Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit. Höchstrichterliche Geklärtheit. Freiwilliges schulisches Nachmittagsangebot. Offene Ganztagsschule. Hilfe zur angemessenen Schulbildung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich z.B. unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist.
2. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw. das Bundesverfassungsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben.
3. Auch ein freiwilliges schulisches Nachmittagsangebot in Form der offenen Ganztagsschule kann je nach Ziel der Maßnahme im Hinblick auf den konkreten Förderbedarf des behinderten Kindes eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung darstellen.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; SGB XII § 54 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
SG Meiningen (Entscheidung vom 22.02.2018; Aktenzeichen S 1 SO 434/17) |
Thüringer LSG (Beschluss vom 13.06.2019; Aktenzeichen L 8 SO 577/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 13. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die vom Einsatz von Einkommen und Vermögen unabhängige Übernahme von Kosten für einen Integrationshelfer im Hort während der Ferienzeiten als Leistung der Sozialhilfe.
Der 2009 geborene Kläger ist wesentlich behindert und Grundschulkind in einer Regelschule. Für den Besuch der Schule bewilligte der Beklagte einen Integrationshelfer, lehnte dies aber für den Besuch des Horts in der Ferienzeit des Schuljahres 2016/2017 als vom Einkommen und Vermögen unabhängige Leistung mit der Begründung ab, es handle sich hierbei um eine Leistung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Während das Sozialgericht (SG) Meiningen das Klagebegehren als zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage behandelt, in der Sache den Anspruch aber abgelehnt hat (Urteil vom 22.2.2018), hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, die Klage sei bereits unzulässig, weil es angesichts fehlender Wiederholungsgefahr am Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehle. Lege man die vom Bundessozialgericht (BSG) geforderte individuelle Betrachtung der Erforderlichkeit und Eignung einer Hilfe der Beurteilung zugrunde, sei angesichts der - positiven - Entwicklung des Klägers von einer maßgeblichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse auszugehen und eine Feststellung dem Grunde nach nicht möglich. Auch weil die Teilnahme am Hortangebot freiwillig sei, müsse jeweils auf Basis eines konkreten Ferienangebots geprüft werden, ob dessen Schwerpunkt auf dem Gebiet der Schulbildung oder von Freizeitaktivitäten liege (Beschluss vom 13.6.2019).
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger allein die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Es sei die Rechtsfrage zu beantworten, ob Ferienangebote des Schulhorts unter das Tatbestandsmerkmal "angemessene Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu" iS des § 54 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) fielen. Es fehle dazu an höchstrichterlichen Entscheidungen. Ob an einem Hort auch Freizeitangebote durchgeführt würden, sei angesichts der Rechtsprechung des BSG vom 22.3.2012 (B 8 SO 30/10 R), wonach nicht nach pädagogischen und nichtpädagogischen Angeboten zu unterscheiden sei, ohne Belang. Das sei auch in der Sache richtig, weil die Vorgaben des LSG praktisch nicht umzusetzen seien. Freizeit- und schulfördernde Maßnahmen ließen sich nämlich nicht trennen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger hat zwar eine konkrete Rechtsfrage formuliert, deren Entscheidung durch den Senat angestrebt wird. Doch wird der (fortbestehende oder neu aufgetretene) Klärungsbedarf der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 14.9.2017 - B 5 R 258/17 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis entweder substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder dass durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN). Zur Darlegung des Klärungsbedarfs hätte sich der Kläger deshalb insbesondere mit den Urteilen des Senats vom 6.12.2018 (B 8 SO 7/17 R und B 8 SO 4/17 R) zur Frage der Schulbegleitung während der Nachmittagsbetreuung in einer offenen Ganztagsschule als Hilfe zur angemessenen Schulbildung auseinandersetzen müssen. Darin hat der Senat nicht nur bestärkt, dass auch ein freiwilliges schulisches Nachmittagsangebot in Form der offenen Ganztagsschule je nach Ziel der Maßnahme im Hinblick auf den konkreten Förderbedarf des behinderten Kindes eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung darstellen kann, sondern auch die für die Abgrenzung der Leistungen (Hilfe zur angemessenen Schulbildung einerseits und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft andererseits) maßgeblichen Kriterien (nochmals) beschrieben. Damit hätte sich der Kläger im Einzelnen auseinandersetzen und insbesondere darlegen müssen, warum es auch unter Berücksichtigung dieser Entscheidungen noch der Klärung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bedarf. Daran fehlt es. Der Verweis auf die Entscheidung des Senats vom 22.3.2012 genügt diesen Anforderungen nicht, weil dort die Abgrenzung von Hilfeangeboten zum Kernbereich pädagogischer Arbeit im Streit stand, um die es bei der Frage der Bewertung eines außerunterrichtlichen Betreuungsangebots wie einer Hortbetreuung in den Schulferien erkennbar nicht gehen kann.
Da das LSG zudem die Klage bereits als unzulässig angesehen hat, hätte es auch schlüssigen Vortrags zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage im vorliegenden Verfahren bedurft. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Insoweit trägt der Kläger zwar vor, dass ausgehend von der in der Beschwerdebegründung geäußerten Rechtsauffassung sehr wohl eine Wiederholungsgefahr bestünde. Selbst wenn dies in der Sache zutreffend sein sollte, genügt dieser Vortrag aber nicht, um aufzuzeigen, wie der Senat - ausgehend von der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG - zu einer Sachentscheidung gelangen kann. Eine Verfahrensrüge (Prozessurteil statt Sachurteil) hat der Kläger erkennbar nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13598061 |