Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Ausgleichszulage. Nettobeamtenbesoldung. Umrechnung auf eine vergleichbare Angestelltenvergütung. Abtastverfahren. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Steuerfreibeträge. Zulage
Orientierungssatz
Normenkette
TVG § 1 Auslegung; Zulagentarifvertrag für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Flugsicherung GmbH § 4; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 2; SGB XI § 23 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 20. März 2001 – 1 Sa 256/99 + 1 Sa 40/00 – insoweit aufgehoben, als die Klage bezüglich der Nichtberücksichtigung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobesoldung abgewiesen worden ist. Die Anschlußrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen vom 25. August 1999 – 10h Ca 10392/98 – abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß dem Kläger nach § 4 des Zulagentarifvertrags für die Deutsche Flugsicherung GmbH vom 22. August 1993 eine Ausgleichszulage zusteht, bei deren Berechnung Steuerfreibeträge mit Ausnahme der Kinderfreibeträge zur Ermittlung der Nettobesoldung und zur Umrechnung auf eine entsprechende Angestelltenvergütung nicht herangezogen werden dürfen und die nach den steuerrechtlichen Abzügen verbleibende Nettobesoldung nicht um Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gekürzt werden darf.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechnung einer Ausgleichszulage.
Der Kläger war bei der Bundesanstalt für Flugsicherung als Beamter beschäftigt. Die im Jahre 1992 gegründete Beklagte ist eine GmbH, deren alleiniger Anteilseigner der Bund ist. Sie übernahm im Zuge einer Privatisierung ab 1993 die Flugsicherungsdienste in der Bundesrepublik Deutschland. Der Bund war bereit, die Beamten und Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Flugsicherung ohne Einbußen weiterzubeschäftigen. Sowohl er als auch die Beklagte waren aber bestrebt, die große Mehrheit der in der Flugsicherung tätigen Bediensteten zu einem freiwilligen Übertritt in das privatwirtschaftliche Unternehmen zu bewegen. Einen entsprechenden Anreiz sollte unter anderem die tarifvertragliche Ausgleichszulage schaffen. Sie ist in § 4 des für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten geschlossenen Zulagentarifvertrages (ZTV) vom 20. August 1993 wie folgt geregelt:
“
- Übernommene Beschäftigte … haben Anspruch auf Bruttobezüge in Höhe von mindestens 105 % der vor der Übernahme im Bundesdienst zuletzt gezahlten Bruttobezüge (Angestellte, Arbeiter) bzw. der auf den gleichen Zeitraum bezogenen fiktiven Bruttobezüge (Beamte), jeweils ohne variable Bezüge und befristete oder einmalige Zahlungen.
- Die fiktiven Bruttobezüge werden durch Umrechnung der Netto-Besoldung auf entsprechende Angestelltenvergütung festgestellt. Bei verheirateten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird dabei die Steuerklasse 3, bei Ledigen die Steuerklasse 1 zugrunde gelegt. Es werden nur die auf der Lohnsteuerkarte des Betreffenden eingetragenen Kinder berücksichtigt.
- Erreichen die DFS-Bruttobezüge nicht den um 5 % erhöhten Bruttobetrag der bisherigen Bezüge, wird der Differenzbetrag als Ausgleichszulage gezahlt.
- Der Differenzbetrag wird erstmalig auf Wunsch der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter errechnet. Als Basis dient die bisherige Besoldungs-/Vergütungs- bzw. Lohngruppe unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Errechnung maßgeblichen Dienstalters-, Lebensalters- bzw. Lohnstufe sowie des zu diesem Zeitpunkt zustehenden Ortszuschlages. Nach jeweils 12 Monaten wird der Differenzbetrag auf der dann maßgeblichen Basis neu ermittelt.
- Bei Stufensteigerungen und Höhergruppierungen in der DFS werden die Steigerungsbeträge jeweils zur Hälfte auf die Ausgleichszulage angerechnet.
”
Der Kläger schied aus seinem Beamtenverhältnis aus und wechselte zur Beklagten über. In § 3 des Arbeitsvertrages vom 18./19. April 1995 ist eine Ausgleichszulage von monatlich 714,80 DM aufgeführt.
Zunächst errechnete die Beklagte die Ausgleichszulage nach der Formel:
Bruttogehalt, das dem Kläger als Beamter zustünde,
- Lohnsteuer - Solidaritätszuschlag + steuerfreie Zulage = Nettobesoldung
+ vom Kläger zu leistende Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung + Lohnsteuer + Solidaritätszuschlag = fiktive Bruttoangestelltenvergütung
× 105 % = Besitzstandsvergütung
- Bruttogehalt gemäß Eingruppierung des Klägers ohne variable Entgeltbestandteile = Ausgleichszulage.
Die so ermittelte Ausgleichszulage wurde als ruhegehaltsfähig betrachtet. Sie wurde mit Schreiben vom 25. Juni 1996, 21. April 1997 und 10. Dezember 1997 angepaßt. Mit Wirkung ab 1. Mai 1998 ging die Beklagte von folgender Berechnungsformel aus:
Bruttogehalt, das dem Kläger als Beamter zustünde,
- Lohnsteuer unter Berücksichtigung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge - Solidaritätszuschlag + steuerfreie Zulage = Nettobesoldung
- Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die der Kläger als Beamter bei der Mannheimer Versicherung hätte bezahlen müssen,
= verfügbare Nettobesoldung × 105 %
+ vom Kläger zu leistende Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung + Lohnsteuer unter Berücksichtigung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge + Solidaritätszuschlag = Besitzstandsvergütung
– Bruttogehalt gemäß Eingruppierung des Klägers ohne variable Entgeltbestandteile = Ausgleichszulage.
Diese Berechnungsmethode führte zu einer niedrigeren Besitzstandsvergütung. Sie lag unter dem von der Beklagten gezahlten Arbeitsentgelt. Mit Schreiben vom 4. Mai 1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die bisher gewährte Ausgleichszulage entfalle. Der Kläger erhalte jedoch zeitlich befristet eine freiwillige, persönliche, nicht ruhegehaltsfähige Zulage, um eine Verringerung seiner bisherigen Bruttovergütung zu vermeiden. Diese Zulage werde “bei künftigen Vergütungsänderungen (Tarif-erhöhungen, Höhergruppierungen, Stufensteigerungen etc.) auf den jeweiligen Steigerungsbetrag angerechnet”. Der Gesamtbetriebsrat hat der Berücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung zugestimmt. Zum 1. Mai 1999 senkte die Beklagte auf Grund des Anrechnungsvorbehalts die persönliche Zulage von 705,43 DM auf 451,43 DM.
Die Beklagte stellte bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung auf die für Beamte geltenden regulären Kranken- und Pflegeversicherungstarife der Mannheimer Versicherung ab. Beim Umrechnen der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung auf eine entsprechende Angestelltenvergütung ging sie von dem mit der Mannheimer Versicherung geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag aus. Er sieht niedrigere Beiträge vor. Mit dem Abschluß des Gruppenversicherungsvertrages kam die Beklagte ihren Pflichten aus dem Tarifvertrag über die Kranken- und Pflegeversicherung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (KTV) vom 20. August 1993 in der Fassung des 3. Änderungs-TV vom 20. November 1995 nach.
Bis einschließlich 30. April 1995 war der Kläger anderweitig versichert. Die Signal Iduna Versicherung bestätigte ihm mit Schreiben vom 26. April 2000, daß bis zum 1. Mai 1995 eine Krankheitskostenvollversicherung bestanden habe. Zuletzt hätten sich die Beiträge des Klägers für die Krankenversicherung auf 188,00 DM, für das Sterbegeld auf 0,50 DM, für das Krankenhaustagegeld auf 16,10 DM und für die Pflegeversicherung auf 23,19 DM belaufen. Seit dem 1. Mai 1995 ist der Kläger im Rahmen des von der Beklagten geschlossenen Gruppenversicherungsvertrages bei der Mannheimer Versicherung kranken- und pflegeversichert. Vom 1. Mai 1995 bis zum 31. Juli 1999 betrugen der monatliche Gesamtbeitrag zur Krankenversicherung 414,04 DM und die monatliche Eigenbeteiligung des Klägers 163,43 DM. Vom 1. August 1999 bis zum 30. September 1999 erhöhte sich der Gesamtbetrag auf 447,51 DM und der Eigenanteil des Klägers auf 176,63 DM. Seit dem 1. Oktober 1999 beliefen sich der monatliche Gesamtbeitrag auf 486,64 DM und der monatliche Eigenanteil des Klägers auf 215,76 DM. Der monatliche Gesamtbeitrag zur Pflegeversicherung betrug vom 1. Mai 1995 bis zum 30. Juni 1996 53,25 DM, vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 1998 73,66 DM und seit dem 1. Januar 1999 59,04 DM. Die Hälfte des Gesamtbeitrages hatte der Kläger als Eigenanteil zu tragen.
