Verfahrensgang

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 24.06.2020; Aktenzeichen S 11 R 653/20)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.12.2022; Aktenzeichen L 13 R 2045/20)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Leistung einer Altersrente als Vollrente anstelle einer Teilrente bereits ab Oktober 2019.

Die Beklagte bewilligte der im Jahr 1954 geborenen Klägerin ab dem 1.3.2018 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Wegen der Höhe des Hinzuverdienstes wurde die Rente zunächst nur als Teilrente geleistet. Mit Schreiben ihres früheren Bevollmächtigten vom 5.9.2019 teilte die Klägerin mit, dass der Hinzuverdienst ab dem 1.10.2019 entfalle, und begehrte ab diesem Zeitpunkt die Leistung einer Vollrente. Die Beklagte lehnte eine Neuberechnung der Rente unter Hinweis auf den im Jahr 2019 bereits erzielten Hinzuverdienst ab. Der kalenderjährlich zu bestimmende Hinzuverdienst weiche nicht um mindestens 10 % von dem bisher berücksichtigten Hinzuverdienst ab (Bescheid vom 27.11.2019; Widerspruchsbescheid vom 12.2.2020).

Aufgrund des Wegfalls des Hinzuverdienstes berechnete die Beklagte die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.1.2020 neu und bewilligte ab diesem Zeitpunkt mit Bescheid vom 23.12.2019 die Leistung einer Vollrente. Den Widerspruch mit der Begründung, die Rente sei bereits ab dem 1.10.2019 als Vollrente zu leisten, wies die Beklagte mit einem weiteren Widerspruchsbescheid vom 12.2.2020 zurück. Der Bescheid vom 23.12.2019 habe eine Regelung über Rentenleistungen erst ab dem 1.1.2020 getroffen. Die Entscheidung über die Berücksichtigung eines Hinzuverdienstes für die Zeit ab dem 1.10.2019 sei bereits Regelungsinhalt des Bescheides vom 27.11.2019. Klage und Berufung dagegen waren nicht erfolgreich. Ein Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision ist anhängig unter dem Aktenzeichen B 5 R 18/23 B.

Die Klage mit dem Begehren, den Bescheid vom 27.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.2.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bereits ab dem 1.10.2019 eine Vollrente zu gewähren, ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid vom 24.6.2020). Das LSG hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, die Beklagte habe rechtmäßig die Leistung einer Vollrente ab dem 1.10.2019 abgelehnt. Die Klägerin habe die im Jahr 2019 geltende Hinzuverdienstgrenze von 6300 Euro überschritten. Gegenstand des Verfahrens sei ausschließlich die Verwaltungsentscheidung im Bescheid vom 27.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.2.2020. Weder der Bescheid vom 23.12.2019 noch der Bescheid vom 21.1.2020 hätten den Bescheid vom 27.11.2019 geändert; sie seien nicht Gegenstand des Vorverfahrens geworden (Urteil vom 20.12.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Grund für die Zulassung der Revision eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Soweit die Klägerin ihre Nichtzulassungsbeschwerde zunächst damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), hat sie diesen nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend bezeichnet. Dafür müssen die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Klägerin macht eine fehlerhafte Anwendung des § 86 SGG geltend. Sie ist der Auffassung, der Bescheid vom 23.12.2019 über die Bewilligung einer Altersrente als Vollrente ab dem 1.1.2020 habe den die Neuberechnung ab dem 1.10.2019 ablehnenden Bescheid vom 27.11.2019 geändert. Der Bescheid vom 23.12.2019 könne nichts anderes sein als ein Teil-Abhilfebescheid auf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.11.2019. Damit hat sie keinen Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet. Dafür ist die Geltendmachung eines Verfahrensmangels im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug erforderlich (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2017 - B 5 R 381/16 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 25.1.2023 - B 9 V 32/22 B - juris RdNr 14). Eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Verfahrensmangels kann nur auf den Verstoß gegen eine Verfahrensnorm gestützt werden, die den Weg zur Entscheidung betrifft (error in procedendo), nicht hingegen auf die "falsche" Auslegung oder Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften, die den Inhalt der angefochtenen Entscheidung selbst bilden (error in iudicando). Mängel des behördlichen Verwaltungsverfahrens oder eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Verwaltungsverfahrensrechts können nicht gerügt werden (vgl BSG Beschluss vom 21.11.2018 - B 13 R 280/17 B - juris RdNr 5 mwN). Mit der Rüge einer fehlerhaften Anwendung des § 86 SGG beanstandet die Klägerin nicht das Verfahren des LSG, sondern die Beurteilung einer das Vorverfahren betreffenden Frage durch das Berufungsgericht. Sofern dies auch als Rüge einer Verkennung des Streitgegenstands (§ 123 SGG) verstanden werden könnte, fehlt es an einer sorgfältigen Auseinandersetzung insbesondere mit den den Streitgegenstand bestimmenden Erklärungen (vgl zu den Anforderungen BSG Beschluss vom 24.11.2022 - B 5 R 146/22 B - juris RdNr 13 ff). Jedenfalls wird aus dem Vorbringen der Klägerin nicht deutlich, inwiefern die hier angefochtene Entscheidung des LSG (L 13 R 2045/20) auf dem von ihr gerügten Mangel beruhen kann. Sie selbst trägt vor, sie habe vor dem LSG "beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2020 aufzuheben und der Klägerin die Vollrente bereits ab dem 01.10.2019 zu gewähren". Dass die zu einem solchen Antrag ergangene Entscheidung des LSG, die Berufung zurückzuweisen, anders hätte ausfallen müssen, wenn das Berufungsgericht die Vorschrift des § 86 SGG in ihrem Sinne angewandt hätte, erschließt sich aus der Beschwerdebegründung nicht.

2. Auch einen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat die Klägerin nicht hinreichend dargetan. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN).

Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage:

"Ist bei Anwendung der bis 31.12.2022 geltenden Hinzuverdienstgrenzenregelung der §§ 34 Abs. 3 ff. SGB VI die Rechtsanwendung der §§ 34 Abs. 3 ff. SGB VI dergestalt vorzunehmen, dass ab Zeitpunkt des völligen Wegfalls des Hinzuverdienstes eine jährliche Hinzuverdienstgrenze gilt, sondern eine zeitlich beschränkte, bis nur bis auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns wirkt?"

Diese Frage ist aus sich heraus schon schwer verständlich. Dasselbe gilt, soweit die Klägerin ausführt, die Frage sei "klärungsbedürftig, da sie Auswirkungen auf den geltend gemachten Anspruch hat und die Unverständlichkeit in dem hiesigen Vorgehen seitens Gerichtsbarkeit als auch der Behörde beseitigen würde". Nach § 34 Abs 2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 8.12.2016 (BGBl I 2838) bestand ein Anspruch auf eine Rente wegen Alters als Vollrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze nur, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6300 Euro nicht überschritten wurde. Durch die zum 1.7.2017 in Kraft getretene und bis zum 31.12.2022 geltende Regelung wurde die zuvor auf den einzelnen Kalendermonat ausgerichtete Hinzuverdienstgrenze durch eine auf das Kalenderjahr bezogene Grenze ersetzt und sollte auch dann gelten, wenn der Hinzuverdienst nicht im ganzen Kalenderjahr erzielt wird (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/9787 S 38). Eine hinreichende Auseinandersetzung mit Wortlaut und Zielsetzung der Vorschrift enthält die Beschwerdebegründung nicht. Es erschließt sich aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung auch nicht, aus welchem Grund weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der im Zeitraum vom 1.1.2021 bis zum 31.12.2022 nach Maßgabe des § 302 Abs 8 SGB VI deutlich modifizierten und ab dem 1.1.2023 außer Kraft getretenen Vorschriften zum Hinzuverdienst bei Altersrenten besteht (zum Erfordernis der Darlegung weiterer Klärungsbedürftigkeit bei bereits außer Kraft getretenen Vorschriften vgl zB BSG Beschluss vom 31.7.1997 - 2 BU 45/97 - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 18.8.2022 - B 6 KA 25/21 B - juris RdNr 11; s auch Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 291). Die pauschale Behauptung, bei inzwischen 23 Millionen Rentnern sei es "durchaus denkbar", dass es zehntausende von fehlerhaften Rentenbescheiden gebe, reicht nicht aus.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Gasser

Körner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15858393

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