industrie in Nordrhein-Westfalen anzuwenden. Nach § 2 Nr. 1 des Tarifvertrages vom 3. Juli 1984 zur Änderung des Manteltarifvertrages vom 30. April 1980 galt bis zum 31. März 1988 eine tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden. Durch den Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. Februar 1988 (MTV 1988), in Kraft getreten am 1. April 1988, wurde die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit weiter verkürzt. Im MTV 1988 heißt es auszugsweise:

㤠3

Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit/Ausbildungszeit

1. Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt 37 1/2 Stunden, ab 1.4.1989 37 Stunden.

Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann zwischen 37 und 39 1/2 Stunden, ab 1.4.1989 zwischen 36 1/2 und 39 Stunden betragen (Vollzeitbeschäftigte).

Die jeweilige Spanne soll angemessen ausgefüllt werden. Dabei sind die betrieblichen Bedürfnisse zu berücksichtigen (§ 4).

3. Wenn keine andere Regelung getroffen wird, beträgt die regelmäßige tägliche Arbeitszeit bis zu 8 Stunden.

§ 4

Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit/Ausbildungszeit

1. Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen des Volumens, das sich aus der für den Betrieb nach § 3 Nr. 1 Abs. 1 festgelegten Arbeitszeit ergibt, durch Betriebsvereinbarung näher geregelt. Dabei können für Teile des Betriebes, für einzelne Arbeitnehmer oder für Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten zwischen 37 und 39 1/2 Stunden, ab 1. April 1989 zwischen 36 1/2 und 39 Stunden festgelegt werden.

3. Durch Betriebsvereinbarung werden u.a. festgelegt

a) die Verteilung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit/Ausbildungszeit sowie die Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entsprechend Nr. 2,

e) Lage und eventuelle Zusammenfassung der freien Tage nach Nr. 6, falls diese kollektiv im voraus und nicht durch Einzelabsprachen geregelt werden, nach Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse und unter angemessener Berücksichtigung der Belange der betroffenen Arbeitnehmer/Auszubildenden.

6. Aus Anlaß der Neufestlegung der Arbeitszeit wird die Auslastung der betrieblichen Anlagen und Einrichtungen nicht vermindert. Bei einer Differenz zwischen Betriebsnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer kann der Zeitausgleich auch in Form von freien Tagen erfolgen. Dabei muß zur Vermeidung von Störungen im Betriebsablauf eine möglichst gleichmäßige Anwesenheit der Arbeitnehmer gewährleistet sein. Bei der Festlegung der freien Tage sind die wünsche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Es dürfen nicht mehr als fünf freie Tage zusammengefaßt werden.”

Im Hinblick auf diese Regelungen haben die Beklagte und der Betriebsrat unter dem 31. März 1988 die folgende Betriebsvereinbarung geschlossen:

„Betriebsvereinbarung Nr. 4/88

1. Die unter den Manteltarifvertrag Metall NRW fallenden Mitarbeiter erhalten für den Zeitraum vom 01.04.1988 bis zum 31.03.1989 auf Grund der Arbeitszeitverkürzung ab 01.04.1988 auf 37,5 Std/Woche insgesamt 6 Freischichten.

2. Alle o.g. Mitarbeiter müssen 4 der 6 Freischichten in der Zeit vom 27. bis 30.12.1988 nehmen. Im Krankheitsfall werden diese 4 Freischichten nachgewährt.

3. Die restlichen 2 Freischichten müssen im Zeitraum vom 01.01.1989 bis zum 30.04.1989 genommen werden. Die beiden Freischichten sind bis zum 30.09.1988 individuell unter Berücksichtigung betrieblicher Belange festzulegen, sie verfallen im Krankheitsfalle.”

Aufgrund dieser Regelungen betrug die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers in der Zeit vom 1. April 1988 bis zum 1. April 1989 weiterhin unverändert wöchentlich 38,5 Stunden. Die zum Ausgleich hierfür zu gewährenden restlichen zwei Freischichten hatte der Kläger für den 6. und den 27. Februar 1989 verlangt und von der Beklagten festgelegt erhalten. In der Zeit vom 9. Januar bis zum 1. März 1989 war der Kläger jedoch arbeitsunfähig krank. Eine von ihm beantragte Verlegung der Freischichten auf den 17. und 20. März 1989 lehnte die Beklagte unter dem 13. März 1989 mit der Begründung ab, die Freischichten seien nunmehr verfallen.

Damit will sich der Kläger nicht zufrieden geben. Er hält die Betriebsvereinbarung für rechtsunwirksam, soweit diese den Verfall bestimmter Freischichten vorsieht. Er hat daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm anstelle der für den 6. Februar und 27. Februar 1989 wegen Krankheit nicht gewährten Freizeittage zwei Freizeittage nachzugewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung sei rechtswirksam und der Anspruch des Klägers folglich verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen will.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachgewährung der verlangten beiden Freischichten. Sein Freistellungsanspruch ist durch Erfüllung erloschen.

I. Der Senat hat sich mit der einschlägigen Fragestellung bereits im Urteil vom 2. Dezember 1987 (– 5 AZR 652/86 – AP Nr. 76 zu § 1 LohnFG) betreffend den inhaltsgleichen Tarifvertrag vom 3. Juli 1984 zur Änderung des Manteltarifvertrages vom 30. April 1980 befaßt. Er hat dabei ausgeführt, eine gesetzliche Regelung über die Gewährung von Freischichten bestehe nicht; auch der Änderungstarifvertrag enthalte hierüber keine Regelungen, sondern überlasse es den Betriebspartnern, durch Betriebsvereinbarung die Einzelheiten des Zeitausgleiches, der sich aus der Arbeitszeitverkürzung ergibt, zu regeln. Diese Erwägungen treffen auch für den MTV 1988 zu, der – abgesehen vom Umfang der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit – inhaltlich keine Änderung gebracht hat. Die Betriebsvereinbarung vom 31. März 1988 räumt ebenfalls keinen Anspruch auf Nachgewährung der beiden begehrten Freischichten ein, sondern schließt einen solchen in Nr. 3 ausdrücklich aus.

