Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialleistungen an Minderjährige
Orientierungssatz
Die Wendung "Sozialleistungen entgegennehmen können" läßt sich nur als materiell-rechtliche Fähigkeit zum rechtsgültigen Empfang von Leistungen iS von § 11 S 1 SGB 1 mit der Folge verstehen, daß die Leistungen durch artentsprechende Annahmeakte des Minderjährigen in dessen Rechtssphäre übergehen - Geld im speziellen dessen Vermögen zufließt - und der Leistungsträger seine Leistungspflicht erfüllt.
Normenkette
SGB 1 § 11 S 1, § 36 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.08.1990; Aktenzeichen L 18 J 208/88) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form des § 160 Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. Die Klägerin beruft sich auf grundsätzliche Bedeutung. Sie kann hiermit jedoch keinen Erfolg haben.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß in der Beschwerdebegründung "dargelegt" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Das erfordert, daß der Beschwerdeführer mindestens eine Rechtsfrage in eigener Formulierung klar bezeichnet und aufzeigt, warum diese von grundsätzlicher Art ist. Das ist dann der Fall, wenn die Rechtsfrage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, die Entscheidung der Frage also im allgemeinen Interesse liegt, weil das Recht fortentwickelt oder vereinheitlicht wird. Schließlich muß noch dargelegt werden, wieso die Rechtsfrage klärungsfähig und klärungsbedürftig ist, inwiefern also ihre Beantwortung zweifelhaft und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (s BSG SozR 1500 § 160a Nrn 17 und 54). Die Klägerin hat bereits keine Rechtsfrage im bezeichneten förmlichen Sinn klar aufgezeigt.
Davon abgesehen hat sie auch nicht ausreichend dargetan, inwiefern die von ihr nach dem Inhalt ihrer Beschwerdebegründung verfolgte Frage des Schutzes von Minderjährigen im Sozialrecht für Fallgruppen wie ihren Rechtsstreit klärungsbedürftig ist. Wie sie selbst vorträgt, ist die Handlungsfähigkeit von Minderjährigen im Sozialrecht durch § 36 des Sozialgesetzbuches I -Allgemeiner Teil- (SGB I) bereits normiert. Wenn hier in Absatz 1 Satz 1 davon gesprochen wird, daß ein Fünfzehnjähriger "Anträge auf Sozialleistungen stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen entgegennehmen" kann, so ist damit eine Regelung gegeben, die Sachverhalte von der Art, wie sie bei der Klägerin vorliegen, erfaßt. Denn die Wendung "Sozialleistungen entgegennehmen können" läßt sich - was auch im Schrifttum angenommen wird (s zB Hauck/Haines/Freischmidt, Komm zum SGB I, Stand 1988, RdNr 7 zu § 36 SGB I; RVO-Gesamtkommentar - SGB I/Bley, Stand 1990, Anm 6 zu § 36 SGB I mit zahlreichen wN) - nur als materiell-rechtliche Fähigkeit zum rechtsgültigen Empfang von Leistungen iS von § 11 Satz 1 SGB I mit der Folge verstehen, daß die Leistungen durch artentsprechende Annahmeakte des Minderjährigen in dessen Rechtssphäre übergehen - Geld im speziellen dessen Vermögen zufließt - und der Leistungsträger seine Leistungspflicht erfüllt. Die Klägerin hat weder in ausreichender Weise aufgezeigt, daß diese für das Sozialrecht gerade in Abweichung von der Bürgerlichen Gesetzbuch- Normierung getroffene Sonderregelung in Umkehrung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, daß das spezielle Gesetz dem allgemeineren Gesetz vorgeht ("lex specialis derogat legi generali"), für ihren spezifischen Geltungsbereich nun doch den generellen Vorschriften zu weichen hat, noch hat sie genügend verdeutlicht, inwiefern die aus § 36 Abs 1 Satz 1 SGB I folgende Rechtsgültigkeit des Leistungsempfangs mit den nach Lage des Falles ebenfalls einschlägigen Regelungen der Stellvertretung und der Rückabwicklung fehlgeschlagener Leistungen unvereinbar ist. Schließlich hat die Klägerin auch nicht dargetan, wieso in ihrem Fall der Gedanke des Minderjährigenschutzes überhaupt eine Rolle spielen kann, da nicht nur der gesetzliche Vertreter von der Antragstellung wußte (vgl dazu auch § 36 Abs 1 Satz 2 SGB I), sondern auch die Klägerin bei Beginn der Rentenzahlung bereits volljährig war. Demzufolge ist nicht erkennbar, daß hier eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Beantwortung zweifelhaft und klärungsbedürftig iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG (BSGE 40, 40, 42 und 158, 159) ist.
Die somit nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde der Klägerin mußte verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG iVm § 574 der Zivilprozeßordnung und § 169 SGG analog auch ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen