3.2.1 Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers
Nach § 6 Abs. 5 TVöD/TV-L ist der Arbeitgeber berechtigt Rufbereitschaft anzuordnen. § 6 Abs. 5 TVöD/TV-L regelt, dass der Arbeitgeber Rufbereitschaft nur bei „begründeter dienstlicher oder betrieblicher Notwendigkeit“ anordnen darf. Von begründeter dienstlicher oder betrieblicher Notwendigkeit ist auszugehen, wenn keine andere sinnvolle Regelung der Arbeitszeit für die geforderte Leistung möglich ist. Der Arbeitgeber darf daher Rufbereitschaft nur dann anordnen, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben im Betrieb oder in der Verwaltung notwendig ist und die Entscheidung auf sachlichen und nachvollziehbaren Gründen beruht. Darüber hinaus gelten auch für die Anordnung von Rufbereitschaft die für das Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers von Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, insbesondere hat die Anordnung von Bereitschaftsdienst nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu erfolgen. Der Arbeitgeber ist daher vor der Anordnung verpflichtet, die begründeten dienstlichen oder betrieblichen Interessen gegen berechtigte Interessen des Arbeitnehmers abzuwägen.
Wie auch beim Bereitschaftsdienst ist das Anordnungsrecht des Arbeitgebers für Rufbereitschaft im Gegensatz zum früheren Tarifrecht auf Beschäftigte in Vollzeit beschränkt (siehe dazu näher Abschnitt 2.2.2).
Der TVöD enthält neben der allgemeinen Begriffsbestimmung (s. § 7 Abs. 3 TVöD) keine weiteren Voraussetzungen für die Anordnung von Rufbereitschaft.
Im Gegensatz zur früheren Definition der Rufbereitschaft im BAT ist nach der Definition des TVöD die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers nicht auf die Fälle beschränkt, in der erfahrungsgemäß nur in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Dieser Teil der Definition ist nicht in den TVöD übernommen worden. Ähnlich wie beim Bereitschaftsdienst ist damit eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Rufbereitschaft erfolgt. Die Grenze der Anordnungsbefugnis für Rufbereitschaft wird in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst jedenfalls dort gezogen werden müssen, wo erfahrungsgemäß mit Arbeitsanfall zu rechnen ist (Arbeitsleistung > 49 %). Wie beim Bereitschaftsdienst wird auch hier eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung erfolgen müssen.
3.2.2 Aufenthaltsort des Beschäftigten
Der wesentliche Unterschied zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst besteht darin, dass bei der Rufbereitschaft nicht der Arbeitgeber den Aufenthaltsort vorgibt, sondern der Beschäftigte frei wählen kann. Gleichzeitig besteht das Erfordernis, dass er dem Arbeitgeber seinen Aufenthaltsort mitteilt, damit dieser ihn jederzeit erreichen kann, um ihn zur Arbeit aufzufordern. Dies setzt voraus, dass sich der Aufenthaltsort in einer Entfernung von der Arbeitsstelle befindet, die es ermöglicht, die Arbeitsstelle in angemessener Zeit zu erreichen.
Die Freiheit der Ortswahl, die charakteristisch für Rufbereitschaft ist, geht verloren, wenn der Arbeitgeber zwar keinen festen Aufenthaltsort vorschreibt, aber dem Arbeitnehmer eine zu kurze Zeitspanne setzt, innerhalb derer er die Arbeit aufnehmen muss und der Arbeitnehmer faktisch gezwungen ist, sich in der Nähe seines Arbeitsplatzes aufzuhalten.
So wurde durch die Rechtsprechung entschieden, dass Reaktionszeiten von 8 Minuten, 15-20 Minuten,
20 Minuten
zu kurz sind und zu Bereitschaftsdienst führen. Demgegenüber wurde eine Reaktionszeit von 45 Minuten als ausreichend angesehen.
Auch der EuGH befasst sich in diesem Zusammenhang derzeit regelmäßig mit Vorabentscheidungsverfahren zu Themen der Rufbereitschaft. So beispielsweise in Bezug auf den Rufbereitschaftsdienst eines Sendetechnikers, der in den Hochgebirgen tätig ist,, sowie im Kontext von Feuerwehrleuten. Die Urteile bauen auf der Entscheidung aus dem Jahr 2018 auf und konzentrieren sich auf die Gestaltungsmöglichkeiten der inaktiven Zeiten während der Bereitschaft, also darauf, wie Beschäftigte diese Zeit für eigene Zwecke nutzen können. Der EuGH wendet sich dabei ab von starren Zeitangaben und betont die Notwendigkeit einer umfassenden Einzelfallbewertung, überlässt jedoch den nationalen Gerichten die Entscheidung, ob eine Rufbereitschaftszeit als Arbeitszeit zu klassifizieren ist oder nicht. Dabei legt der Gerichtshof wichtige Kriterien fest, die den nationalen Gerichten als Orientierung dienen. Zwei zentrale Faktoren für die Entscheidungsfindung sind weiterhin der Reaktionszeitraum, also die Frist, innerhalb derer eine Arbeitsaufnahme erfolgen muss, sowie die durchschnittliche Häufigkeit und Dauer der Abrufe.
Die Ergebnisse unterscheiden sich häufig erheblich von den etablierten Kriterien der deutschen Rechtsprechung und zeigen eine deutliche Neigung zur Einzelfallprüfung sowie zu einer restriktiven Bewertung der Zulässigkeit von Rufbereitschaft.