Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 28.09.2017; Aktenzeichen L 1 VE 14/15) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 18.02.2015; Aktenzeichen S 7 VE 12/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. September 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin verlangt Berufsschadensausgleich (BSA) bereits ab einem früheren Zeitpunkt als Teil der ihr wegen eines sexuellen Missbrauchs zuerkannten Versorgungsleistungen.
Mit Urteil vom 28.9.2017 hat das LSG den Beklagten unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide ua verpflichtet, der Klägerin einen BSA in näher bezeichneter Höhe für den Zeitraum ab 1.9.2009 bis 31.3.2012 zu gewähren. Die auf Gewährung eines BSA bereits ab dem 1.7.1998 gerichtete Berufung hat das LSG zurückgewiesen. 1998 habe die Klägerin zwar Beschädigtenversorgung, nicht jedoch einen BSA beantragt. Einen solchen Antrag habe sie erst im September 2009 gestellt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, seine Amtsermittlungspflicht verletzt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel (1.) noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
a) Daran fehlt es hier zum einen hinsichtlich der Rüge einer Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17 mwN).
Die Beschwerde trägt dagegen selbst vor, bereits im Erörterungstermin vom 19.5.2016 habe sich ein Hinweis ergeben, dass das LSG im Erstantrag vom 22.6.1998 keinen Antrag auf BSA sehen würde. Das Gericht habe hinsichtlich des BSA auf einen möglichen Herstellungsanspruch hingewiesen. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine entgegenstehende Rechtsansicht zu Protokoll gegeben und auch der Beklagte sei angeblich ihrer Rechtsauffassung gewesen. Gleichwohl waren damit die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten des Erstantrags im Verfahren erörtert worden. Auch der nachfolgend übersandte schriftliche Vergleichsvorschlag der Berichterstatterin ging nach Angaben der Beschwerde - wie später das angefochtene Urteil - davon aus, die Klägerin habe BSA erstmals am 25.5.2009 beantragt. Die Beschwerde hat nicht substantiiert dargelegt, warum dennoch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter mit der Rechtsansicht des LSG zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu rechnen brauchte, obwohl das Gericht sie im Vorfeld geäußert und im Urteil beibehalten hat. Sie hält dem vielmehr lediglich die eigene Rechtsansicht entgegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet aber lediglich ein Recht darauf gehört zu werden. Er verpflichtet das Gericht dagegen nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen.
b) Ebenso wenig dargetan hat die Klägerin eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG. Will die Beschwerde einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).
Die Beschwerde trägt stattdessen vor, sie sei durch die überraschende Rechtsansicht des Gerichts daran gehindert worden, überhaupt einen Beweisantrag zu stellen. Indes hat sie bereits ihren Vorwurf einer Überraschungsentscheidung, wie ausgeführt, nicht hinreichend dargetan. Es kann daher dahinstehen, ob eine Überraschungsentscheidung des Gerichts - wie die Klägerin meint - vom Erfordernis eines Beweisantrags befreien und damit auch ohne einen solchen Antrag entgegen § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG den Weg zu einer erfolgreichen Sachaufklärungsrüge ebnen kann. Die Klägerin hat nicht behauptet vom LSG an der Stellung eines entsprechenden Beweisantrags gehindert worden zu sein.
2. Die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin ebenfalls nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Wer einen konkludent, dh verdeckt aufgestellten Rechtssatz behauptet, muss darlegen, dass dieser Rechtssatz sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus dem Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung zweifellos enthalten ist (BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - Juris RdNr 13 mwN).
Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Wie die Beschwerde selbst einräumt, zitiert das LSG als Obersatz seiner Subsumtion die ständige Rechtsprechung des BSG zur Auslegung von Anträgen im Versorgungsrecht. Danach ist nicht die Ausdrucksweise, sondern der unter Berücksichtigung aller Umstände erkennbare Wille des Antragstellers maßgeblich. Wer zu einem bestimmten Sachverhalt einen Leistungsantrag stellt, will damit im Zweifel alle Ansprüche geltend machen, die ihm aus diesem Sachverhalt gegen den Versorgungsträger zustehen (Senatsurteil vom 28.4.1999 - B 9 V 16/98 R - Juris RdNr 17; Senatsurteil vom 28.10.1975 - 9 RV 458/74 - SozR 3100 § 35 Nr 1 S 4 f = Juris RdNr 17; BSG Urteil vom 16.8.1973 - 3 RK 94/72 - BSGE 36, 120, 121= SozR Nr 61 zu § 182 RVO Ls).
Die Beschwerde wirft dem LSG gleichwohl vor, im Gegensatz dazu wende es die Auslegungsregel an, nur solche Leistungen kämen als beantragt in Betracht, die aus der Sicht des zuständigen Versorgungsträgers aus dem Antrag selbst ableitbar seien. Die Beschwerde versucht damit aber, den behaupteten Rechtssatz induktiv aus dem Entscheidungsergebnis abzuleiten, anstatt wie erforderlich darzulegen, warum der behauptete Rechtssatz aus einem Obersatz des Berufungsgerichts folgt, der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - Juris RdNr 13 mwN). Zudem legt sie nicht substantiiert dar, woraus sich der von der Beschwerde angenommene, (verdeckte) Rechtssatz überhaupt ergeben sollte. Den mitgeteilten Urteilsgründen lässt er sich nicht entnehmen. Das LSG stellt darin nicht nur auf den Antrag der Klägerin ab, sondern auch auf ihre Mitteilung von Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie auf das Ergebnis einer versorgungsärztlichen Untersuchung und den Streitgegenstand eines Vorprozesses gegen den Beklagten. Damit versucht das LSG ersichtlich, alle tatsächlichen Umstände des Sachverhalts zu berücksichtigen, wie es nach seinem Obersatz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG erforderlich war. Ob das Berufungsgericht damit den Antrag der Klägerin vollständig und richtig ausgelegt hat, ist eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall. Auf ihre (behauptete) Unrichtigkeit kann eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz nicht mit Erfolg gestützt werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI12003760 |