Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Die 2012 nach Deutschland eingereisten und im Laufe des vorliegenden Verfahrens wieder ausgereisten Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Ihren Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) lehnte der Beklagte, eine Optionskommune nach § 6a SGB II, ab (Bescheid vom 1.7.2013; Widerspruchsbescheid vom 15.10.2013, Klage beim Hessischen Landessozialgericht ≪LSG≫ anhängig unter Az L 6 AS 317/22 ZVW). Den Antrag der Kläger auf Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe vom 18.2.2013 lehnte der Beklagte ebenfalls ab (Bescheid vom 28.10.2013; Widerspruchsbescheid vom 20.2.2014) und bewilligte und erbrachte den Klägern Fahrt- und Verpflegungskosten für die Rückreise nach Bulgarien. Auf ihren Antrag vom Februar 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ab Februar 2014, mehrfach unterbrochen, nachdem die Kläger mehrfach nach "unbekannt" verzogen bzw abgemeldet waren und schließlich eingestellt zum 31.7.2016. Die auf Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Darmstadt vom 17.4.2019; Urteil des LSG vom 19.1.2022). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, in den Zeiträumen vor dem Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG sei die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit der Kläger nicht nachgewiesen, da sie der Aufforderung, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse darzulegen und lückenlose Kontoauszüge für die Zeit von Februar 2013 bis Januar 2015 vorzulegen, nicht nachgekommen seien. Die Folgen der Nichterweislichkeit von Hilfebedürftigkeit gehe zu Lasten der Kläger. Offenbleiben könne, ob die Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit der Kläger zu einem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 SGB XII führe.
Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil und machen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und von Verfahrensfehlern (§ 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG).
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie formuliert zwar die Frage, ob Betteleinnahmen, Zuwendungen Dritter und Darlehen als Einkommen zu berücksichtigen seien, es fehlt aber an einer hinreichenden den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl nur BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7; BSG vom 30.7.2019 - B 2 U 239/18 B - RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die aufgeworfenen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht beantwortet werden könnten. Hieran fehlt es. Die Kläger haben sich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl zum Einkommensbegriff und zum Vorhandensein bereiter Mittel etwa BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 23/06 R - BSGE 99, 262 = SozR 4-3500 § 82 Nr 3, RdNr 15; zuletzt BSG vom 23.3.2021 - B 8 SO 2/20 R - SozR 4-3500 § 2 Nr 3 RdNr 12; zur Nichtberücksichtigung eines mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung belasteten Darlehens als Einkommen vgl BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 24/11 R - ZFSH/SGB 2013, 696; für das SGB II: BSG 17.6.2010 - B 14 AS 46/09 R - BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30) nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt.
Eine Divergenz ist nicht hinreichend bezeichnet. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entsprechend den gesetzlichen Anforderungen geltend machen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat. Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Kläger nicht. Sie legen schon nicht dar, dass das LSG bewusst einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa nur das Recht fehlerhaft angewandt hat (sog Subsumtionsfehler; BSG vom 4.3.2020 - B 8 SO 61/19 B - RdNr 7). Sie formulieren auch keinen konkreten Rechtssatz im Urteil des LSG. Im Kern machen die Kläger nur die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was die Zulassung der Revision aber nicht begründen kann (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Soweit sich die Kläger mit den von ihnen erhobenen Aufklärungsrügen wegen der vom LSG festgestellten Nichterweislichkeit der Hilfebedürftigkeit auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützen, hätten sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der er bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen müssen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass der Beteiligte (hier die Kläger) einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B - RdNr 10; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN) bzw einen im schriftlichen Verfahren gestellten Beweisantrag aufrechterhalten hat (BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 18.2.2003 - B 11 AL 273/02 B - juris RdNr 3). Hierzu tragen die Kläger nichts vor.
Auch soweit die Kläger eine "Überraschungsentscheidung" und damit eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) rügen, weil das LSG in seiner Entscheidung auf ihre nicht nachgewiesene Hilfebedürftigkeit abgestellt hat, genügt dieses Vorbringen nicht den Anforderungen an die Begründung eines Verfahrensmangels. Ein Verstoß gegen § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl zB BSG vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Es gibt schon keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3). Zwar besteht eine Hinweispflicht dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Auffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf mit der Auffassung des Gerichts nicht zu rechnen braucht (vgl BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 = NJW 1991, 2823, juris RdNr 7). Dass sie von den für das LSG für maßgeblich erachteten Gesichtspunkten keine Kenntnis gehabt oder nur unzureichende Hinweise erhalten hätten, behaupten die Kläger aber nicht, sondern bringen sogar vor, auf die Hinweise des LSG hin ausreichende Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht und "die Banken vom Bankgeheimnis ausdrücklich befreit" zu haben. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist danach nicht ansatzweise dargetan.
Soweit die Kläger einen Verfahrensfehler der unterlassenen unechten notwendigen Beiladung des SGB-II-Leistungsträgers (§ 75 Abs 2 Alt 2 SGG) geltend machen, was keinen absoluten Revisionsgrund iS des § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung (ZPO) darstellt (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 99/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 18 RdNr 13), hätten sie neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht mit der Beschwerdebegründung auch darlegen müssen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Dazu hätte Anlass bestanden, denn auf der Grundlage der für den Senat bindenden Feststellungen des LSG, die die Kläger - wie bereits dargelegt - nicht mit zulässigen Rügen angegriffen haben, fehlt es an der für Ansprüche auf Leistungen der Existenzsicherung notwendigen Hilfebedürftigkeit. Daher wäre eine Darlegung erforderlich gewesen, weshalb trotzdem ggf Ansprüche gegen den SGB-II-Träger bestehen bzw woraus sich trotz nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit die ernsthafte Möglichkeit einer Leistungsverpflichtung und ggf Verurteilung des Jobcenters nach § 75 Abs 5 SGG ergeben soll (vgl BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - BSGE 127, 78 = SozR 4-4200 § 21 Nr 30, RdNr 23 mwN; BSG vom 31.5.2022 - B 7/14 AS 401/21 B - RdNr 6; BSG vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B - RdNr 5 und 9). Ob und in welchen Fällen eine Beiladung des Jobcenters in Rechtsstreitigkeiten gegen sog Optionskommunen überhaupt erforderlich ist (vgl BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 48 RdNr 43 f), kann daher dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15766907 |