Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %
Leitsatz (amtlich)
§ 17 des Manteltarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen – ohne Ostfriesische Nordseeinseln und den ehemaligen Verwaltungsbezirk Oldenburg – vom 28. August 1991 enthält keine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und begründet keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Höhe von 100 %.
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1 in der vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung; Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Rheinland-Pfalz vom 22. November 1994 § 9 Ziff. 5; BBiG § 12 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. Januar 1999 – 10 Sa 1817/97 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1. Februar 1996 als Auszubildende für den Beruf der Hotelfachfrau beschäftigt. Die Parteien vereinbarten die Anwendung des Manteltarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen – ohne Ostfriesische Nordseeinseln und den ehemaligen Verwaltungsbezirk Oldenburg – vom 28. August 1991 (im folgenden: MTV 1991). Dieser enthält ua. folgende Regelungen:
„§ 8
Grundsätze der Entgeltzahlung
1. Die Entgeltzahlung an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgt monatlich aufgrund des jeweils geltenden Entgelttarifvertrages, für Auszubildende aufgrund der Vereinbarung über Ausbildungsvergütungen.
Diese beiden genannten Tarifverträge sind nicht Bestandteil dieses Manteltarifvertrages.
2. Festentgelt
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten ein monatliches Festentgelt.
3. Umsatzbeteiligung
Wird nicht im Festentgelt bezahlt und ist eine Umsatzbeteiligung …
4. Troncsystem
Wird nicht im Festentgelt bezahlt, sondern mit Troncsystem …
…
8. Auszahlung des Entgeltes
Die Monatsentgelte werden am Schluß des Monats ausgezahlt.
…
§ 14
Urlaubsentgelt
1. Das Urlaubsentgelt je Urlaubstag für die Umsatzbeteiligten ist zu berechnen nach dem durchschnittlichen Gesamtverdienst (Gesamtverdienst = Bruttoentgeltsumme abzüglich zusätzliches Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation).
Dieses errechnet sich:
a) Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dem Betrieb während der letzten vollen 12 Monate angehört haben, aus dem durchschnittlichen Monatsbruttoverdienst der letzten 12 Monate geteilt durch 22.
…
2. Bei allen übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern richtet sich das Urlaubsentgelt nach dem Durchschnittsverdienst der letzten drei Monate.
§ 16
Fälle entschädigungspflichtiger Arbeitsverhinderung
Ergänzend zu den Bestimmungen des § 616 BGB vereinbaren die Parteien:
1. Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten unter Fortzahlung ihrer Bezüge Freizeit:
2 freie Arbeitstage bei:
Eigener Eheschließung, …
1 freier Arbeitstag:
…
- …
2. Das in diesem Fall weiterzuzahlende Entgelt ist in Höhe des Urlaubsentgeltes zu gewähren.
…
§ 17
Entgeltzahlung in Krankheitsfällen
1. Bei Erkrankung, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden ist, hat die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer den Arbeitgeber unverzüglich zu benachrichtigen und die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer durch Vorlegung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung innerhalb von drei Tagen anzuzeigen. Der Arbeitgeber kann die Vorlegung eines amtsärztlichen Zeugnisses auf seine Kosten verlangen.
2. Bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers infolge Krankheit (einschließlich Berufskrankheit und Arbeitsunfall) ist das Entgelt für die Dauer der Arbeitsunterbrechung bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen.
3. Für Anspruchsfälle nach § 185 c RVO wird die Entgeltzahlung ausgeschlossen.
…”
Die Klägerin war in der Zeit vom 17. bis 22. Januar 1997 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete Lohnfortzahlung in Höhe von 80 %.
Mit der Klage hat die Klägerin die Differenz zu 100 % in unstreitiger Höhe geltend gemacht. Zur Begründung hat sie die Ansicht vertreten, § 17 MTV 1991 enthalte eine gesetzesunabhängige Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle. Dies zeige der Wortlaut der Tarifvorschrift ebenso wie der tarifliche Gesamtzusammenhang.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 34,55 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, § 17 MTV 1991 enthalte keine eigenständige Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte schuldet der Klägerin keine weitere Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Januar 1997. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch hat die Beklagte erfüllt. Ein weitergehender tariflicher Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall ist nicht gegeben. Auch aus § 5 Abs. 4 des Berufsausbildungsvertrages ergibt sich für die Klägerin kein entsprechender Anspruch.
I. Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994, das gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 BBiG anzuwenden ist, wurde die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts zunächst unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I S 1476) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall herabgesetzt. Sie betrug nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung des § 4 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz „80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts”. Bestehende tarifliche Regelungen wurden durch die gesetzliche Neuregelung nicht aufgehoben. Der Gesetzgeber des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (BT-Drucks. 13/4612 S 2; Buchner NZA 1996, 1177, 1179 f.).
II. Weder § 17 MTV 1991 noch § 5 Abs. 4 des Berufsausbildungsvertrages enthalten eine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, so daß es für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Jahr 1997 bei der durch die seinerzeitige Gesetzesfassung vorgegebenen Entgeltfortzahlung in Höhe von lediglich 80 % verbleibt.
1. Die Auslegung des § 17 Abs. 2 MTV 1991 ergibt, daß die Tarifvertragsparteien keine eigenständige, dh. in ihrer normativen Wirkung von der gesetzlichen Norm unabhängige Regelung getroffen haben.
a) In diesem Zusammenhang finden die Grundsätze über die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen Anwendung. Diese folgen den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lassen sich auch so zuverlässige Auslegungsergebnisse nicht gewinnen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Anhaltspunkte zurückgreifen, etwa die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages (st. Rspr., vgl. BAG 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – BAGE 89, 95, 101 f.).
b) Der Senat hat einen tariflichen Anspruch auf Fortzahlung von 100 % des Arbeitsentgelts dann bejaht, wenn die Tarifvertragsparteien eine umfassende, rechnerisch lückenlose Regelung über die Bemessung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen haben, sie also nicht nur Rechnungsmethode und -grundlagen, sondern auch das Ergebnis der Berechnung vorgegeben haben. Solche Formulierungen lauten etwa, daß der Arbeitnehmer im Krankheitsfall pro Tag in Höhe eines 1/22 des monatlichen Verdienstes zu vergüten ist (BAG 16. Juni 1998 – 5 AZR 728/97 – BAGE 89, 119) oder für jeden Krankheitstag 1/65 des Gesamtverdienstes der letzten drei Monate erhält (BAG 26. August 1998 – 5 AZR 769/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Holz Nr. 17 = EzA EFZG § 4 Tarifvertrag Nr. 12; vgl. auch BAG 26. August 1998 – 5 AZR 740/97 – BAGE 89, 330). Der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung kann aber auch anders zum Ausdruck kommen. So ist er bejaht worden bei einer Formulierung, nach der „alle Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall Anspruch auf Zahlung des vollen Gehalts bzw. Lohnes entsprechend dem Lohnfortzahlungsgesetz” haben (BAG 5. Mai 1999 – 5 AZR 530/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 6 = EzA EFZG § 4 Tarifvertrag Nr. 28). Demgegenüber hat der Senat keine eigenständige Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung angenommen, wenn die tarifliche Regelung nur die Methode und die Berechnung der Entgeltfortzahlung anders als das Gesetz bestimmt hat (8. September 1999 – 5 AZR 671/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Holz Nr. 19 = EzA EFZG § 4 Tarifvertrag Nr. 38). In gleicher Weise hat er bei einem Tarifvertrag entschieden, der die Weiterzahlung des Gehalts vorsah, ohne Angaben zur Höhe zu machen (BAG 10. Februar 1999 – 5 AZR 698/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Getränkeindustrie Nr. 1, zu III 3 b bb der Gründe; BAG 12. April 2000 – 5 AZR 372/98 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß § 17 Abs. 2 MTV 1991 die Höhe der Entgeltfortzahlung nicht konstitutiv regelt.
aa) Nach dem Wortlaut von § 17 Abs. 2 MTV 1991 ist bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers infolge Krankheit (einschließlich Berufskrankheit und Arbeitsunfall) das Entgelt für die Dauer der Arbeitsunterbrechung bis zur Dauer von sechs Wochen weiterzuzahlen. Weitere Bestimmungen trifft der Tarifvertrag nicht.
Allein in der tariflichen Bestimmung der „Weiterzahlung des Entgelts” ohne Hinzutreten weiterer die Entgelthöhe bestimmender Zusätze ist keine eigenständige Regelung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts zu sehen. Es wird in § 17 Ziff. 2 MTV 1991 der Begriff „Entgelt” nicht näher bestimmt und kein Anzeichen für eine konstitutive Regelung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts gesetzt. Maßgebliche Aussage der Bestimmung ist vielmehr die Dauer der zu leistenden Entgeltfortzahlung.
bb) Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung ergibt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung kein Anhaltspunkt für den Willen der Tarifvertragsparteien, die Höhe der Entgeltfortzahlung konstitutiv zu regeln.
Der Umstand, daß § 17 Abs. 3 MTV 1991 für Fälle des § 185 c RVO – heute § 47 SGB V – den Ausschluß der Entgeltzahlung vorsieht, führt – anders als die Klägerin meint – nicht zu der Annahme, daß im vorhergehenden Absatz der Vorschrift ein Anspruch begründet worden wäre. § 185 c RVO bzw. § 47 SGB V regelt nämlich den Anspruch auf Krankengeld und Freistellung bei Erkrankung eines Kindes. Die Vorschriften befassen sich also gerade nicht mit einem Fall der Arbeitsunfähigkeit, für die nach § 17 Abs. 2 MTV 1991 Entgelt zu zahlen wäre. Schon von daher kann § 17 Abs. 3 MTV 1991 kein Hinweis dafür entnommen werden, daß § 17 Abs. 2 MTV 1991 die Höhe der Entgeltfortzahlung eigenständig regelt.
Anders als die Revision meint, ist auch aus dem Umstand, daß der Begriff „Entgelt” nicht nur in § 17 Abs. 2 MTV 1991 vorkommt, sondern auch in anderem Zusammenhang und anderen Zusammensetzungen (etwa „Monatsentgelt” oder „Entgeltzahlung”), nicht auf eine hundertprozentige Entgeltfortzahlung zu schließen. Insbesondere § 8 MTV 1991, dem die Klägerin wohl entnehmen will, daß mit „Entgelt” in § 17 Abs. 2 MTV 1991 das monatliche Festentgelt für festvergütete Beschäftigte gemeint sei, regelt lediglich die Grundsätze der Entgeltzahlung. Es wird aber gerade nicht im Sinne einer Legaldefinition die Höhe dessen festgelegt, was in allen Fällen der Entgeltzahlung zu leisten ist.
Wie schon das Landesarbeitsgericht ausgeführt hat, ergibt sich auch aus der dem § 17 vorangehenden Regelung in § 16 nichts anderes. Die Revision macht insoweit geltend, § 17 Abs. 2 MTV 1991 nehme durch den Begriff „Entgelt” die in § 16 Abs. 2 MTV 1991 verwandte Formulierung „das in diesem Fall weiterzuzahlende Entgelt” auf und führe damit auch die inhaltliche Regelung fort, wonach das Gehalt in Höhe des Urlaubsentgelts zu zahlen sei. Dies folge einmal daraus, daß die beiden Vorschriften direkt aufeinander folgten („aus der engen Anschlußregelung des § 17 an § 16”). Zum anderen könne § 17 Abs. 2 MTV 1991 auch nur so verstanden werden, weil es andernfalls für die Arbeitnehmer mit Umsatzbeteiligung keine Regelung gebe, wie ihr Entgelt im Krankheitsfall zu berechnen sei. Dem kann nicht gefolgt werden. § 17 Abs. 2 MTV 1991 nimmt die in § 16 Abs. 2 getroffene Regelung gerade nicht auf. Hätten die Tarifvertragsparteien in § 17 Abs. 2 MTV 1991 dasselbe regeln wollen wie in § 16 Abs. 2 MTV 1991, so hätten sie dies – wie es üblich ist – entweder durch Wiederholung der Regelung des § 16 Abs. 2 MTV 1991 in § 17 Abs. 2 MTV oder durch einen Verweis auf die zuvor getroffene Regelung getan. Allein in der Verwendung des Wortes „Entgelt” kann angesichts der Allgemeinheit dieses Begriffs kein Verweis gesehen werden.
2. Der Klageanspruch folgt auch nicht aus § 5 Abs. 4 des Berufsausbildungsvertrages, denn diese Vertragsbestimmung enthält keine näheren Angaben zur Höhe des fortzuzahlenden Entgelts.
Unterschriften
Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Müller, Zorn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 30.08.2000 durch Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 2368 |
NZA 2001, 1266 |
SAE 2001, 198 |
AP, 0 |