Der Kläger hält die geänderte Berechnung in zwei Punkten für unrichtig. Bei der Ermittlung der Nettobeamtenbesoldung dürften von der Bruttobeamtenbesoldung nur die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag, aber keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abgezogen werden. Für die anzusetzende Lohnsteuer spielten die persönlichen Steuerfreibeträge mit Ausnahme der Kinderfreibeträge keine Rolle. Die Verpflichtung der Beklagten, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wie früher bei der Ermittlung der Nettobeamtenbesoldung unberücksichtigt zu lassen, ergebe sich bereits aus § 4 ZTV. Keinesfalls könnten bei der Ermittlung der Nettobeamtenbesoldung die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nach den Tarifen der Mannheimer Versicherung angesetzt werden. Bei einem Fortbestehen seines Beamtenverhältnisses und früheren Versicherungsverhältnisses hätte er deutlich niedrigere Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge entrichten müssen.
Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagte bei der Berechnung der Ausgleichszulage nach § 4 des Zulagentarifvertrages für die Deutsche Flugsicherung GmbH vom 20. August 1993 bei der Berechnung des maßgeblichen Basisnettobetrages eines fiktiven Beamteneinkommens keine Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung berücksichtigen darf und Steuerfreibeträge – mit Ausnahme von Kinderfreibeträgen – nach dieser Vorschrift nicht zu berücksichtigen sind.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat ihre nunmehrige Berechnungsmethode für rechtens gehalten. Der Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei der Ermittlung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung entspreche dem Zweck der Ausgleichszulage und sorge für die gebotene Gleichbehandlung der früheren Beamten mit den früheren Angestellten der Bundesanstalt für Flugsicherung. Bei der fiktiven Nettobeamtenbesoldung sei auf den regulären für Beamte geltenden Tarif der Mannheimer Versicherung abzustellen. Bei der für die Berechnung der Ausgleichszulage maßgeblichen Lohnsteuer seien nicht nur Kinderfreibeträge, sondern auch die in die Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragenen persönlichen Steuerfreibeträge von 1.609,00 DM zu berücksichtigen. § 4 Abs. 2 ZTV stehe nicht entgegen. Diese Vorschrift befasse sich nur mit der Frage, wie die Kinderfreibeträge zu ermitteln seien, enthalte aber keine Aussage zu den übrigen Steuerfreibeträgen. Nach dem Regelungszweck und der Tarifsystematik komme es für die Nettobeamtenbesoldung auf den tatsächlichen steuermindernden Effekt an.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung von Steuerfreibeträgen mit Ausnahme von Kinderfreibeträgen verlangt hat. Soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei der Berechnung der verfügbaren Nettobeamtenbesoldung gefordert hat, ist die Klage abgewiesen worden. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl die Berufung des Klägers als auch die Anschlußberufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger möchte mit seiner Revision erreichen, daß seiner Klage im vollen Umfang entsprochen wird. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Anschlußrevision die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet, die noch anhängige Anschlußrevision der Beklagten jedoch unbegründet. Die Beklagte darf von der Nettobeamtenbesoldung keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abziehen. Bei der Berechnung der Ausgleichszulage spielen die in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibeträge mit Ausnahme der Kinderfreibeträge keine Rolle.
Unterschriften
Kremhelmer, Bepler, Breinlinger, Horst Schmitthenner, Volker Ludwig
Fundstellen