In der genannten Entscheidung hat der Senat weiter dargelegt, der in der Betriebsvereinbarung enthaltene Ausschluß der Freischichten im Krankheitsfall verstoße weder gegen zwingendes Gesetzesrecht noch gegen Tarifrecht und sei daher rechtswirksam (zu II der Gründe). Hieran wird festgehalten.

II. Das Landesarbeitsgericht hält diese Rechtsprechung des Senats dann für unanwendbar, wenn der Arbeitnehmer bereits Arbeitsleistungen erbracht und damit vorgeleistet hat. Der durch die Betriebsvereinbarung geregelte Verfall von zwei Freischichten verstoße gegen tarifliche Bestimmungen, insbesondere gegen § 4 MTV. Als „freier Tag” im Sinne von § 4 Nr. 6 MTV sei nach dem Tarif-Wortlaut nur ein solcher zu verstehen, an dem der Arbeitnehmer auch über seine Freizeit tatsächlich verfügen könne. Diese Auslegung entspreche auch Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, da die Arbeitszeitverkürzung anstelle einer Lohnerhöhung vereinbart worden sei und der Verfall der Freischicht bei Krankheit zu einer einseitigen Verschiebung des tariflichen Äquivalenzgefüges zu Lasten des Arbeitnehmers führe. Desweiteren werde der Freistellungsanspruch nach § 362 Abs. 1 BGB nicht durch das Versprechen oder die Festlegung einer Freischicht erfüllt, sondern erst durch Bewirken des Leistungserfolges, nämlich durch die tatsächliche Gewährung von freier Zeit. Das ergebe sich auch aus einer bereicherungsrechtlichen Betrachtung: der Arbeitgeber habe die vom Arbeitnehmer vorgeleisteten Arbeitsstunden nunmehr ohne Rechtsgrund erlangt, weil die Vereinbarung über die Festlegung der Freischichten infolge der Krankheit des Arbeitnehmers entfallen sei.

Diese Begründung kann nicht überzeugen. Das Landesarbeitsgericht geht von einer unzutreffenden Auslegung des tariflichen Begriffs des freien Tages aus und meint zu Unrecht, eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung sei dann geboten, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistungen bereits erbracht habe.

1. Der Senat hat in seiner eingangs erwähnten Entscheidung vom 2. Dezember 1987 (zu II 1 der Gründe) darauf hingewiesen, der Arbeitnehmer erhalte bei der Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung einen freien Tag nur dafür, daß er über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinaus an anderen Tagen Arbeitsleistungen erbracht hat. Die Freischichten sollen daher der Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit dienen, nicht aber einem besonderen Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers. Die Umsetzung erfolgt dadurch, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Abbau des vorhandenen Freizeitguthabens an Tagen, die die Betriebspartner oder die Arbeitsvertragsparteien vereinbart haben, von seiner Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen, befreit. Mit einer solchen Regelung, bei der übrigens Wünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind (§ 4 Nr. 6 Satz 4 MTV 1988), ist der Anspruch auf Freizeitausgleich erfüllt. Dazu hat der Senat (zu II 2 der Gründe) ausgeführt, diese Betrachtungsweise sei auch aus lohnfortzahlungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich, da die Vorschriften des Lohnfortzahlungsgesetzes das Entgelt sichern sollen und nichts darüber aussagen, wie sich eine Arbeitsfreistellung im Rahmen einer tariflichen Arbeitszeitverkürzung auswirkt. Die Vergütung für den Freischichttag hat der Kläger schon mit der Bezahlung der tatsächlich geleisteten Arbeitzeit von acht Stunden erhalten.

Demgegenüber entspricht die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, es sei auf den Eintritt des Leistungserfolges abzustellen, nicht dem Inhalt der tariflichen Regelung und kann daher nicht überzeugen. Die Tarifvertragsparteien wollten dem Arbeitgeber nicht das Risiko dafür aufbürden, daß der Arbeitnehmer die

einmal festgelegte Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen kann (vgl. BAG Beschluß vom 18. Dezember 1990 – 1 ABR 11/90 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl. weiter Linnenkohl, Anm. zum Senatsurteil vom 2. Dezember 1987, AR-Blattei, D Arbeitszeit I, Entschdg. 7).

2. Überzeugen kann schließlich auch nicht die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, wonach die hier vorgenommene Auslegung des Tarifvertrages einen Verstoß gegen Art. 14 GG bedeute, da dem Arbeitnehmer der Vermögenswerte Freizeitanspruch entschädigungslos entzogen werde.

Der Arbeitnehmer erleidet nämlich überhaupt keine finanzielle Einbuße, da er das Entgelt für die geleistete Arbeit schon erhalten hat. Dem Interesse des Arbeitnehmers an der ungeschmälerten Gestaltung seiner Freizeit steht das Interesse des Arbeitgebers gegenüber, zur Vermeidung von Störungen im Betriebsablauf eine gleichmäßige Anwesenheit aller Arbeitnehmer im Betrieb sicherzustellen.

3. Auf die weiteren Überlegungen des Landesarbeitsgerichts zu den Auswirkungen der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und zu einer möglichen rechtsmißbräuchlichen Geltendmachung des Anspruchs des Klägers kommt es nicht an, da der Anspruch des Klägers schon dem Grunde nach nicht besteht.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Dr. Kukies, Arnzten

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073826

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