Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 04.11.2019; Aktenzeichen S 4 KR 228/18) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 23.06.2020; Aktenzeichen L 5 KR 621/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert. Sie ist mit ihrem Begehren auf Versorgung mit einer Mammareduktionsplastik (MRP, Brustverkleinerung) als Sachleistung bei der KK und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine vergrößerte Brust als solche habe keinen Krankheitswert. Auch liege eine Entstellung der Klägerin nicht vor. Sie habe auch keinen Anspruch auf eine MRP zur Behebung ihrer sonstigen Beschwerden an Psyche, Haut, Atmungsorgan, dem Bewegungsapparat sowie infolge der Adipositaserkrankung (Urteil vom 23.6.2020).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des ausdrücklich geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1. und 2.) sowie des sinngemäß gerügten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels in Gestalt einer Sachaufklärungsrüge (dazu 3.).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin wirft zunächst die Frage auf,
"ob bei vergrößerten Brüsten (d.h. bei Abweichungen von den Idealmaßen der Brust bei einer normalgewichtigen Frau) von einer eigenständigen behandlungsbedürftigen Krankheit mit Krankheitswert auszugehen ist."
Es ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin hiermit eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung formuliert oder nicht im Ergebnis nur eine fehlerhafte Verneinung einer Krankheit in ihrem konkreten Einzelfall rügt. Jedenfalls legt sie die Klärungsbedürftigkeit ihrer Frage nicht dar.
Die Klärungsbedürftigkeit einer aufgeworfenen Frage fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN; BSG vom 16.11.2017 - B 1 KR 74/17 B - juris RdNr 6). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht oder ggf zwischenzeitlich nicht mehr ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Das BSG vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zukommt. Erforderlich ist vielmehr, dass eine Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass sie an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (stRspr, vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 35/15 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 28, RdNr 10; BSG vom 28.2.2008 - B 1 KR 19/07 R - BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, LS und RdNr 11, 13 f; BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R - BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Klägerin nicht inhaltlich auseinander. Allein ihr Hinweis darauf, dass bisherige Entscheidungen des Senats zu Brustvergrößerungen, nicht jedoch zu Brustverkleinerungen ergangen seien, zeigt eine grundsätzliche Bedeutung nicht auf. Die Klägerin weist insoweit lediglich auf das Vorliegen einer anderen Sachverhaltskonstellation hin ohne aufzuzeigen, dass diese anhand der bestehenden Maßstäbe nicht entschieden werden könne (vgl dazu BSG vom 29.5.2018 - B 1 KR 99/17 B - juris RdNr 10 f).
Auch der Verweis darauf, dass das Berufungsgericht keine Rechtsprechung des BSG zitiere, legt eine grundsätzliche Bedeutung nicht dar. Damit stellt die Klägerin nur die für die Zulassung der Revision unerhebliche Qualität der Entscheidung des LSG in Frage.
Soweit die Klägerin letztlich mit ihrer Fragestellung nur geltend machen will, dass in ihrem Fall zu Unrecht das Vorliegen einer Krankheit verneint worden sei, rügt sie nur die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung im Einzelfall. Gegenstand einer Zulassungsbeschwerde ist aber nicht, ob das LSG die Sache im Ergebnis richtig entschieden hat (vgl - ebenfalls zu einer MRP - BSG vom 16.11.2017 - B 1 KR 74/17 B - juris).
2. Die Klägerin wirft weiterhin die Frage auf,
"unter welchen Voraussetzungen bei sich widerstreitenden Sachverständigengutachten (ausnahmsweise doch) ein 'Obergutachten' durch einen Spezialisten (z.B. Experten an einem Universitätsklinikum) auf dem strittigen Fachgebiet eingeholt werden muss bzw. sich die Unterlassung der Erholung eines solchen als Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) darstellt."
Auch insoweit lässt der Senat dahingestellt, ob die Klägerin hiermit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung formuliert. Jedenfalls legt sie auch insoweit die Klärungsbedürftigkeit ihrer Frage nicht dar.
Die Klägerin räumt selbst ein, dass das BSG Maßstäbe für die Einholung eines Obergutachtens bereits aufgestellt hat (unter Bezugnahme auf BSG vom 30.6.2015 - B 13 R 184/15 B - RdNr 11). Zwar verweist sie darauf, dass das BSG in der von ihr zitierten Entscheidung nur "grundsätzlich" davon ausgehe, dass ein Obergutachten nicht einzuholen sei und rügt sinngemäß, dass zum Vorliegen von Ausnahmekonstellationen klare Maßstäbe fehlten. Die Klägerin setzt sich jedoch mit der schon vorhandenen umfangreichen Rechtsprechung zu Konstellationen, in denen Obergutachten einzuholen sind, nicht auseinander (vgl etwa BSG vom 24.5.2017 - B 3 P 6/17 B - juris RdNr 13; BSG vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11 zur Einholung eines Obergutachtens, wenn die vorhandenen Gutachten unlösbare Widersprüche oder grobe Mängel enthalten, insbesondere von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass geben an der Sachkunde des Gutachters zu zweifeln). Auch legt sie nicht dar, inwiefern ihre Fallkonstellation eine solche sei, die durch die Rechtsprechung bislang noch nicht erwogen worden sei.
Ihr weiterer Hinweis, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Voraussetzungen für eine Ausnahmekonstellation zu bejahen seien und das LSG daher die Einholung eines Obergutachtens fehlerhaft versäumt habe, deutet darauf hin, dass die Klägerin im Kern letztlich einen Verfahrensfehler in der Gestalt einer Sachaufklärungsrüge (§ 103 SGG) in ihrem konkreten Fall geltend machen will. Die gesetzlichen Anforderungen zur erforderlichen Bezeichnung einer Sachaufklärungsrüge, die die Klägerin hier nicht erfüllt (dazu sogleich unter 3.), können aber durch das Aufwerfen von Rechtsfragen nach prozessualen Pflichten des Gerichts nicht umgangen werden (vgl BSG vom 8.6.2011 - B 12 KR 2/11 B - juris RdNr 8 mwN; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16e mwN).
3. Die sinngemäß erhobene Sachaufklärungsrüge (Rüge der Verletzung von § 103 SGG) wegen fehlender Einholung eines Obergutachtens erfüllt die gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensfehlers nicht.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/97 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 84/19 B - juris RdNr 4).
Die Rüge der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) erfordert es, dass in der Beschwerdebegründung ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer, bis zuletzt aufrechterhaltener oder im Urteil wiedergegebener Beweisantrag bezeichnet wird, dem das LSG nicht gefolgt ist (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN). Hierzu gehört auch darzulegen, dass eine - wie hier - anwaltlich vertretene Beteiligte einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat. Der Tatsacheninstanz soll dadurch vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - SozR 1500 § 160 Nr 67).
Dem genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Die Klägerin macht schon nicht geltend, einen solchen Beweisantrag gestellt zu haben. Sie behauptet nicht einmal, in der mündlichen Verhandlung auf das Erfordernis eines Obergutachtens jedenfalls hingewiesen zu haben, sondern nur, dass nach ihrer Auffassung das LSG ein Obergutachten hätte einholen müssen. Im Kern wendet sich die Klägerin daher nur gegen das Ergebnis der Beweiswürdigung durch die zweite Instanz. Der bloße Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn er in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet ist (vgl BSG vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 12). § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schließt dies - wie oben dargelegt - aus.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14434226 |