Verfahrensgang

SG Nordhausen (Entscheidung vom 23.06.2020; Aktenzeichen S 3 R 1803/15)

Thüringer LSG (Urteil vom 09.11.2022; Aktenzeichen L 3 R 631/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 9. November 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahr 1970 geborene, zuletzt als Bauarbeiter beschäftigte Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Seinen im Juli 2014 gestellten Antrag lehnte der beklagte Rentenversicherungsträger nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen und - im Widerspruchsverfahren - eines orthopädischen Gutachtens ab (Bescheid vom 21.1.2015, Widerspruchsbescheid vom 28.7.2015). Das SG hat die hiergegen erhobene Klage nach weiteren sozialmedizinischen Ermittlungen - ein internistisches und ein orthopädisches sowie ein nervenärztliches Gutachten von Amts wegen sowie ein interdisziplinäres algesiologisches Gutachten nach § 109 SGG, ein internistisch-rheumatologisches, ein dermatologisch-allergologisches und ein psychiatrisch-psychosomatisches Gutachten von Amts wegen - abgewiesen (Urteil vom 23.6.2020). Das LSG hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und sodann die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 9.11.2022). Der Kläger sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Der Benennung einer Verweisungstätigkeit bedürfe es nicht, weil der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen noch in der Lage sei, die für ungelernte Tätigkeiten üblicherweise geforderten Verrichtungen wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen usw auszuführen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung im Sinne der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R) liege bei ihm nicht vor.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Sofern ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (vgl § 103 SGG) geltend gemacht wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 31.1.2023 - B 5 R 184/22 B - juris RdNr 6; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 321; Voelzke in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160a RdNr 173, Stand der Einzelkommentierung 7.11.2022).

Diesen Anforderungen wird die für den Kläger vorgelegte Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie rügt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG, weil sich das Berufungsgericht angesichts der im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten, die zum Teil grobe Mängel und unlösbare Widersprüche enthielten, zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen. Besonders wichtig sei dem Kläger der Hinweis, dass der psychiatrischpsychosomatische Sachverständige B keine faire Begutachtung vorgenommen habe. Das SG habe dessen Fehler übernommen und das LSG habe dies nicht korrigiert. Die Entscheidung des LSG könne auf diesen Fehlern beruhen, denn bei fehlerfreier Würdigung des Streitstoffs hätte es möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen.

Mit diesen Darlegungen verfehlt der Kläger bereits die grundlegende Anforderung an eine Rüge der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes, nämlich die Bezeichnung eines bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags. Aus seinen Ausführungen geht nicht hervor, dass er in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG über den Sachantrag hinaus auch noch einen Beweisantrag gestellt hat. Dem Beweisantrag kommt eine Warnfunktion zu. Sinn des Erfordernisses eines bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags ist es, dass nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung für das Berufungsgericht klar sein muss, welche Anträge nach Ansicht der Beteiligten noch zu behandeln sind - entweder durch weitere Beweisaufnahme und hierzu gegebenenfalls Vertagung des Rechtsstreits oder durch Ausführungen im Urteil, warum dem Beweisantrag nicht gefolgt wird (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 22.9.2022 - B 9 SB 8/22 B - juris RdNr 10). Der Kläger hat indes nicht aufgezeigt, dass er bzw sein in der mündlichen Verhandlung anwesender Prozessbevollmächtigter verdeutlicht habe, aus welchen Gründen sich das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen. Ein entsprechender Vortrag erstmals in der Beschwerdebegründung reicht nicht aus. Aus der Beschwerdebegründung geht zudem nicht hervor, welche Maßnahmen der Sachaufklärung das LSG nach Ansicht des Klägers zusätzlich noch hätte vornehmen sollen und inwiefern diese zu einer anderen Entscheidung des LSG geführt hätten.

Im Kern rügt der Kläger die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung der im Verlauf des Verfahrens zahlreich eingeholten Gutachten. Auf eine fehlerhafte Beweiswürdigung kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel jedoch von vornherein nicht gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Aus diesem Grund kann der Kläger auch mit seinen nachgereichten Einwendungen gegen das Gutachten des B (vgl Schreiben vom 18.2.2023, Bl 756 ff LSG-Akte) keinen Erfolg haben. Ebenso wenig gebietet es der Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK), erst nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingereichte Schriftsätze zu Fragen der Beweiswürdigung im Rahmen des formalisierten Rechtsmittelzulassungsverfahrens inhaltlich zu würdigen (zum Inhalt des Gebots eines fairen Verfahrens vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.9.2018 - 2 BvR 1731/18 - juris RdNr 22 mwN; BSG Beschluss vom 18.1.2023 - B 5 R 177/22 B - juris RdNr 6).

Soweit der Kläger auf sein gesamtes Vorbringen in den Vorinstanzen Bezug nimmt und es zum Gegenstand seines Vortrags im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren macht, vermag das eine ordnungsgemäße Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu ersetzen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 8. Aufl 2022, § 160a RdNr 13a mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Hahn

Gasser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15741865

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