Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Rentner. Mitgliedschaft. Ausübung des Optionsrechts zugunsten der freiwilligen Versicherung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Wiederaufleben der Ausschlusswirkung des § 5 Abs 8 S 2 SGB 5 nach Beendigung einer zwischenzeitlich aufgenommenen versicherungspflichtigen Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
1. Zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Zusammenhang mit der Ausübung des Optionsrechts nach § 9 Abs 1 Nr 6 SGB V aF im Jahre 2002.
2. Bei ausgeübtem Optionsrecht zugunsten der freiwilligen Versicherung lebt nach Beendigung einer danach aufgenommenen pflichtversicherten Beschäftigung die Ausschlusswirkung des § 5 Abs 8 S 2 SGB V wieder auf.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Juli 2021 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2019 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Mitgliedschaft des 1955 geborenen Klägers und Berufungsbeklagten ab 01.01.2019 in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Der Kläger bezog gemäß Rentenbescheid vom 18.03.2002 ab 01.11.2001 eine Erwerbsminderungsrente. Zu dieser Zeit war er bei der Beklagten freiwillig versichert. Da zum damaligen Rechtsstand freiwillige Versicherungszeiten auf die Vorversicherungszeit für die KVdR nicht anrechenbar waren, bestand die freiwillige Mitgliedschaft trotz des Bezugs der Erwerbsminderungsrente fort.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15.03.2000 und der Einräumung eines Optionsrechts durch das 10. SGB V-Änderungsgesetz ab 01.04.2002 wählte der Kläger die Fortführung der freiwilligen Mitgliedschaft. Er unterschrieb am 29.03.2002 eine "Beitrittserklärung nach § 9 I Nr. 6 SGB V". Auf dieser befindet sich unter dem Unterschriftsfeld folgende vorgedruckte Information: "Die Information der AOK erfolgt nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage. Mögliche gesetzliche Änderungen in der Zukunft können sich unter Umständen negativ auswirken."
Im Zeitraum 01.09.2006 bis 31.12.2018 war der Kläger bei der Beklagten aufgrund eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses pflichtversichert. Seit 01.01.2019 bezieht er gemäß Rentenbescheid der DRV Bayern Süd vom 30.01.2019 eine Altersrente. Er ist auch seit 01.01.2019 bei der Beklagten freiwillig versichert.
Am 15.03.2019 beantragte der Kläger in einem persönlichen Beratungsgespräch bei der Beklagten die Aufnahme in die KVdR. Die Beklagte lehnte den Antrag mit (mündlich ergangenem) Bescheid vom 15.03.2019 unter Bezugnahme auf die Ausübung des Optionsrechts mit Fortführung der freiwilligen Versicherung ab 01.04.2002 ab. Wer einmal von dem Optionsrecht Gebrauch gemacht und sich für die freiwillige Versicherung entschieden habe, könne nicht in die KVdR zurückwechseln. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung im Jahr 2002 sei der Beitrag zur freiwilligen Versicherung im Verhältnis zum Beitrag der KVdR geringer gewesen, vermutlich habe der Kläger aus diesem Grund damals die freiwillige Versicherung gewählt.
Im Widerspruchsverfahren argumentierte der Kläger, dass die 2002 abgegebene Erklärung hinfällig sein müsse, da er im Zeitraum September 2006 bis Ende Dezember 2018 wieder als Arbeitnehmer beschäftigt und daher nun in der KVdR krankenversichert sei.
Die Beklagte wies darauf hin, dass der Kläger ab 01.04.2002 grundsätzlich die Voraussetzungen zur KVdR erfüllt habe, allerdings das damals eingeräumte Optionsrecht zugunsten einer freiwilligen Krankenversicherung wahrgenommen habe. Die Wahl der freiwilligen Krankenversicherung gelte auf Dauer, auch wenn zwischenzeitlich die freiwillige Mitgliedschaft durch die Aufnahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsver-hältnisses beendet worden sei. Eine Aufnahme in die KVdR sei somit nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses nicht möglich.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2019 zurück. Der Kläger sei während des Bezugs der Erwerbsminderungsrente (ab 01.11.2001) freiwillig versichert gewesen und habe die Vorversicherungszeit für die KVdR nur unter Berücksichtigung der freiwilligen Versicherungszeiten erfüllt. Da zum damaligen Rechtsstand die freiwilligen Versicherungszeiten auf die Vorversicherungszeit für die KVdR nicht anrechenbar gewesen seien, habe die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers trotz des damaligen Rentenbezugs fortbestanden. Nach einer Entscheidung des BVerfG sei durch eine Gesetzesänderung ab 01.04.2002 ein Optionsrecht für Rentner eingeräumt worden, die nur wegen freiwilliger Versicherungszeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung die Vorversicherungszeit für die KVdR nicht erfüllt hätten. Durch Ausübung des Optionsrechts hätten die Betroffenen sich damals aktiv entscheiden können, ihre freiwillige Mitgliedschaft fortzuführen und nicht Mitglied in der KVdR zu werden. Der Kläger habe zum damaligen Z...