Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Alterssicherung der Landwirte. Landwirtsehegattin. kein Anspruch auf vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs 1 ALG bei Tod des Ehemanns vor Erreichen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen. keine verfassungswidrige Benachteiligung. Schutzbereich von Art 6 Abs 1 GG
Orientierungssatz
1. Durch den Tod des Ehemanns geht einer Landwirtsehegattin lediglich die von § 12 Abs 1 ALG an die Existenz der Ehe geknüpfte Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente 10 Jahre vor Erreichen der Regelaltersrente verloren. Sie ist aufgrund ihrer Ehe nicht schlechter, sondern bessergestellt als unverheiratete Landwirte, bis ihre Ehe durch den Tod ihres Ehemanns endet. Eine verfassungswidrige Benachteiligung bedarf einer substantiierten Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich von Art 6 Abs 1 GG (vgl BVerfG vom 23.5.2018 - 1 BvR 97/14 = juris RdNr 10ff mwN).
2. § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist nicht erst verletzt, wenn gar keine Gründe vorliegen, sondern bereits dann, wenn einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel überhaupt nicht behandelt worden sind oder wenn die Erwägungen, die das Gericht in einem entscheidungserheblichen Streitpunkt zum Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind (vgl BSG vom 1.6.2017 - B 10 ÜG 30/16 B = SozR 4-1500 § 183 Nr 14 RdNr 14 mwN).
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 1. Kammer vom 22.4.2020 - 1 BvR 1778/19).
Normenkette
ALG § 12 Abs. 1; GG Art 6 Abs. 1; SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 136 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Juli 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG wie vor ihm die Beklagte und das SG einen Anspruch der Klägerin auf vorgezogene Altersrente verneint (Urteil vom 12.7.2018). Ihr verstorbener Ehemann habe zu Lebzeiten niemals Anspruch auf Regelaltersrente oder vorzeitige Altersrente gehabt. Habe der ältere Ehegatte zu keinem Zeitpunkt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Rentengewährung erfüllt, könne dem jüngeren Ehegatten keine vorzeitige Altersrente gewährt werden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der sie geltend macht, mit der Begründung des LSG lasse sich die Ablehnung der vorzeitigen Altersrente nicht begründen; nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 23.5.2018 - 1 BvR 97/14) sei dem Gesetzgeber jede an die Existenz der Ehe anknüpfende Benachteiligung untersagt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung vom 24.9.2018 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die der Sache nach geltend gemachte Divergenz (1.), eine grundsätzliche Bedeutung (2.) oder ein Verfahrensmangel (3.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen legt die Beschwerde nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 9 V 58/16 B - Juris RdNr 21 mwN).
Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Sie ist der Ansicht, das Urteil des LSG widerspreche der Entscheidung des BVerfG zur Hofabgabeklausel (BVerfG Beschluss vom 23.5.2018 - 1 BvR 97/14 - Juris). Indes versäumt es die Beschwerde bereits, tragende Rechtssätze dieser Entscheidung herauszuarbeiten und sie entscheidungstragenden Rechtssätzen des LSG gegenüberzustellen. Unabhängig davon geht sie nicht darauf ein, warum es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses der Hofabgabe aus § 11 Abs 1 Nr 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (≪ALG≫ idF vom 20.4.2007, BGBl I 554) im Fall der Klägerin überhaupt ankommen sollte. Deren Rentenanspruch hat das LSG nicht wegen fehlender Hofabgabe, sondern deshalb verneint, weil ihr Ehemann trotz der erfolgten Hofabgabe zu Lebzeiten weder die entsprechenden Altersgrenzen erreicht noch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt habe. Zu diesen Ablehnungsgründen macht die Beschwerde keine substantiierten Ausführungen. Ebenso wenig geht sie darauf ein, dass der Gesetzgeber die von ihr für verfassungswidrig gehaltene Norm des § 11 Abs 1 Nr 3 ALG inzwischen mit Wirkung zum 9.8.2018 ersatzlos gestrichen hat (Gesetz vom 18.12.2018, BGBl I 2651).
2. Die Beschwerde hat auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, warum die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (Senatsbeschluss vom 15.4.2015 - B 10 LW 8/14 B - Juris RdNr 4 mwN). Wer sich dabei auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG dargelegt werden (Senatsbeschluss, aaO, Juris RdNr 7 mwN).
Solche Ausführungen macht die Beschwerde nicht. Soweit sie annimmt, die Bestimmung über die vorzeitige Altersrente nach § 12 ALG enthalte eine an die Existenz der Ehe geknüpfte Benachteiligung, fehlt es einer substantiierten Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich von Art 6 Abs 1 GG (vgl BVerfG Beschluss vom 23.5.2018 - 1 BvR 97/14 - Juris RdNr 105 ff mwN). Durch den Tod ihres Ehemanns ist der Klägerin lediglich die von § 12 Abs 1 ALG an die Existenz der Ehe geknüpfte Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente 10 Jahre vor Erreichen der Regelaltersrente verlorengegangen. Sie war aufgrund ihrer Ehe nicht schlechter, sondern bessergestellt als unverheiratete Landwirte, bis ihre Ehe durch den Tod ihres Ehemanns endete. Eine verfassungswidrige Benachteiligung hat die Klägerin daher nicht dargelegt.
3. Ebenso wenig bezeichnet ist ein Verfahrensmangel. Soweit die Beschwerde ein Eingehen des LSG auf die von ihr benannte Entscheidung des BVerfG vermisst und darin einen Verfahrensmangel sieht, hat sie damit die von ihr wohl gemeinte Verletzung von § 136 Abs 1 Nr 6 SGG auch nicht ansatzweise dargelegt. § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist zwar nicht erst verletzt, wenn gar keine Gründe vorliegen, sondern bereits dann, wenn einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel überhaupt nicht behandelt worden sind oder wenn die Erwägungen, die das Gericht in einem entscheidungserheblichen Streitpunkt zum Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind (Senatsbeschluss vom 1.6.2017 - B 10 ÜG 30/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 14 RdNr 14 mwN). Insoweit fehlt es aber, wie ausgeführt, bereits an der Darlegung, warum die Ausführungen des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Hofabgabeklausel hier entscheidungsrelevant waren und deshalb vom LSG hätten erwähnt werden sollen, obwohl die Hofabgabe erfolgt war, der begehrte Rentenanspruch aber nach der Rechtsauffassung des LSG am Fehlen anderer Voraussetzungen scheiterte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen