Verfahrensgang
LSG Bremen (Urteil vom 27.11.1991) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 27. November 1991 wird verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen – grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel – zugelassen werden. Der Kläger beruft sich auf alle drei Möglichkeiten. Dies ist jedoch nicht formgerecht geschehen.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß in der Beschwerdebegründung „dargelegt” werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Das erfordert, daß der Beschwerdeführer mindestens eine Rechtsfrage in eigener Formulierung klar bezeichnet und aufzeigt, warum diese von grundsätzlicher Art ist. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage, wenn sie klärungsbedürftig und klärungsfähig ist, dh ihre Beantwortung zweifelhaft und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (s BSG SozR 1500 § 160a Nrn 17 und 53). Eine vom Revisionsgericht bereits entschiedene Frage ist nur klärungsbedürftig, wenn der Rechtsprechung des Revisionsgerichts in nicht geringfügigem Umfang (in der juristischen Literatur) widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13) oder sonstige neue Gesichtspunkte vorgetragen werden, die zur Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung Anlaß geben. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinn nicht dargelegt.
Er sieht als klärungsbedürftig die Frage an,
„daß bundessozialgerichtlich für den statistischen Vergleichsmaßstab die statistische Berechnungsmethode nach Gauß als sachgerecht und bindend anerkannt werden soll”.
Zu der hiermit angesprochenen Sachproblematik, welche Prüfungsmethode bei der kassenärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung anzuwenden ist und ob es eine Mehrzahl zulässiger Prüfungsmethoden gibt, hat der erkennende Senat bereits wiederholt Stellung genommen (vgl beispielsweise nur BSG SozR 2200 § 368n Nrn 49, 50, 57; BSGE 62, 18, 19 = SozR aaO Nr 54; zuletzt BSGE 69, 138, 142 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 6). Mit der sogenannten Gauß'schen Normalverteilung im speziellen hat er sich ausdrücklich in seinem Urteil vom 2. Juni 1987 – 6 RKa 23/86; BSGE 62, 24, 25 ff = SozR 2200 § 368n Nr 48 – auseinandergesetzt und unter Hinweis auf frühere Urteile des Senats erklärt, daß er sich auch jetzt nicht in der Lage sehe, die Anwendung der Gauß'schen Normalverteilung vorzuschreiben. Bei dieser Ausgangslage hätte es zur Zulässigkeit der erhobenen Beschwerde gehört, daß sich der Kläger mit diesen Urteilen auseinandergesetzt und entsprechende kritische Stellungnahmen dazu aus der Literatur oder Rechtsprechung zitiert hätte. Das ist jedoch nicht geschehen. Damit hat er eine Klärungsbedürftigkeit der von ihm genannten Rechtsfrage für die angestrebte Revisionsentscheidung nicht aufgezeigt.
Die vom Kläger als weiterer Beschwerdegrund genannte Abweichung ist gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung zu „bezeichnen”. Dazu ist nicht nur erforderlich, daß die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), von der das Landessozialgericht (LSG) abgewichen sein soll, so genau bezeichnet wird, daß das Revisionsgericht sie ohne Schwierigkeiten auffinden kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Es muß vielmehr auch dargetan werden, zu welcher spezifischen Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt, dh in welchem abstrakt formulierten Rechtssatz sich das Urteil des LSG von welchem abstrakt formulierten Rechtssatz der abweichungsbegründenden BSG-Entscheidung unterscheidet (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29). Eine Abweichung liegt nicht schon in einer materiell-rechtlich unzutreffenden Subsumtion, sondern allein darin, daß das LSG von einer Rechtsmeinung ausgeht, die mit der des Revisionsgerichts unvereinbar ist. Das ist vom Kläger nicht aufgezeigt worden. Er hat weder verdeutlicht, auf welche abstrakt formulierten Rechtssätze in dem Urteil des LSG und in dem zitierten Urteil des BSG vom 31. Juli 1991 – 6 RKa 18/90 – (BSGE 69, 147 = SozR 3-2500 § 106 Nr 7) er sich überhaupt bezieht, noch genauer angegeben, inwiefern sich hier eine Abweichung in den von LSG und BSG vertretenen Rechtsmeinungen ergibt.
