Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertragliche Öffnungsklausel für arbeitsvertragliche Sonderregelungen. Tarifauslegung. abweichende einzelarbeitsvertragliche Sonderregelung über den Mehrarbeitszuschlag gem. § 4 Ziff. 10 Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW vom 9. Juli 1997 (MTV). „Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang” als Voraussetzung für die Zulässigkeit von Sonderregelungen für Kraftfahrer?
Leitsatz (amtlich)
Von dem Tarifvertrag abweichende einzelarbeitsvertragliche Regelungen über Mehr-, Sonn-, Feiertags-, Nacht- oder Schichtarbeit, hier über Mehrarbeitszuschläge, sind jedenfalls für die in § 4 Ziff. 10 MTV genannten Berufsgruppen zulässig, ohne daß es darauf ankommt, ob auch im Einzelfall in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt und eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden kann.
Orientierungssatz
Von dem Tarifvertrag abweichende einzelarbeitsvertragliche Regelungen über Mehr-, Sonn-, Feiertags-, Nacht- oder Schichtarbeit, hier über Mehrarbeitszuschläge, sind jedenfalls für die in § 4 Ziff. 10 MTV genannten Berufsgruppen zulässig, ohne daß es darauf ankommt, ob auch im Einzelfall in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt und eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden kann.
Normenkette
Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW vom 9. Juli 1997 § 4 Ziff. 10
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. November 1999 – 5 Sa 16/99 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um tarifvertragliche Mehrarbeitszuschläge.
Der Kläger ist seit dem 12. Oktober 1992 in dem Großhandelsbetrieb der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Allgemeinverbindlicherklärung der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW vom 9. Juli 1997, gültig ab 1. Januar 1997, (MTV) Anwendung. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 12. Oktober 1992 heißt es in § 5 ua.:
„…
Die zu leistenden Überstd. werden mit dem gleichen Std.-Lohnsatz, jedoch ohne Aufschlag bezahlt.”
Mit Schreiben seiner Gewerkschaft vom 22. Dezember 1997, dessen Zugang von der Beklagten auf den 2. Januar 1998 datiert wird, hat der Kläger Mehrarbeitsgrundvergütung und Mehrarbeitszuschläge für die 27. bis 44. Kalenderwoche aus dem Jahre 1997 iHv. 1.373,24 DM verlangt. Mit seiner Klage macht er sie und weitere Mehrarbeitsvergütung iHv. 1.307,53 DM für den Zeitraum ab der 45. Kalenderwoche 1997 bis zur 26. Kalenderwoche 1998 geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der in § 4 Ziff. 10 MTV enthaltenen Öffnungsklausel, wonach Mehrarbeitszuschläge für Kraftfahrer abbedungen werden können, lägen nicht vor, weil bei ihm nicht in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfalle; seine Wartezeiten als Auslieferungsfahrer machten nur 6 bis 20 % seiner Arbeitszeit aus. Die Beklagte sei daher verpflichtet, die geleisteten Überstunden mit dem tariflichen Zuschlag von 25 bzw. 50 % zu bezahlen. Soweit sich die Beklagte auf die tarifvertragliche Verfallfrist berufe, könne sie damit im Hinblick auf § 242 BGB nicht durchdringen, da das Geltendmachungsschreiben vom 22. Dezember 1997 nur auf Grund der Betriebsferien der Beklagten erst im Januar mit einem Eingangsstempel versehen worden sei, die Beklagte auf Ausschlußfristen verzichtet und sie sich außerdem tarifwidrig verhalten habe.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.680,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß durch die Vereinbarung in § 5 des schriftlichen Arbeitsvertrages Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge ausgeschlossen seien. Diese Regelung sei durch § 4 Ziff. 10 MTV gedeckt, weil für die als Kraftfahrer tätigen Arbeitnehmer einzelvertragliche Sonderregelungen bezüglich der Mehrarbeitsvergütung getroffen werden könnten, und zwar unabhängig davon, ob bei ihnen in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfalle und eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden könne. Im übrigen sei ein Teil der Ansprüche verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage nur hinsichtlich der Mehrarbeitsgrundvergütung iHv. 20,72 DM brutto stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zahlung der Mehrarbeitszuschläge weiter.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist nicht begründet.
Die Parteien haben in § 5 des Arbeitsvertrages wirksam den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütungszuschlag ausgeschlossen. Der Ausschluß ist von der Öffnungsklausel in § 4 Ziff. 10 MTV gedeckt.
1. Dem Kläger steht deshalb für die im streitgegenständlichen Zeitraum geleistete Mehrarbeit kein Mehrarbeitszuschlag gem. § 4 Ziff. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW zu. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.
2. Die Parteien haben in § 5 des Arbeitsvertrages vereinbart, daß für Mehrarbeitsstunden kein Mehrarbeitsvergütungszuschlag gezahlt wird. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, daß entsprechend der übereinstimmenden Auffassung der Parteien mit der Formulierung „ohne Aufschlag” in § 5 des Arbeitsvertrages der Ausschluß von Mehrarbeitszuschlägen gemeint sei. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird von der Revision auch nicht gerügt. Der Kläger führt vielmehr selbst aus, daß in § 5 des Arbeitsvertrages vorgesehen sei, daß die Mehrarbeit zwar vergütet werde, aber ohne Zuschläge. Im Gegensatz zum Tarifvertrag sprechen die Parteien zwar im Arbeitsvertrag von Überstunden und nicht von Mehrarbeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden jedoch die Begriffe „Mehrarbeit” und „Überstunden” häufig als gleichbedeutend betrachtet.
3. Der arbeitsvertragliche Ausschluß des Anspruchs auf Mehrarbeitszuschlag ist wirksam. Er ist durch die Öffnungsklausel in § 4 Ziff. 10 MTV gedeckt.
a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Allgemeinverbindlicherklärung der MTV Groß- und Außenhandel NRW vom 9. Juli 1997 Anwendung.
b) § 4 MTV Groß- und Außenhandel NRW lautet:
„§ 4 Mehr-, Sonn-, Feiertags-, Nacht- und Schichtarbeit
1. … Mehrarbeit ist jede über 38,5 Std. in der Woche hinausgehende angeordnete oder mit dem Betriebsrat vereinbarte Arbeit. Bei anderweitiger Verteilung der Arbeitszeit (§ 2 Nr. 2) liegt zuschlagpflichtige Mehrarbeit vor, wenn die festgelegte Wochenarbeitszeit überschritten wird; dies gilt auch bei Abweichung von einer einmal festgelegten Planung. …
2. Die nach § 4 Nr. 1 angeordnete Mehrarbeit ist mit 1/167 des Monatsgehalts bzw. Monatslohnes (Grundvergütung), zuzüglich eines Zuschlags von 25 % (Mehrarbeitszuschlag) zu vergüten. Bei abweichender Verteilung der Arbeitszeit (§ 2 Nr. 2) ist für die die festgelegte Wochenarbeitszeit überschreitende Arbeitszeit zusätzlich der Mehrarbeitszuschlag zu zahlen. Überschreitet die Arbeitszeit an einem Arbeitstag 10 Stunden (siehe § 4 Nr. 1), so ist ab der 11. Stunde ein Zuschlag von 50 zu vergüten. …
3. Mehrarbeit kann auch im beiderseitigen Einvernehmen durch Freistellung an anderen Arbeitstagen ausgeglichen werden, wobei die Zuschläge in Zeit mitzuberücksichtigen sind. Ist ein Ausgleich nicht möglich, wird die Mehrarbeit einschließlich Zuschlag vergütet.
…
8. Für Mehr-, Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit kann eine Pauschalabgeltung entsprechend dem geschätzten durchschnittlichen Umfang der zu leistenden zuschlagpflichtigen Arbeit vereinbart werden; sie ist gesondert auszuweisen. Eine entsprechende Vereinbarung hat schriftlich zu erfolgen.
9. Im Außendienst tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitszeiteinteilung nicht festgelegt ist, haben keinen Anspruch auf Mehr- oder Nachtarbeitsvergütung; dies gilt auch bei einer Tätigkeit auf Messen und Ausstellungen.
10. Für Arbeitnehmer, die als Kraftfahrer, Beifahrer, Pförtner und Nachtwächter oder in ähnlicher Funktion tätig sind, bei denen also in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt und eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden kann, ist eine einzelarbeitsvertragliche Sonderregelung abweichend von vorstehenden Bestimmungen möglich. Sie muß schriftlich erfolgen. Entsprechendes gilt für die Regelung der Rufbereitschaft. Vergütungen für etwaige Rufbereitschaft sind ebenfalls einzelvertraglich festzulegen.”
Anlage I zum MTV lautet:
Arbeitszeitregelung für Fahrer und Kraftfahrer von Kraftfahrzeugen im Groß-und Außenhandel NRW (Regelung für das Fahrpersonal gemäß § 2 Nr. 5 dieses Tarifvertrages)
1. Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Pausen. Dazu gehören: Lenkzeiten, Arbeiten im Zusammenhang mit Be- und Entladen sowie Reparaturen, Vor- und Abschlußarbeiten, sonstige Arbeiten, Arbeitsbereitschaftszeiten.
Als Arbeitsbereitschaft gilt die Zeit, während der sich das Fahrpersonal am Arbeitsplatz oder einem anderen festgelegten Ort aufhalten muß, um jederzeit die Arbeit aufnehmen zu können. § 4 Nr. 10 bleibt unberührt.
…
Pausen sind Arbeitsunterbrechungen, in denen das Fahrpersonal von jeder Arbeitsleistung befreit ist.
…”
c) § 4 Ziff. 10 MTV setzt entgegen der Auffassung des Klägers für eine arbeitsvertragliche Sonderregelung für Kraftfahrer nicht voraus, daß in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt und eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden kann.
aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt(ua. Senat 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8).
bb) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt die Auslegung des § 4 Ziff. 10 MTV, daß jedenfalls bei den Kraftfahrern und den anderen ausdrücklich benannten Berufsgruppen die im Nebensatz genannten Umstände, dh. der Anfall von Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang und die Unmöglichkeit der Einhaltung einer bestimmten Arbeitszeit, keine Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer einzelarbeitsvertraglichen Sonderregelung sind.
cc) Dafür spricht bereits der Wortlaut der Regelung.
(1) Der Relativsatz wird mit der Formulierung eingeleitet: „bei denenalso”. Das spricht dafür, daß mit dem Relativsatz überhaupt keine tatbestandliche Voraussetzung für den Abschluß von Sonderregelungen aufgestellt werden soll. Denn mit dem Wort „also” wird nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein – hier erklärender – Kausalzusammenhang zum Ausdruck gebracht(vgl. zur Wortbedeutung: Wahrig Deutsches Wörterbuch 6. Aufl. S 178: „(zusammenfassend) aus diesem Grunde, folglich, deswegen, infolgedessen”; ebenso: Duden Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache 2. Aufl. S 151: „folglich, demzufolge, demnach, somit, mithin”). Der mit dem Wort „also” eingeleitete Relativsatz könnte danach lediglich die Begründung dafür geben, warum eine einzelvertragliche Sonderregelung möglich ist, nämlich weil (und nicht wenn) bei der Tätigkeit dieser Arbeitnehmer in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft anfällt und eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden kann.
(2) Selbst wenn in dem Relativsatz eine Tatbestandsvoraussetzung für den Abschluß von Sonderregelungen normiert wäre, könnte das dem Wortlaut nach nur auf die „Arbeitnehmer in ähnlicher Funktion” bezogen werden. Denn § 4 Ziff. 10 MTV enthält eine sprachliche Unterscheidung zwischen den benannten Berufsgruppen der Kraftfahrer, Beifahrer, Pförtner und Nachtwächter und den „Arbeitnehmern in ähnlicher Funktion”. Die benannten Berufsgruppen werden im Sinne einer einfachen Aufzählung ua. mit „und” verbunden zusammengefaßt, während die „Arbeitnehmer in ähnlicher Funktion” mit dem Wort „oder” hinzugefügt werden. Das spricht dafür, daß sich der Relativsatz nur auf die letzte Gruppe der „Arbeitnehmer in ähnlicher Funktion” bezieht, nicht aber auf die vor dem „oder” aufgeführten Berufsgruppen.
(3) Der Wortlaut spricht somit dafür, daß jedenfalls für die benannten Berufsgruppen keine zusätzliche tatbestandliche Voraussetzung für arbeitsvertragliche Sonderregelungen aufgestellt werden sollte.
dd) Die übrigen Auslegungsgesichtspunkte, insbesondere der aus dem tariflichen Zusammenhang erkennbare und übereinstimmende Wille der Tarifvertragsparteien und die Praktikabilität und Sachgerechtigkeit des Auslegungsergebnisses stützen diese Auslegung.
(1) Wenn die in dem Nebensatz kumulativ genannten Umstände als Tatbestandsvoraussetzung auch für die vor dem „oder” benannten Berufsgruppen angesehen würden, wäre die Regelung nicht plausibel, weil bei einem Teil der benannten Berufsgruppen die im Relativsatz enthaltenen Voraussetzungen idR jedenfalls nicht kumulativ gegeben sind. Bei allen benannten Berufsgruppen fällt zwar typischerweise Arbeitsbereitschaft an, wenn auch bei Kraftfahrern und Busfahrern nicht notwendigerweise in erheblichem Umfang. Denn nach der Anl. I zum MTV, der Arbeitszeitregelung für Fahrer und Kraftfahrer von Kraftfahrzeugen, gilt als Arbeitsbereitschaft die Zeit, während der sich das Fahrpersonal am Arbeitsplatz oder einem anderen festgelegten Ort aufhalten muß, um jederzeit die Arbeit aufnehmen zu können. Der zweite der im Relativsatz genannten Umstände, daß „eine bestimmte Arbeitszeit nicht eingehalten werden kann”, ist bei Pförtnern und Nachtwächtern aber regelmäßig nicht gegeben. Denn für diese Berufsgruppen werden üblicherweise feste Arbeitszeiten festgelegt. Wenn man die in dem Relativsatz aufgeführten Umstände als Tatbestandsvoraussetzungen auch für die benannten Berufe verstehen wollte, wäre somit die Aufnahme der Berufsgruppen der Pförtner und Nachtwächter in § 4 Nr. 10 MTV praktisch weitgehend gegenstandslos. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien eine solche in sich widersprüchliche Regelung getroffen haben.
(2) Hinzu kommt die fehlende Praktikabilität der Regelung bei der von der Revision vertretenen Auslegung des § 4 Nr. 10 MTV. Denn der Tarifvertrag enthält keine Anhaltspunkte dafür, was unter „Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang” zu verstehen ist. Außerdem ist unklar, ob bei schwankendem Umfang der Arbeitsbereitschaft auf den durchschnittlichen Umfang abzustellen ist und ggf. bezogen auf welchen Zeitraum, oder ob das dazu führt, daß nur während der Zeiträume mit Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang der Abschluß von Sonderregelungen zulässig ist. Eine weitere Schwierigkeit bestünde in dem Fall, daß der Umfang der Arbeitsbereitschaft nicht hinreichend vorhersehbar ist. Nach der tariflichen Regelung müßte eine schriftliche Sonderregelung (im voraus) erfolgen, obwohl die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Sonderregelung noch nicht feststehen.
Auch das spricht dafür, jedenfalls für die benannten Berufsgruppen ohne weitere Voraussetzungen arbeitsvertragliche Sonderregelungen zuzulassen. Wenn man die im Nebensatz genannten Voraussetzungen nur auf die „Arbeitnehmer in ähnlicher Funktion” bezieht, sind diese praktischen Schwierigkeiten geringer. Zum einen ist der betroffene Personenkreis relativ klein, weil kumulativ beide Voraussetzungen vorliegen müssen. Im übrigen könnte bei der notwendigen Konkretisierung der Voraussetzung „Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang” eine Orientierung an dem Umfang der Arbeitsbereitschaft bei den benannten Berufsgruppen erfolgen.
(3) Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß auch bei Kraftfahrern die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden könnten, daß keine oder nur geringfügige Arbeitsbereitschaft anfalle, so daß sich der Ausschluß des Mehrarbeitszuschlags nicht rechtfertigen lasse. Denn der MTV sieht selbst keinen Ausschluß des Mehrarbeitszuschlags für diese benannten Berufsgruppen vor, sondern enthält nur eine Öffnungsklausel für individualvertragliche Sonderregelungen. Die Berechtigung und Ausgewogenheit einer arbeitsvertraglichen Sonderregelung bleibt somit primär der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien überlassen. Zur formellen Absicherung dieser Sonderregelungen hat der MTV die Schriftform zwingend vorgeschrieben.
ee) Aus der von dem Kläger angeführten Kommentierung der gleichlautenden Regelung in einer früheren Fassung des MTV (Kommentierung zum Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel in NRW vom 1. Januar 1987, herausgegeben von der Wiga Wirtschaftsförderungs-Ges. für Groß- und Außenhandel mbH § 3 Ziff. 11) ergeben sich keine entgegenstehenden Anhaltspunkte für die Auslegung. Zu der hier zu entscheidenden Frage, ob und ggf. für wen die im Nebensatz benannten Umstände als Tatbestandsvoraussetzung für eine Sonderregelung anzusehen sind, enthält die Stellungnahme gerade keine eindeutige Aussage.
d) Somit ergibt sich aus § 4 Ziff. 10 MTV auch für den Kläger als Kraftfahrer die Zulässigkeit der Sondervereinbarung, ohne daß es darauf ankommt, ob in seiner Tätigkeit Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang anfiel. Entgegen der Auffassung des Klägers fallen unter § 4 Ziff. 10 MTV auch abweichende Regelungen zum Mehrarbeitszuschlag. Der Kläger rügt, daß durch § 5 des Arbeitsvertrages sowohl § 4 Ziff. 2 als auch § 4 Ziff. 3 MTV abbedungen würden, dies aber nicht durch § 4 Ziff. 10 MTV gedeckt sei. Diese Auffassung trifft nicht zu. § 4 Ziff. 10 MTV eröffnet einzelvertragliche Sonderregelungen für die genannten Arbeitnehmergruppen abweichend von „vorstehenden Bestimmungen”, somit auch Regelungen über die Mehrarbeitszuschläge gem. § 4 Ziff. 2 MTV.
4. Da dem Kläger somit nach der wirksamen arbeitsvertraglichen Regelung kein Mehrarbeitszuschlag zusteht, kommt es auf die Frage des tarifvertraglichen Verfalls der Ansprüche auf Mehrarbeitszuschlag nicht an.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Wolter, Gotsche, Kralle-Engeln
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 30.05.2001 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2002, 312 |
DB 2002, 1058 |
NZA 2002, 805 |
SAE 2002, 114 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 16 |
EzA |
AUR 2002, 78 |