Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde bei wegen Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmangel
Orientierungssatz
1. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw. das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben. Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG oder das BVerfG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Beschluss vom 7.9.2016 hat das Bayerische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Leistung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Lebensgefährten verneint und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Landshut vom 8.4.2014 zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und macht Verfahrensmängel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde der Klägerin ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert als Frage grundsätzlicher Bedeutung,
"ob hinterbliebene Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die insbesondere durch die Erziehung eines gemeinsamen Kindes gekennzeichnet ist und ein gemeinsamer Haushalt bestand, von einer Entschädigung nach § 46 SGB VI ausgeschlossen sind."
Es kann dahinstehen, ob sie damit zumindest eine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert hat, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschlüsse vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - Juris RdNr 15 und vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Denn es fehlt an ausreichenden Darlegungen, dass diese Frage klärungsbedürftig ist.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG oder das BVerfG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching, aaO, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es bereits. Die Klägerin stellt in ihrer Beschwerdebegründung nicht dar, woraus sich weiterer verfassungsrechtlicher Klärungsbedarf ergibt. Das LSG hat in der hier von der Klägerin angegriffenen Entscheidung einen Beschluss des BVerfG vom 17.11.2010 (1 BvR 1883/10 - BVerfGK 18, 249 = NZS 2011, 659) zitiert. Darin hat das BVerfG bereits entschieden, dass unter "Witwe" iS von § 46 SGB VI nur die Überlebende einer zivilrechtlich wirksam geschlossenen Ehe zu verstehen ist und dass Ehepartner im Falle der Auflösung der Ehe durch Tod durch den Anspruch auf Leistung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bessergestellt werden dürfen als Menschen, die in weniger verbindlichen Paarbeziehungen zusammenleben. Dem entspreche die Nichteinbeziehung von überlebenden nichtehelichen Lebensgefährten in die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl BVerfG aaO, RdNr 11). Diese vom LSG ausführlich widergegebene Entscheidung des BVerfG wird von der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung noch nicht einmal erwähnt. Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser verfassungsrechtlichen Rechtsprechung erfolgt nicht. Dazu hätte insbesondere im Hinblick darauf Anlass bestanden, dass Gegenstand der Entscheidung des BVerfG ebenfalls eine nichteheliche Lebensgemeinschaft war, aus der ein Kind hervorging.
2. Soweit die Klägerin darüber hinaus vorträgt, es fehle im Beschluss des LSG eine Begründung dafür, dass ihr Anspruch auf Leistung einer Erziehungsrente nach § 47 SGB VI nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen sei, rügt sie das Fehlen von Entscheidungsgründen (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG). Auch insoweit genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Ein Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht hinreichend bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist zwar nicht erst verletzt, wenn überhaupt keine Gründe vorliegen, sondern bereits dann, wenn einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht behandelt worden sind oder wenn die Erwägungen, die das Gericht in einem entscheidungserheblichen Streitpunkt zum Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind (BSG SozR 1500 § 136 Nr 10; BSG SozR 3-1300 § 39 Nr 7 S 9). An Entscheidungsgründen fehlt es jedoch nicht schon dann, wenn die Gründe sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (BSG SozR Nr 79 zu § 128 SGG; BSG vom 6.2.2003 - B 7 AL 32/02 B; BSG vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - jeweils mwN). Es reicht vielmehr aus, wenn mindestens die angewandte Rechtsnorm bezeichnet und angegeben wird, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen deren Tatbestandsmerkmale vorliegen bzw nicht vorliegen (vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 10; BSG vom 17.12.1997 - 9 BV 122/97; BSG vom 6.2.2003 - B 7 AL 32/02 B).
Eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG wird in der Beschwerdebegründung nicht ausreichend dargelegt. Die Klägerin bezieht sich allein auf ihre im Verfahren formulierten Schriftsätze und trägt vor, das LSG habe sich zu dem nach ihrer Auffassung (weiteren) streitgegenständlichen Anspruch auf Leistung einer Hinterbliebenenrente nach § 47 SGB VI mit der Feststellung begnügt, dass "diesbezüglich keine Entscheidung des Sozialgerichts oder der Beklagten vorläge". Um deutlich zu machen, dass das LSG seine Begründungspflicht verletzt haben könnte, hat es die Klägerin jedoch versäumt, zunächst einmal den Streitgegenstand, den entscheidungserheblichen Sachverhalt und die Rechtsauffassung des LSG dazu, die der Entscheidung zugrunde liegt, aufzuzeigen (vgl BSG, Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - RdNr 8 zitiert nach Juris). Dies wäre insbesondere im Hinblick darauf angezeigt gewesen, dass ein solcher Anspruch der Klägerin Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gewesen war und die Klägerin daraufhin ihren Klageantrag auf Leistung einer Hinterbliebenenrente beschränkt hat (vgl dazu den Inhalt der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des SG Landshut vom 8.4.2014).
Soweit die Klägerin zudem eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG rügt, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Begründung. Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Die Klägerin rügt, das LSG habe ihren Vortrag zu § 47 SGB VI nicht einmal in Erwägung gezogen. Weitere Ausführungen dazu enthält die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin legt - anders als erforderlich - nicht dar, dass die dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende Entscheidung des LSG auf der vermeintlichen Gehörsverletzung beruhen kann und welches für die Klägerin günstigere Urteil das Berufungsgericht hätte treffen können. Allein der Umstand, dass das LSG den Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren nicht gefolgt ist, begründet indessen keinen Gehörsverstoß. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - Juris RdNr 9).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10448694 |