Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Beschluss vom 15.09.1999) |
SG Itzehoe (Beschluss vom 25.06.1999) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Beklagten werden die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. September 1999 und des Sozialgerichts Itzehoe vom 25. Juni 1999 geändert.
Es wird festgestellt, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist.
Tatbestand
I
Aufgrund der weiteren Beschwerde des beklagten Landkreises ist gemäß § 17a Abs 3, 4 Satz 4 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorab über die Zulässigkeit des Sozialrechtsweges in einem Rechtsstreit zu entscheiden, der die Zustimmung einer Landesbehörde zur gesonderten Berechnung von Investitionsaufwendungen durch ein Pflegeheim nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) betrifft.
Die klagende GmbH betreibt eine zugelassene stationäre Pflegeeinrichtung (Pflegeheim) iS der §§ 71 Abs 2, 72 Abs 1 SGB XI in G…/Schleswig-Holstein. Im Dezember 1998 legte die Klägerin dem Beklagten eine Aufstellung von – nach ihrer Auffassung – “gesondert berechenbaren Aufwendungen” iS von § 82 Abs 3 Satz 1, 2 SGB XI in Höhe von 35,62 DM täglich pro Pflegeplatz zur Zustimmung nach § 82 Abs 3 Satz 3 1. Halbsatz SGB XI vor. Der Beklagte stimmte nur in Höhe von 27,41 DM zu und lehnte darüber hinaus die Zustimmung ab (Bescheid vom 22. Februar 1999; Widerspruchsbescheid vom 31. März 1999).
Das Sozialgericht (SG) hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht verwiesen (Beschluß vom 25. Juni 1999). Es hat ausgeführt, die zur gesonderten Berechnung von Investitionsaufwendungen notwendige Zustimmung der Landesbehörde habe durch Verwaltungsakt zu ergehen, weshalb die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Art iS von § 40 Abs 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sei. Die Materie sei nicht durch Bundesgesetz einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen. § 51 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beziehe sich nur auf das Leistungs- und Leistungserbringerrecht der sozialen und privaten Pflegeversicherung, wie sich aus den Gesetzesmotiven sowie dem systematischen Zusammenhang (zB wegen der andernfalls überflüssigen Rechtswegzuweisungen der §§ 73 Abs 2 Satz 1, 74 Abs 3 Satz 2 und 85 Abs 5 Satz 3 SGB XI) ergebe. In gleichem Sinne habe auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) durch Beschluß vom 23. Dezember 1998 (3 B 22/98 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr 283) entschieden. Die begehrte Zustimmung obliege nicht den Pflegeversicherungsträgern, sondern den durch Landesrecht bestimmten Landesbehörden; das SGB XI enthalte zudem keine Regelungen über Art, Höhe, Laufzeit und Verteilung der fraglichen Aufwendungen, sondern übertrage in § 82 Abs 3 Satz 3 2. Halbsatz SGB XI auch diese Fragen der Landesgesetzgebung. Schließlich sprächen auch die Gesichtspunkte der Sachkunde, der Sachnähe und des Sachzusammenhanges wegen der Abhängigkeit der Zustimmung von der Investitionsförderung (§ 9 SGB XI) für den Verwaltungsrechtsweg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen (Beschluß vom 15. September 1999). Es hat sich dem SG in Ergebnis wie Begründung angeschlossen.
Mit seiner – vom LSG zugelassenen – weiteren Beschwerde macht der Beklagte geltend, die Zuständigkeit der Sozialgerichte ergebe sich aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, so daß es auf eine historische und systematische Auslegung nicht ankomme.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. September 1999 sowie des Sozialgerichts Itzehoe vom 25. Juni 1999 abzuändern und vorab festzustellen, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist.
Die Klägerin beantragt,
die weitere Beschwerde des Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Beschlüsse.
Entscheidungsgründe
II
1. Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 17a Abs 4 Satz 4 GVG).
Die vom SG ausgesprochene Nichtabhilfeentscheidung ist in § 17a GVG nicht vorgesehen und ergibt sich auch nicht aus § 174 SGG; sie ist jedoch unschädlich (vgl zum Ganzen: Beschlüsse des Senats in BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 21, BSGE 79, 80, 82 = SozR 3-1500 § 51 Nr 19 und BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 15).
Die Entscheidung selbst konnte ohne mündliche Verhandlung (BSG aaO; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 51 RdNr 58a) und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter ergehen (§ 12 Abs 1 Satz 2 SGG iVm den §§ 165 Satz 1, 153 Abs 1 SGG).
2. Die weitere Beschwerde ist auch begründet.
Nach der durch Art 33 Pflegeversicherungsgesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl I, 1014) geschaffenen Regelung des § 51 Abs 2 Satz 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über Streitigkeiten, die “in Angelegenheiten nach dem SGB XI” entstehen. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich hier. Wegen der noch nicht vollständigen Feststellungen des LSG muß der Senat für die bloße Rechtswegfrage unterstellen, daß die klagende GmbH eine Pflegeeinrichtung (Pflegeheim) iS der §§ 71 Abs 2, 72 Abs 1 SGB XI betreibt, deren betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen oder Aufwendungen für “Miete, Pacht, Nutzung oder Mitbenutzung von Gebäuden oder sonstige abschreibungsfähige Anlagegüter” durch öffentliche Leistungen nach § 9 SGB XI entweder “nicht vollständig” (§ 82 Abs 3 Satz 1 SGB XI) oder nur durch “Darlehen oder sonst rückzahlbare Zuschüsse” (§ 82 Abs 3 Satz 2 SGB XI) gefördert werden. In diesen beiden Fällen kann die Klägerin zwar derartige überschießende Aufwendungen den Pflegebedürftigen gesondert in Rechnung stellen, sie bedarf dazu jedoch der Zustimmung der zuständigen Landesbehörde (§ 82 Abs 3 Satz 3 1. Halbsatz SGB XI); das Nähere hierzu, insbesondere zu Art, Höhe, Laufzeit und Verteilung der gesondert berechenbaren Aufwendungen auf die Pflegebedürftigen, wird durch Landesrecht bestimmt (§ 82 Abs 3 Satz 3 2. Halbsatz SGB XI). Hingegen können Pflegeeinrichtungen ohne landesrechtliche Förderung ihre betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen den Pflegebedürftigen ohne Zustimmung der zuständigen Landesbehörde gesondert berechnen; sie unterliegen nur der Mitteilungspflicht an die zuständige Landesbehörde (§ 82 Abs 4 SGB XI).
Die im Hauptverfahren streitige Frage, ob die Zustimmung des Beklagten in dem von der Klägerin begehrten Umfang zu erteilen ist, zählt zu den “Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB XI entstehen”. Denn die Vorschrift, in der die fragliche Angelegenheit (die Zustimmung) – jedenfalls hinsichtlich der grundsätzlichen Fragen der Notwendigkeit der Zustimmung, der Zuständigkeit für dieselbe und der Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers für die näheren Einzelheiten – normiert ist, findet sich in § 82 (Abs 3 Satz 3 1. Halbsatz sowie Satz 4) SGB XI. Eine Angelegenheit, die – zumindest im Grundsatz – im SGB XI normiert ist, ist eine solche “nach dem SGB XI”. Daß “das Nähere hierzu” durch Landesrecht ausgeführt wird, spielt demgegenüber keine Rolle; dadurch wird die Sache nicht zu einer Angelegenheit nach Landesrecht. Ebensowenig kommt es darauf an, daß das Verhältnis zwischen dem Pflegebedürftigen und dem Pflegeheim privatrechtlicher Natur ist; denn hier geht es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht um dieses Verhältnis, sondern um die Zustimmung der Landesbehörde, also das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen dieser und dem Pflegeheim. Schließlich ist unmaßgeblich, daß die Landesbehörde kein Pflegeversicherungsträger ist; denn die Rechtswegzuweisung spricht von “Angelegenheiten nach dem SGB XI”, nicht von “Angelegenheiten der Pflegeversicherungsträger” und auch nicht einmal von “Angelegenheiten der Pflegeversicherung”.
Die Auffassung des LSG, die hier in Frage stehende Zustimmung der Landesbehörde sei keine “Angelegenheit nach dem SGB XI”, überzeugt nicht. Das vom LSG in Bezug genommene SG zitiert zustimmend den Beschluß des erkennenden Senats vom 8. August 1996 (BSGE 79, 80, 82 f = SozR 3-1500 § 51 Nr 19), wonach unter derartigen Angelegenheiten solche der sozialen und privaten Pflegeversicherung zu verstehen sind, stellt dies dann aber dem “Leistungs- und Leistungserbringerrecht” gleich (so auch Meyer-Ladewig, aaO § 51, RdNr 37a, und Hennig in ders, SGG, Stand März 1998, § 51 RdNr 27), worunter die Zustimmung der Landesbehörde nicht falle. Es kann dahinstehen, ob die Formulierung “Angelegenheiten nach dem SGB XI” ausschließlich Angelegenheiten der sozialen und privaten Pflegeversicherung umfaßt und ob dies auch mit “Leistungsund Leistungserbringerrecht” zutreffend umrissen ist. Denn auch die Zustimmung der Landesbehörde zur Pflegesatzberechnung eines Pflegeheimes ist Teil des Leistungserbringerrechts der sozialen und privaten Pflegeversicherung.
