Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Klärungsbedürftigkeit

 

Orientierungssatz

Hat das Revisionsgericht die mit der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage bereits entschieden, muß der Beschwerdeführer im einzelnen dartun, weshalb die Frage gleichwohl klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden ist.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 13.02.1992; Aktenzeichen L 3 Ar 42/91)

 

Tatbestand

Die Beklagte gewährte dem Kläger in der Zeit vom 1. Mai 1985 bis 6. Februar 1988 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Im Dezember 1987 wurde sie von anonymer Seite darauf hingewiesen, daß der Kläger seit Jahren auf Märkten gebrauchte Bücher, Strümpfe und Hausschuhe verkaufe. Nach entsprechenden Ermittlungen hob sie durch Bescheid vom 16. September 1988 die entsprechenden Alhi-Bewilligungen für die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 8. Januar 1986 auf, weil der Kläger nicht mehr arbeitslos, sondern mehr als kurzzeitig selbständig tätig gewesen sei und dies entgegen § 60 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) nicht mitgeteilt habe (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X)); insoweit sei ein Betrag von 8.663,29 DM zu erstatten (§ 50 SGB X). Durch weiteren Bescheid vom 16. September 1988 nahm die Beklagte die Alhi-Bewilligungen für die Zeit vom 14. Februar 1986 bis 31. Dezember 1987 mit der Begründung zurück, daß der Kläger seine selbständige Tätigkeit entgegen § 60 SGB I nicht angegeben habe (§ 45 Abs 1 und 2 Satz 3 Nr 2 SGB X); insoweit belaufe sich der Erstattungsbetrag auf 18.902,94 DM. Der Widerspruch des Klägers wurde ua mit dem Hinweis zurückgewiesen, von der Rücknahme der Bewilligungsentscheidung für die Vergangenheit habe nicht abgesehen werden können; besondere Bedeutung komme den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu; nur unter Beachtung dieser Grundsätze bleibe die Leistungsfähigkeit der Bundesanstalt für Arbeit (BA) erhalten. Deshalb habe das Interesse des Widerspruchsführers am Bestand der Bewilligungsentscheidung hinter dem öffentlichen Interesse an deren Rücknahme zurückzutreten (Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1989). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Februar 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert, den weiteren Bescheid der Beklagten vom 16. September 1988 und ihren Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1989 insoweit aufgehoben, als damit Alhi für die Zeit ab 1. Januar 1988 zurückgefordert worden ist, und im übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1992). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der erste Bescheid vom 16. September 1988 (Aufhebung der Alhi-Bewilligungen für die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 8. Januar 1986 und Erstattung von 8.663,29 DM) sei rechtmäßig, weil der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit nicht gewußt habe, daß der Anspruch auf Alhi wegen fehlender Verfügbarkeit weggefallen sei (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 5, § 134 Abs 1 Nr 1 und Abs 4 Satz 1 Halbs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG); § 1 Satz 1 Aufenthalts-Anordnung; § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X). Der weitere Bescheid vom 16. September 1988 (Rücknahme der Alhi-Bewilligungen für die Zeit vom 14. Februar 1986 bis 31. Dezember 1987 und Erstattung von 18.902,94 DM) sei größtenteils Rechtens. Lediglich die letzte Alhi-Bewilligung vom 11. Januar 1988 sei darin nicht zurückgenommen worden mit der Folge, daß eine Erstattungspflicht für die Zeit ab 1. Januar 1988 nicht eingreife. Im übrigen sei die Rücknahme der Alhi-Bewilligungen durch § 45 SGB X gedeckt. Für die Zeit vom 14. Februar 1986 bis 21. Juli 1987 (Übernahme des Geschäfts der Lebensgefährtin durch den Kläger) könne sich der Kläger nicht auf Vertrauen berufen, weil er die Rechtswidrigkeit der Alhi-Bewilligungen (zumindest) infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Für die Zeit ab 21. Juli 1987 sei die Übernahme der Alhi-Bewilligungen gerechtfertigt, weil der Kläger aufgrund selbständiger Marktbeschickung nicht mehr arbeitslos gewesen sei (§ 101 Abs 1 Nr 1, § 102 Abs 1, § 134 Abs 1 Nr 1 und Abs 4 Satz 1 Halbs 1 AFG). Auf Vertrauensschutz könne er sich nicht berufen, weil die Alhi-Bewilligungen auf Angaben beruhten, die er vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Allerdings sei das Rücknahmeermessen nur formelhaft ausgeübt worden. Doch sei dies unschädlich, weil eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger das zweitinstanzliche Urteil angreift, ist unzulässig. Der Beschwerdeführer hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), auf den er sich allein beruft, nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, muß in der Begründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muß daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind und weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 4, 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; Hennig/Danckwerts/König, Komm zum SGG, Stand Januar 1990, § 160 Anm 7 und § 160a Anm 7.7; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 106 ff; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl 1991, § 160a Rz 14). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt.

Der Beschwerdeführer mißt der vorliegenden Sache deshalb grundsätzliche Bedeutung bei, weil durch das Bundessozialgericht (BSG) nicht abschließend geklärt sei, ob nur der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe, der zu den üblichen Zeiten des Posteingangs täglich im Hause angetroffen werden könne. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, diese Auffassung des LSG könne nicht richtig sein. Träfe sie zu, hätten die meisten Arbeitslosen ihren Leistungsanspruch verwirkt. Es könne einem Arbeitslosen nicht zugemutet werden, täglich auf den Postboten zu warten. Überdies fielen die vom Arbeitsamt (ArbA) sowohl für Vorstellungs- als auch für Vermittlungsgespräche angesetzten Termine regelmäßig nicht auf den Tag des Briefempfangs. Demgemäß komme es für die Kenntnisnahme vom Briefinhalt nicht auf wenige Stunden an.

Dieses Vorbringen wird den Anforderungen an eine schlüssige Darlegung des behaupteten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht gerecht. Der Beschwerdeführer mag mit ihm eine Rechtsfrage bezeichnet haben. Er hat jedoch nicht deren Klärungsbedürftigkeit in der gebotenen Weise bezeichnet. Hat das Revisionsgericht die mit der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage bereits entschieden, muß der Beschwerdeführer im einzelnen dartun, weshalb die Frage gleichwohl klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden ist. Dies ist vom Beschwerdeführer vorliegend nicht beachtet worden. Das BSG hat zur Frage der Verfügbarkeit bereits mehrfach ausgeführt, daß es nicht darauf ankomme, daß der Arbeitslose irgendwie erreichbar ist, sondern daß er - so § 1 Satz 1 Aufenthalts-Anordnung - unter der von ihm dem ArbA benannten Anschrift täglich mindestens zur Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar ist. Zweck der durch § 1 Aufenthalts-Anordnung begründeten Residenzpflicht ist es nämlich, im Interesse der Versichertengemeinschaft eine sofortige Vermittelbarkeit des Arbeitslosen sicherzustellen, um auf diese Weise dem Vorrang der Vermittlung in Arbeit vor der Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit, wie er in § 5 AFG zum Ausdruck kommt, Geltung zu verschaffen; denn Leistungen wegen Arbeitslosigkeit soll nur derjenige Arbeitslose erhalten, der dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung steht und sich subjektiv zur Verfügung hält, weil nur auf diese Weise eine sofortige Vermittlung in Arbeit möglich ist, durch die in erster Linie die Arbeitslosigkeit beendet werden soll (BSGE 44, 188, 199 = SozR 4100 § 103 Nr 8; BSG vom 17. März 1981 - 7 RAr 20/80 - DBI BA R Nr 2529 zu § 151 AFG). Darf daher die Leistungsgewährung an einen Arbeitslosen nur dann erfolgen, wenn zugleich für das zuständige ArbA jederzeit die Möglichkeit besteht, unverzüglich den Leistungsempfänger zu erreichen, um ihm eine zumutbare Arbeit anzubieten, so bedeutet dies, daß Erreichbarkeit iS des § 1 Aufenthalts-Anordnung nicht bereits dann zu bejahen ist, wenn der Arbeitslose für das ArbA postalisch erreichbar ist, sondern nur dann, wenn er unter der Wohnanschrift, die er im Leistungsantrag der Beklagten bekanntgegeben hat, von der Beklagten und deren Bediensteten täglich zumindest während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost auch tatsächlich dort angetroffen werden kann (BSGE 66, 103, 105 = SozR 4100 § 103 Nr 47; vgl auch BSG vom 29. April 1992 - 7 RAr 4/91 -). Aufgrund dieser Rechtsprechung des BSG hätte zur Bezeichnungspflicht des Beschwerdeführers gehört, unter Hinweis auf entsprechende Gegenstimmen in der Literatur im einzelnen darzulegen, weshalb die bereits entschiedene Rechtsfrage gleichwohl klärungsbedürftig geblieben bzw wieder klärungsbedürftig geworden ist. Das ist hier nicht geschehen.

Der Beschwerdeführer mißt der vorliegenden Sache ferner deshalb grundsätzliche Bedeutung bei, weil das LSG unter Bezugnahme auf die im Merkblatt für Arbeitslose enthaltene Formulierung: "Verfügbarkeit ... darunter versteht man, daß Sie für Ihr Arbeitsamt jederzeit erreichbar sind" zu Unrecht unterstellt habe, er, der Kläger, habe zumindest grob fahrlässig nicht gewußt, daß der sich aus den Bewilligungsbescheiden ergebende Leistungsanspruch kraft Gesetzes weggefallen sei (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X). Zur Begründung trägt er ua vor, der im Merkblatt verwendete Begriff "jederzeit" könne von einem Nichtjuristen nicht iS von "Erreichbarkeit während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost", sondern nur iS von "täglicher Erreichbarkeit" verstanden werden. Das Merkblatt für Arbeitslose kläre in dieser Hinsicht unzureichend auf, weshalb nicht ein Verschulden des Arbeitslosen, sondern der BA gegeben sei.

Dieses Vorbringen entspricht den Anforderungen an eine schlüssige Darlegung des behaupteten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache schon deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer nicht eine Rechtsfrage klar bezeichnet hat. Ob der Kläger aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß der sich aus den Bewilligungsbescheiden ergebende Leistungsanspruch kraft Gesetzes weggefallen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X), ist keine Rechts-, sondern eine Tatsachenfrage.

Sofern der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen, das LSG habe unter Hinweis auf das Merkblatt für Arbeitslose zu Unrecht grobe Fahrlässigkeit iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X angenommen, zugleich einen Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) rügen wollte, nämlich fehlerhafte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), ist sein Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht geeignet, die Revisionsinstanz zu eröffnen. Ein geltend gemachter Verfahrensmangel kann nämlich, wie aus § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG hervorgeht, nicht auf § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden. Das schließt ein, daß als Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht geltend gemacht werden kann, das LSG habe bei der Beweiswürdigung Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze verletzt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 26).

Daß die Entscheidung des LSG, wie der Beschwerdeführer offenbar meint, unrichtig ist, vermag die Revisionsinstanz gleichfalls nicht zu eröffnen; denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Entspricht die Begründung der Beschwerde somit nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667966

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