Auch die vom Kläger erhobene Rüge des Verfahrensmangels ist nicht hinreichend substantiiert. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG, der auch eine mögliche Verletzung des § 106 SGG mit einschließt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13), nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierfür muß nicht bloß vorgetragen werden, daß das LSG einen Beweisantrag abgelehnt hat, obwohl es sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu einer Beweisaufnahme hätte gedrängt fühlen müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5; § 160a Nr 34). Es muß vielmehr auch ein prozeßordnungsgerechter Beweisantrag vorliegen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 45) und so genau bezeichnet sein, daß er für das BSG ohne weiteres auffindbar ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Diesen gesetzlichen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger räumt selbst ein, daß er in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Er bezieht sich lediglich auf einen in der Berufungsbegründung formulierten Beweisantrag. Grundsätzlich muß jedoch ein Beweisantrag, der über § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für die Zulassung der Revision bedeutsam sein soll, gemäß § 122 SGG iVm § 160 Abs 2 Nr 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in die Sitzungsniederschrift der letzten mündlichen Verhandlung aufgenommen sein; dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Beteiligte und jetzige Beschwerdeführer anwaltlich vertreten war oder nicht (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64 S 68). Eine Ausnahme könnte lediglich dann zu machen sein, wenn nähere Umstände die Annahme rechtfertigen, ein in einem früheren Verfahrensstadium prozeßordnungsgerecht gestellter Beweisantrag sei bis in die letzte mündliche Verhandlung aufrechterhalten, unter Umständen sogar antragswidrig (s § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO) nicht protokolliert worden. Eine derartige Ausnahmesituation muß aber vom Beschwerdeführer substantiiert – ggf unter Berücksichtigung von § 160 Abs 4 Sätze 2 und 3 ZPO – dargelegt werden, soll die Rüge des Verstoßes gegen § 103 SGG formgerecht erhoben sein (so im Gedankenansatz auch BSG SozR 1500 § 160 Nr 64 S 69). Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen. Sein Hinweis, daß er im Verfahren vor Sozialgericht (SG) und LSG nicht rechtskundig vertreten war, ist auch in diesem Zusammenhang unerheblich. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Halbsatz 2 SGG kommt es nicht darauf an, ob der Kläger vor dem LSG anwaltlich vertreten war. Zweck dieser einschränkenden Regelung ist es vielmehr, nur die Fälle zu erfassen, in denen das Gericht trotz eines ausdrücklichen Antrags eine Beweisaufnahme versäumt hat (Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 4. Aufl, § 160 RdNr 18; 13. Senat des BSG Beschluß vom 23. April 1992 – 13 BJ 195/91, nicht veröffentlicht). Hat damit aber der Kläger nicht hinreichend dargelegt, daß ein iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bedeutsamer Beweisantrag vorliegt, so kann er bei solcher Ausgangslage die Zulassung der Revision auch nicht auf dem Umweg über eine ergänzend vorgebrachte Rüge einer Verletzung der §§ 106 Abs 1, 112 Abs 2 SGG erreichen (5. Senat des BSG Beschluß vom 26. November 1975, SozR 1500 § 160 Nr 13, aufrechterhalten mit Beschluß vom 14. März 1990 – 5 BJ 347/89, nicht veröffentlicht).
Die vom Kläger mit seinem Hinweis auf eine „Besonderheit in der Verfahrensakte” zwar nicht ausdrücklich, aber dem Inhalt nach erhobene Rüge einer Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) ist ebenfalls nicht formgerecht erhoben worden. Der damit vorgebrachte Verfahrensmangel ist dann nicht hinreichend „bezeichnet” iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, wenn nicht angegeben wird, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Der Kläger hat weder dargetan, welcher Vortrag ihm abgeschnitten worden ist, noch erläutert, wieso dies für das Urteil des LSG ursächlich geworden ist.
Die nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde des Klägers mußte verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG iVm § 574 (ZPO) und § 169 SGG analog auch ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen