Verfahrensgang
SG Chemnitz (Entscheidung vom 30.08.2019; Aktenzeichen S 32 SB 480/18) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 11.01.2022; Aktenzeichen L 9 SB 147/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen die Absenkung des Grades der Behinderung (GdB) von 80 auf 30 wegen Eintritts der Heilungsbewährung nach der Entfernung eines Zungengrundkarzinoms. Diesen Anspruch hat das LSG - ebenso wie zuvor das SG (Gerichtsbescheid vom 30.8.2019) - verneint. Die nach Ablauf der Heilungsbewährung verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen der Krebserkrankung bedingten nur noch einen GdB von 20. Die Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks rechtfertige bei einer reinen Beweglichkeitseinschränkung mit 0-10-120 lediglich einen GdB von 10. Beim Kläger seien keine ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizerscheinungen feststellbar. Hinsichtlich des linken Schultergelenks fänden sich keine Hinweise auf eine wesentliche funktionelle Einschränkung. Da das Heben des Armes um mehr als 90 Grad möglich sei, sei von einem GdB von unter 20 auszugehen. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei bei geringer Verformung und allenfalls geringer Bewegungseinschränkung ohne motorische Ausfälle ein GdB von 10 angemessen. Die vom Kläger beklagte Einschränkung des Geschmackssinns sei allenfalls mit einem GdB von 10 zu bewerten. Unter Berücksichtigung mehrerer Einzel-GdB von 20, wobei die orthopädischen Funktionseinschränkungen eher unter 20 lägen, sei die vom Beklagten vorgenommene Gesamt-GdB-Bildung von 30 jedenfalls nicht zu gering ausgefallen (Urteil vom 11.1.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er rügt Verfahrensmängel.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat den vom ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
a) Soweit der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG (§ 103 SGG) darin sieht, dass das LSG zur weiteren Sachaufklärung insbesondere auf orthopädischem Fachgebiet kein Gutachten eingeholt habe, erfüllt sein Vorbringen nicht die Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge (vgl allgemein hierzu BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8 mwN). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen, so muss sie zunächst einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Hieran fehlt es bereits. Der im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger behauptet nicht einmal, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten zu haben.
b) Der Kläger sieht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darin, dass das LSG im angefochtenen Urteil nicht auf den von ihm vorgetragenen Tinnitus und Bluthochdruck eingegangen sei und ohne nähere vorherige Erörterung für ihn überraschend keine ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke und eine bessere Beweglichkeit des linken Kniegelenks als zuvor das SG festgestellt habe. Den gerügten Gehörsverstoß hat er aber nicht hinreichend bezeichnet.
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, §§ 62 und 128 Abs 2 SGG) ist anzunehmen, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen mit einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.4.2021 - B 9 V 45/20 B - juris RdNr 7 mwN). Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG Beschluss vom 21.3.2016 - B 9 SB 81/15 B - juris RdNr 6 mwN).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen (rechtlichen) Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.10.2019 - B 9 V 11/19 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 19/18 B - juris RdNr 6; BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - juris RdNr 36). Dies ist nach der Beschwerdebegründung aber nicht anzunehmen.
Der Kläger zeigt nicht auf, weshalb er angesichts der insgesamt vorliegenden medizinischen Befunde und des Verfahrensverlaufs sowie seines eigenen Vortrags und des Vorbringens des Beklagten in der Berufungsinstanz keinesfalls damit rechnen musste, dass das LSG seinem Begehren auf Feststellung eines höheren GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung entsprechen würde. Bereits vor dem SG hatte er trotz der dortigen Annahme einer geringeren Beweglichkeit des linken Kniegelenks keinen Erfolg. Der Kläger weist zudem selbst darauf hin, dass sich das Berufungsgericht hinsichtlich seiner Feststellung einer besseren Beweglichkeit des linken Kniegelenks auf die Befunde der behandelnden Orthopädin Frau E bezogen habe. Dass ihm diese Befunde nicht bekannt gewesen seien, behauptet er nicht. Schließlich hat das LSG nach dem Vortrag des Klägers in der Beschwerdebegründung von dem behaupteten Tinnitus und Bluthochdruck zumindest Kenntnis gehabt.
Im Kern rügt der Kläger mit seinem diesbezüglichen Vorbringen, dass das LSG seiner Ansicht hinsichtlich der Bewertung der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen bei der Feststellung des bei ihm nach Ablauf der Heilungsbewährung noch verbliebenen GdB nicht gefolgt sei. Tatsächlich wendet sich der Kläger damit gegen die Bewertung der aktenkundigen ärztlichen Zeugenaussagen, Befundberichte sowie sozialmedizinischen Stellungnahmen und damit gegen die Beweiswürdigung des LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), die nicht zulässiger Gegenstand der Rüge eines Verfahrensmangels ist. § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG entzieht die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts vollständig der Überprüfung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.4.2021 - B 9 V 45/20 B - juris RdNr 6 mwN). Diese Beschränkung kann auch nicht durch die Berufung auf die Vorschriften zum rechtlichen Gehör umgangen werden (BSG Beschluss vom 6.4.2022 - B 9 SB 82/21 B - juris RdNr 9). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet im Übrigen nur, dass der Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (BSG Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris RdNr 7 mwN). Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BSG Beschluss vom 28.9.2018 - B 9 V 22/18 B - juris RdNr 11 mwN). Zudem ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen aber nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden, weshalb sich eine Gehörsverletzung insoweit nur aus den besonderen Umständen des Falls ergeben kann (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 10.2.2020 - B 14 AS 16/19 B - juris RdNr 7; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - juris RdNr 44). Solche besondere Umstände hat der Kläger nicht substantiiert dargetan.
Soweit er mit der Behauptung, das LSG sei davon ausgegangen dass bei ihm keine Knorpelschäden vorlägen, auch den Vorwurf einer Überraschungsentscheidung erheben will, kann er damit nicht durchdringen. Insbesondere zeigt er nicht auf, dass das LSG die Knorpelschäden der Kniegelenke nicht berücksichtigt habe. Vielmehr weist er selbst darauf hin, dass das Berufungsgericht "keine ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke (…) mit anhaltenden Reizerscheinungen" festgestellt habe. Dass er mit dieser Bewertung und Beweiswürdigung des LSG nicht einverstanden ist, ist - wie oben ausgeführt - für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Kaltenstein Röhl Othmer
Fundstellen
Dokument-Index HI15274484 |