Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung eines Urteils nach mehr als 12 Monaten
Orientierungssatz
Der Senat hält auch nach erneuter Prüfung daran fest, daß es aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geboten ist, Urteile stets und ausnahmslos als ohne Gründe im Sinne des § 551 Nr 7 ZPO anzusehen, die den Parteien später als 12 Monate (hier: 16 Monate) nach der Verkündung zugestellt werden.
Normenkette
ZPO § 551 Nr. 7
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.03.1987; Aktenzeichen 4 Sa 1928/86) |
ArbG Stade (Entscheidung vom 07.10.1986; Aktenzeichen 1 Ca 240/86) |
Tatbestand
Der dem Marburger Bund angehörende Kläger ist Arzt und wurde mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 17. Mai 1982 ab 1. Juli 1982 als Assistenzarzt für die Frauenklinik des Krankenhauses der Beklagten bis 30. Juni 1984 befristet eingestellt. Einzelarbeitsvertraglich haben die Parteien die Geltung des BAT in Verbindung mit der Anlage 2c zum BAT sowie der Anlage 2y zum BAT vereinbart.
Mit Wirkung vom 1. Oktober 1983 wechselte der Kläger auf eigenen Wunsch als Assistenzarzt in die Anästhesie-Abteilung des Städtischen Krankenhauses. Aufgrund des Nachtrags vom 5. Juni 1984 zum Arbeitsvertrag vom 17. Mai 1982 wurde das befristete Arbeitsverhältnis über den 30. Juni 1984 hinaus bis zum 30. Juni 1986 verlängert. Zu diesem Zeitpunkt waren von den zehn ärztlichen Planstellen der Anästhesie-Abteilung 10,6 Stellen tatsächlich besetzt. Davon entfielen 3,6 Planstellen auf unbefristete und sieben Planstellen auf befristete Arbeitsverträge. Während das Arbeitsverhältnis des Klägers am 30. Juni 1984 enden sollte, waren die Arbeitsverträge der übrigen sechs ärztlichen Mitarbeiter bis 31. März, 31. August, 30. September und 31. Dezember 1985 sowie bis 31. März und 31. Mai 1986 befristet.
Mit Schreiben vom 27. Januar 1986 fragte der Kläger bei der Beklagten nach, ob er im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses weiterbeschäftigt werden könne. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 25. April 1986 ab. Dem Angebot der Beklagten, erneut einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, um dem Kläger die Möglichkeit zur Beendigung seiner Weiterbildung in der Anästhesiologie zu geben, stimmte der Kläger nicht zu. Er fand jedoch im unmittelbaren Anschluß an das bis zum 30. Juni 1986 befristete Arbeitsverhältnis eine neue Stelle als Arzt bei einem anderen Krankenhaus, wo er in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis seine Weiterbildung zum Anästhesisten fortsetzen konnte.
Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 30. Juni 1986 befristet ist, sondern über den 30. Juni 1986 hinaus zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht. Hierzu hat er vorgetragen, die Befristung seines Arbeitsvertrages sei unwirksam, da es an einem sachlichen Grund für die Befristung sowie deren Dauer gefehlt habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien
bestehende Dienstverhältnis nicht zum 30. Juni
1986 befristet ist, sondern über den 30. Juni
1986 zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat erwidert, der Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages rechtfertige sich aus den Sonderregelungen 2y BAT.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht mit dem am 25. März 1987 verkündeten und am 20. Juli 1988 dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugestellten Urteil die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Parteien haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 128 Abs. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der von der Revision geltend gemachte absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO liegt vor. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist im Sinne dieser Vorschrift nicht mit Gründen versehen.
1. Das Urteil des Berufungsgerichts enthält zwar auf den Seiten 8 bis 11 unter der Überschrift "Entscheidungsgründe" Ausführungen zum vorliegenden Rechtsstreit, doch können diese nicht als Gründe im Sinne von § 551 Nr. 7 ZPO angesehen werden. Denn das am 25. März 1987 verkündete Urteil ist den Parteien erst am 19. bzw. 20. Juli 1988, also 16 Monate nach seiner Verkündung, zugestellt worden. Aus dieser verspäteten Zustellung folgt, daß die am 25. März 1987 verkündete Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist (§ 551 Nr. 7 ZPO).
2. Von welchem Zeitpunkt an ein Urteil infolge verspäteter Zustellung im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO "nicht mit Gründen versehen ist", ist gesetzlich nicht geregelt. Der im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltende allgemeine Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) erfordert eine möglichst kurze Frist, da der Rechtsschutz immer stärker dadurch beeinträchtigt wird, je länger die schriftliche Absetzung eines verkündeten Urteils auf sich warten läßt. Zudem besteht die Gefahr, daß die vom Landesarbeitsgericht aufgrund einer mündlichen Verhandlung festgestellten Tatsachen nach einer unangemessen langen Zeit nicht mehr zutreffend im Urteil wiedergegeben werden. Bei Entscheidungen, die aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen sind, kommt hinzu, daß Angriffe gegen ein nach unangemessen langer Zeit zugestelltes Urteil erschwert werden, weil die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung in der Erinnerung der Beteiligten verblaßt sind. Es ist weiterhin nicht auszuschließen, daß bei einer verspäteten Urteilsabfassung die beratenen Entscheidungsgründe nicht mehr zutreffend dargestellt werden.
Aus diesen Erwägungen hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts erstmals im Urteil vom 24. Februar 1982 (- 4 AZR 313/80 - BAGE 38, 55, 57 f. = AP Nr. 1 zu § 68 ArbGG 1979) in Anlehnung an die Auffassung des Bundessozialgerichts (BSGE 51, 122) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 50, 278) ausgesprochen, ein Urteil, das den Parteien später als zwölf Monate nach der Verkündung zugestellt werde, müsse grundsätzlich als Urteil ohne Gründe angesehen werden (ebenso Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 60 Rz 11). In dem unveröffentlichten Urteil vom 9. März 1983 (4 AZR 350/81) hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts seine Rechtsprechung bestätigt. Der erkennende Senat hat sich im Urteil vom 15. August 1984 (- 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969, unter I 3 der Gründe) dieser Auffassung angeschlossen. Hieran hält der Senat auch nach erneuter Prüfung fest, denn nach Ablauf von zwölf Monaten seit Verkündung eines Urteils ist nicht mehr gewährleistet, daß ein erst dann zugestelltes Urteil die für die Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen zutreffend wiedergibt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist es geboten, Urteile stets und ausnahmslos als ohne Gründe anzusehen, die den Parteien später als zwölf Monate nach der Verkündung zugestellt werden.
3. Der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO führt dazu, daß das Urteil des Landesarbeitsgerichts unwiderlegbar als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist und aufgehoben werden muß. Eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat
damit verwehrt.
Dr. Seidensticker Dr. Steckhan Dr. Becker
Nehring Schmalz
Fundstellen