Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Beweisantrag. Rechtliches Gehör

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

2. Die gesetzliche Regelung in § 160 Abs. 2 Nr. 3 Teilsatz 2 SGG zur Beschränkung einer Rüge der Verletzung des § 103 SGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass aufgrund desselben Sachverhalts auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird.

3. Auf fehlerhaft gewürdigte Tatsachen kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ein Verfahrensmangel von vornherein nicht gestützt werden.

 

Normenkette

SGG §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2, § 169 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 25.10.2022; Aktenzeichen L 3 R 16/21)

SG Magdeburg (Entscheidung vom 15.12.2020; Aktenzeichen S 8 R 258/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahr 1957 geborene Kläger erhält vom beklagten Rentenversicherungsträger seit dem 1.2.2015 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und seit dem 1.9.2020 Altersrente für langjährig Versicherte. Er macht einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum ab Rentenantragstellung bis zum 31.8.2020 geltend. Das SG hat seine Klage abgewiesen (Urteil vom 15.12.2020), das LSG die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25.10.2022). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es lägen keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für einen vor dem 31.8.2020 eingetretenen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung vor. Da der Kläger keine Schweigepflichtentbindungserklärung vorgelegt habe, sei eine Kontaktaufnahme mit den behandelnden Ärzten zur weiteren Ermittlung seines Gesundheitszustands im streitbefangenen Zeitraum ausgeschlossen gewesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er macht Verfahrensmängel geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Er macht in erster Linie eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das LSG geltend (vgl § 103 SGG). Dazu führt er aus, das Berufungsgericht habe seine abweisende Entscheidung unter Verkennung der Akten- und Befundlage auf bereits erstinstanzlich fehlerhaft gewürdigte Tatsachen gestützt. Ihm sei "jedoch bereits auf der Grundlage der vorgelegten Befunde eine vollschichtige Leistungsbereitschaft in vollem Umfange abzusprechen". Das LSG sei seiner Prüfungspflicht nicht nachgekommen; es hätte ohne Weiteres zur weiteren Sachaufklärung einen Gutachter bestellen können. Hinzuweisen sei darauf, dass sein Antrag nach § 109 SGG vom 4.12.2022 lediglich hilfsweise gestellt worden sei. Aufgrund der ohne Begründung erfolgten Weigerung des LSG zur Nachholung des Beweises beruhe sein Urteil auf einer mangelnden richterlichen Aufklärung.

Dem Vorbringen des Klägers kann bereits ein bis zuletzt aufrechterhaltener prozessordnungsgemäßer Beweisantrag, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei, nicht entnommen werden (zu den Anforderungen an die formgerechte Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht vgl zB BSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 135/22 B - juris RdNr 7 f; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 13 ff). Auch soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf seinen "Antrag gem. § 109 SGG vom 04.12.2022" Bezug nimmt, lässt sein Vortrag nicht erkennen, dass er den bereits im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Antrag im Berufungsrechtszug als Beweisantrag nach § 103 SGG wiederholt und bis zum Schluss aufrechterhalten habe. Mit dem im LSG-Urteil genannten Grund für das Absehen von weiterer sozialmedizinischer Sachaufklärung setzt sich der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht auseinander.

Soweit der Kläger die von ihm als unzureichend beanstandete gerichtliche Sachaufklärung zugleich als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, kommt dem keine eigenständige Bedeutung zu. Die gesetzliche Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG zur Beschränkung einer Rüge der Verletzung des § 103 SGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass aufgrund desselben Sachverhalts auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.10.2021 - B 5 R 204/21 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 10).

Schließlich macht der Kläger geltend, es sei unklar, ob das LSG seinen Antrag ausgelegt oder ihn bereits aus formalen Gründen zurückgewiesen habe. Sein Anspruch auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz habe deshalb einen ausführlichen richterlichen Hinweis zur Klärung des Klageziels geboten. Diesen Ausführungen kann nicht in nachvollziehbarer Weise entnommen werden, dass das LSG den Streitgegenstand verkannt und nicht über den von ihm geltend gemachten Anspruch entschieden habe. Zudem fehlt eine Erläuterung dafür, inwiefern die Entscheidung des LSG auf einem solchen Mangel beruhen kann.

Auf "fehlerhaft gewürdigte Tatsachen" kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ein Verfahrensmangel von vornherein nicht gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Düring

Hannes

Gasser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15554568

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