Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Bezeichnung des Verfahrensmangels. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. unzulässige Überraschungsentscheidung nach dem Übergang des Rechtsstreits in die Zuständigkeit eines anderen Senats. Verfahrensmangel. Rechtliches Gehör. Überraschungsentscheidung. Zuständigkeit. Übergang
Leitsatz (redaktionell)
Wird im Zuge der Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses i.S.v. § 112 Abs. 2 S. 2 und Abs. 4 bzw. § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG mit den Beteiligten ein Rechtsgespräch geführt, sind dies keine Festlegungen, auf die sich die Beteiligten bei ihrer weiteren Prozessführung einstellen können. Dies gilt insbesondere, wenn ein Erörterungstermin allein vom Berichterstatter durchgeführt wird und später dieser oder ein anderer Senat in abweichender Besetzung entscheidet. Eines Hinweises des Senats vor der Entscheidung bedarf es in einem solchen Fall regelmäßig nicht.
Orientierungssatz
1. Wird im Zuge der Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses (§ 112 Abs 2 S 2 und Abs 4 bzw § 106 Abs 3 Nr 7 SGG) mit den Beteiligten ein Rechtsgespräch geführt, sind dies keine Festlegungen, auf die sich die Beteiligten bei ihrer weiteren Prozessführung einstellen können (vgl BSG vom 18.7.2011 - B 14 AS 86/11 B und vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B = SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 8). Dies gilt insbesondere, wenn wie vorliegend ein Erörterungstermin allein vom Berichterstatter durchgeführt wird und später dieser oder ein anderer Senat in abweichender Besetzung entscheidet. Eines Hinweises des Senats vor der Entscheidung bedarf es in einem solchen Fall regelmäßig nicht.
2. Zur Bezeichnung einer Gehörsverletzung muss der Beschwerdeführer darlegen, dass nach einer Einverständniserklärung mit einer konsentierten Entscheidungsform eine wesentliche Änderung der Prozesslage eingetreten ist, die geeignet war, deren Unwirksamkeit und eine damit einhergehende Gehörsverletzung zu begründen. Allein ein nach Erklärung des Einverständnisses eingetretener Wechsel der zuständigen Richter ist hierzu nicht geeignet (vgl BSG vom 21.3.2002 - B 7 AL 64/01 R = SozR 3-1300 § 13 Nr 7, vom 16.2.2006 - B 7a AL 246/05 B und vom 26.8.2005 - B 9a V 13/05 B).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 62 Abs. 2, § 106 Abs. 3 Nr. 7, § 112 Abs. 2 S. 2, Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin wendet sich in dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit gegen die Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in den Zweigen der Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung in der Zeit vom 1.4.2000 bis 22.3.2002. In dieser Zeit war der Beigeladene zu 1. nach den Feststellungen des LSG als Kranken- und Altenpfleger in Nachtwachen für die Klägerin tätig, die Inhaberin einer "Seniorenresidenz" ist.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Hamburg vom 10.12.2012 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden.
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen.
1. Ausdrücklich begründet die Klägerin ihre Beschwerde allein mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG in Form der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG: Bei dem Urteil des LSG handele es sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung, weil ihr nach dem Übergang des Rechtstreits in die Zuständigkeit des 2. Senats des LSG "weder im Rahmen einer erneuten mündlichen Verhandlung noch explizit schriftlich rechtliches Gehör gewährt worden" sei bevor ein Richter dieses Senats als Einzelrichter im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entgegen den "im Rahmen der mündlichen Verhandlung" durch eine Berichterstatterin des zuvor zuständigen 3. Senats des LSG erteilten Hinweisen der Berufung zu ihren Lasten stattgegeben habe. Hierauf hätte der Senat sie vor seiner Entscheidung hinweisen müssen, sodass ihr weiterer, auf den Seiten 4 und 5 ihrer Beschwerdebegründung im Einzelnen aufgeführter, entscheidungserheblicher Vortrag möglich gewesen wäre.
Mit diesem Vorbringen wird der Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht den hierfür geltenden, aus § 160a Abs 2 S 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hergeleiteten Anforderungen entsprechend bezeichnet. Für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die den Verfahrensmangel vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht.
Die Klägerin hat zunächst nicht ausreichend dargelegt, dass während der "mündlichen Verhandlung" ein zur Begründung einer Überraschungsentscheidung iS von § 62 SGG geeigneter Hinweis der Berichterstatterin des 3. Senates ergangen ist. So hätte die Klägerin zunächst kon-kret darlegen müssen, welchen Aussagen der Berichterstatterin des 3. Senates zu entnehmen sein soll, sie habe den Beteiligten erklärt, "dass sie die Berufung zurückweisen werde, da sie sich in diesem Falle der Entscheidung des Sozialgerichts anschließen werde", obwohl das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 20.9.2011 zwar einen Hinweis der Berichterstatterin aber keine solche Aussage enthält. Aber auch die Richtigkeit dieses Vorbringens unterstellt, wäre damit ein Verfahrensmangel in Form der Gehörsverletzung durch eine Überraschungsentscheidung nicht den genannten Anforderungen entsprechend bezeichnet. Denn nur wenn das Gericht nach Durchführung einer förmlichen Beratung seine Rechtsauffassung zu einer entscheidungserheblichen Frage zu Protokoll gibt und hieran Vorschläge für eine sachgerechte Lösung und prozessuale Behandlung des Falles knüpft, beinhaltet dies eine zumindest vorläufige rechtliche Festlegung, die den Beteiligten als Grundlage für ihre weiteren Dispositionen dienen soll. Demgegenüber ist nicht jeder im Laufe des Verfahrens vom Vorsitzenden oder einem Mitglied des Spruchkörpers gegebene rechtliche Hinweis dazu angetan, ein solches Vertrauen zu begründen. Wird im Zuge der Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses (§ 112 Abs 2 S 2 und Abs 4 bzw § 106 Abs 3 Nr 7 SGG) mit den Beteiligten ein Rechtsgespräch geführt, sind dies keine Festlegungen, auf die sich die Beteiligten bei ihrer weiteren Prozessführung einstellen können (BSG SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 8; BSG Beschluss vom 18.7.2011 - B 14 AS 86/11 B). Dies gilt insbesondere, wenn wie vorliegend ein Erörterungstermin allein vom Berichterstatter durchgeführt wird und später dieser oder ein anderer Senat in abweichender Besetzung entscheidet. Eines Hinweises des Senats vor der Entscheidung bedarf es in einem solchen Fall regelmäßig nicht (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 62 RdNr 8c mwN). Umstände, die hiernach geeignet wären, eine unzulässige Überraschungsentscheidung zu begründen, werden von der Klägerin nicht dargelegt.
Eine Gehörsverletzung wird auch durch den Vortrag der Klägerin nicht bezeichnet, den "Parteien" sei "durch den 2. Senat weder im Rahmen eines erneuten mündlichen Verhandlungstermins, noch explizit schriftlich gemäß § 62 Abs. 2 SGG rechtliches Gehör gewährt worden. Die "Parteien" hätten "somit nie Gelegenheit" gehabt, "sich gegenüber ihrem (nun zuständigen) gesetzlichen Richter zur Sache zu äußern". Hierzu teilt die Klägerin selber mit, sie sei zehn Monate vor dem Fällen des angegriffenen Urteils durch die Geschäftsstelle des 2. Senats über den Zuständigkeitswechsel informiert worden. Darzulegen, dass sie in dieser Zeit an weiterem schriftsätzlichen Vortrag gegenüber dem nunmehr zuständigen Senat gehindert worden sei oder aufgrund welcher rechtlichen oder tatsächlichen Umstände dieser Senat von sich aus weiteren Vortrag der Beteiligten hätte einfordern müssen, hat die Klägerin versäumt. Ebenso hat sie nicht dargelegt, dass nach ihrer Einverständniserklärung mit der konsentierten Entscheidungsform eine wesentliche Änderung der Prozesslage eingetreten sei, die geeignet wäre, deren Unwirksamkeit und eine damit einhergehende Gehörsverletzung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 124 RdNr 4a mwN) zu begründen. Allein ein nach Erklärung des Einverständnisses eingetretener Wechsel der zuständigen Richter ist hierzu nicht geeignet (vgl BSG SozR 3-1300 § 13 Nr 7 S 28 f; BSG Beschlüsse vom 16.2.2006 - B 7a AL 246/05 B - und vom 26.8.2005 - B 9a V 13/05 B; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 124 RdNr 3e und 4b mwN).
2. Mit dem Vorbringen, an dem ohne mündliche Verhandlung durch konsentierten Einzelrichter ergangenen Urteil habe der Vorsitzende des 2. Senats des LSG mitgewirkt, obwohl dieser nicht an der einzigen mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits durch die zuvor zuständige Berichterstatterin des 3. Senats teilgenommen habe, rügt die Klägerin sinngemäß auch eine § 129 SGG widersprechende Besetzung des Gerichts beim Fällen des Urteils. Allerdings wird die Besetzungsrüge ebenfalls nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG herzuleitenden Anforderungen genügend bezeichnet. Hierzu hätte die Klägerin darlegen müssen, dass es sich bei der vor dem Wechsel der Senatszuständigkeit durchgeführte "Verhandlung" um die in § 129 SGG angesprochene "dem Urteil zugrunde liegende(n) Verhandlung" gehandelt hat. Notwendig wäre dies insbesondere deshalb gewesen, weil rechtlich zwischen einem Erörterungstermin (§ 106 Abs 3 Nr 7 SGG) - um einen solchen hat es sich auch nach dem Vortrag der Klägerin bei der am 20.9.2011 durchgeführten "Verhandlung" gehandelt - und einer "mündlichen Verhandlung" (§ 112 SGG), aufgrund derer nach § 124 Abs 1 SGG das Gericht regelmäßig entscheidet und auf deren Durchführung die Klägerin - wiederum nach eigenem Vortrag - verzichtet hat, unterschieden wird.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO. Eine Kostenerstattung allein zugunsten der Beklagten entspricht der Billigkeit, denn die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
5. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG in Höhe des Auffangstreitwerts festzusetzen.
Fundstellen