Der Hinweis von LSG und SG auf die Begründung der im Entwurf zum 1. SGB XI-Änderungsgesetz noch vorgesehenen Änderung von § 51 Abs 2 Satz 2 SGB XI (BT-Drucks 13/3696 S 19), die für die private Pflegeversicherung nur eine begrenzte Zuständigkeit der Sozialgerichte vorsah, führt schon deshalb nicht weiter, weil es nicht zu dieser Änderung gekommen ist (so schon Beschluß des Senats aaO). Die Gesetzesmaterialien zu § 82 Abs 3 und 4 SGB XI lassen keine Erwägungen zum Rechtsweg erkennen. Diese schon mit dem SGB XI in Kraft getretenen Vorschriften sind erst im Vermittlungsverfahren ohne schriftliche Begründungen eingefügt worden (vgl im einzelnen Vollmer, Die neue Pflegeversicherung/SGB XI, 1994, zu § 9 = S 33 ff und § 91 = S 312 ff, jeweils mwN aus den Materialien). Soweit die Vorinstanzen aus den besonderen Rechtswegerwähnungen in den §§ 73 Abs 2 Satz 1, 74 Abs 3 Satz 2 und 85 Abs 5 Satz 3 SGB XI folgern, daß es auch im vorliegenden Zusammenhang einer besonderen Rechtswegzuweisung bedurft hätte, übersehen sie, daß die angeführten Regelungen nur die Rechtsschutzmöglichkeiten klarstellen, nicht aber eine Rechtswegzuweisung bedeuten, die nicht bereits von § 51 Abs 2 Satz 2 SGG erfaßt wäre (Spellbrink in Hauck/Wilde, SGB XI, Stand Februar 1999, § 73 RdNr 8, § 76 RdNr 18 f, § 77 RdNr 23 und § 78 RdNr 9; Wilde aaO, § 1 RdNr 5 mit Fußnote 3a). Einer Zuordnung dieses Rechtsstreits zum Sozialrechtsweg steht auch der oben erwähnte Beschluß des BVerwG nicht entgegen, weil sich dieser auf die Investitionsförderung durch die Länder bezieht, die § 9 SGB XI in nur klarstellender Weise den Ländern vorbehält, die nach dem Grundgesetz den Sicherstellungsauftrag für die Pflegeeinrichtungen haben. Die Zustimmung der Landesbehörde setzt zwar eine partielle Landesförderung voraus, dient aber in erster Linie der dem SGB XI zuzuordnenden Ermittlung der Vergütung von Pflegeeinrichtungen (§§ 82 Abs 1, 2; 83 ff SGB XI), um einerseits den Pflegebedürftigen vor Übervorteilung zu schützen und andererseits einen Mißbrauch öffentlicher Gelder zu verhüten. Sofern bei der Frage der Rechtswegzuweisung dem Gesichtspunkt der Sachnähe – in Abwägung mit dem Wortlaut des Gesetzes – überhaupt Bedeutung zukommen kann (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 17), spricht auch er nicht für die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, weil eine Verknüpfung mit Rechtsfragen der Investitionsförderung nicht besteht.
3. Eine isolierte Kostenentscheidung zu der Rechtswegbeschwerde ist wegen der Besonderheiten der Kostenberechnung im sozialgerichtlichen Verfahren nicht geboten. Nach § 17b Abs 2 Satz 1 GVG sind die Kosten im Verfahren “vor dem angegangenen Gericht” bei Verweisung an ein anderes Gericht als Kostenteil im Verfahren vor diesem zu behandeln; für die Kosten der Rechtswegbeschwerde und der weiteren Beschwerde (§ 17a GVG) haben Bundesgerichtshof und BVerwG hingegen eine Kostenentscheidung für erforderlich gehalten (BGH LM GVG § 13 Nr 194 = NJW 1993, 2541, 2542; BVerwGE 103, 26, 32). In der Sozialgerichtsbarkeit kann das jedoch nur für die Verfahren nach § 116 Abs 2 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) gelten, für welche die Vorschriften des Dritten Abschnitts der BRAGO sinngemäß anzuwenden sind (§ 116 Abs 2 Satz 2 BRAGO), mithin auch § 61 Abs 1 Nr 1 BRAGO über das Entstehen einer gesonderten Gebühr für ein Beschwerdeverfahren. Die Klage eines Pflegeheims auf Zustimmung einer Landesbehörde zur gesonderten Berechnung von Investitionsaufwendungen gegenüber einem Pflegeversicherten ist keines der in § 116 Abs 2 BRAGO enumerativ aufgeführten Verfahren. Deshalb gilt für die Gebühren des Rechtsanwalts allein die Rahmengebühr nach § 116 Abs 1 BRAGO im Hauptverfahren, in deren Rahmen der erhöhte Aufwand des Prozeßbevollmächtigten für eine Beschwerde zu berücksichtigen ist (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, XII RdNr 92 = S 517). Die Rechtswegbeschwerde ist kein eigener Rechtszug (vgl zu diesem Kriterium Krasney/-Udsching aaO), sondern ein Zwischenstreit über eine Sachurteilsvoraussetzung während des erstinstanzlichen Verfahrens (BGH aaO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 58. Aufl 2000, § 303, RdNr 7).
Fundstellen