Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung. Verwaltungsvollstreckung. Zahlungsaufforderung
Orientierungssatz
1. SGG § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 idF vom 11.1.1993 erfaßt auch Klagen, die Geldforderungen der öffentlichen Hand gegen Bürger betreffen.
2. Bei einer Zahlungsaufforderung der Bundesanstalt für Arbeit, mit der diese die Rückzahlung von Übergangsgeld und Verpflegungskosten im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme geltend macht, handelt es sich nicht um einen Leistungsbescheid iS des § 3 Abs 2 Buchst a VwVG. Bei der Zahlungsaufforderung handelt es sich vielmehr um eine Mahnung iS des § 3 Abs 3 VwVG, die als unselbständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckungsanordnung (§ 3 Abs 4 VwVG) oder zu den eigentlichen Vollstreckungshandlungen nicht anfechtbar ist.
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 24.11.1997 - 1 BvR 1876/97).
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1993-01-11; VwVG § 3 Abs. 2 Buchst. a, Abs. 3-4; SGB X § 66 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Gründe
Der Klägerin steht Prozeßkostenhilfe nicht zu, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫; § 114 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫).
Die Klägerin wendet sich gegen eine Zahlungsaufforderung der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 21. September 1994, mit der diese die Rückzahlung von Übergangsgeld und Verpflegungskosten im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme 1984/1985 in Höhe von 579,00 DM geltend macht. Diese Forderung ist mit Bescheid vom 28. November 1985; Änderungsbescheid vom 14. Januar 1986 rechtskräftig festgestellt, nachdem das Klageverfahren (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 31. Januar 1990 - S 7 Ar 1344/86 -, Urteil ≪richtig: Beschluß≫ des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 7. Mai 1993 - L 3 Ar 1508/92 - und Beschluß des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 30. Juni 1993 - 7 BAr 74/93 -) erfolglos geblieben ist. Die BA hat die "Erinnerung" gegen die Zahlungsaufforderung vom 21. September 1994 als Widerspruch behandelt und diesen mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1994 als unzulässig verworfen. Das SG hat die Klage dagegen als unzulässig abgewiesen; es hat die Klägerin als prozeßunfähig angesehen, die Bestellung eines besonderen Vertreters aber nicht für geboten erachtet, weil die Klage auch aus anderen Gründen unzulässig sei. Das LSG hat die Berufung als unzulässig verworfen.
Der Rechtsverfolgung fehlt die für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erforderliche Erfolgsaussicht, weil sich einer der in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG aufgezählten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung; Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung oder Verfahrensmangel) nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG wird darlegen bzw bezeichnen lassen. Das LSG ist bei der Beurteilung des Zugangs zum Berufungsrechtszug zutreffend von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) ausgegangen. Danach bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld oder Sachleistung oder einen darauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000,00 DM nicht übersteigt. Diese Regelung erfaßt auch Klagen, die Geldforderungen der öffentlichen Hand gegen Bürger betreffen. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die nicht nur eine Entlastung der Gerichte, sondern auch eine Vereinheitlichung des Zugangs zum Berufungsrechtszug im sozialgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren herbeiführen sollte (vgl BT-Drucks 12/1217 S 52; BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1; Kummer NZS 1993, 285, 287). Den Streitwert hat das LSG zutreffend ermittelt. Auf Verfahrensfehler im ersten Rechtszug hatte das LSG nicht einzugehen, weil diese allenfalls in einem auf die Zulassung der Berufung gerichteten Beschwerdeverfahren zum LSG zu prüfen wären. Die Umdeutung der Berufung der Klägerin in eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht zulässig (BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11). Die Richtigkeit des Urteils des SG vom 17. Juli 1996 - S 2 Ar 3251/94 - und die Zulässigkeit der Umdeutung einer "Erinnerung" in einen Widerspruch durch die BA hatte das LSG danach nicht zu prüfen.
Ein Verfahrensmangel des LSG wird auch nicht damit zu bezeichnen sein, daß das LSG die Klägerin - zu ihren Gunsten - als prozeßfähig behandelt hat. Auch der Senat geht trotz des neben der Sache liegenden Vorbringens der Klägerin davon aus, daß sie noch über die Fähigkeit, sich durch Verträge zu verpflichten, verfügt und damit prozeßfähig ist (§ 71 Abs 1 SGG). Die Behauptung, das LSG habe der Klägerin rechtliches Gehör nicht gewährt, ist insofern gegenstandslos.
Unabhängig von Zulassungsgründen iS des § 160 Nrn 1 bis 3 SGG ist die Erfolgsaussicht in der Sache selbst auch schon bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen. Es wäre nämlich sinnwidrig, der Klägerin mit der Prozeßkostenhilfe das Beschwerde- und Revisionsverfahren zu eröffnen, obwohl absehbar ist, daß der Prozeß letztlich keinen Erfolg haben kann (BSG SozR 1750 § 114 Nrn 1 und 5; BGH NJW 1994, 1160).
Dazu ist klarzustellen, daß es sich bei der Zahlungsaufforderung nicht etwa um einen Leistungsbescheid iS des § 3 Abs 2 Buchst a Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) handelt. Grundlage der Vollstreckung nach § 66 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) sind vielmehr die Bescheide vom 28. November 1985 und 14. Januar 1986, die bindend geworden sind, nachdem die dagegen erhobenen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel erfolglos geblieben sind (rechtskräftiges Urteil des LSG vom 7. Mai 1993 - L 3 Ar 1508/92 -). Bei der Zahlungsaufforderung handelt es sich vielmehr um eine Mahnung iS des § 3 Abs 3 VwVG, die als unselbständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckungsanordnung (§ 3 Abs 4 VwVG) oder zu den eigentlichen Vollstreckungshandlungen nicht anfechtbar ist (Engelhardt, Verwaltungsvollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz, 4. Aufl 1996, § 3 Anm 4). Auch aus diesem Grunde hat die Rechtsverfolgung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg.
Die Klägerin wendet sich eigentlich gegen die rechtskräftig festgestellte Verpflichtung zur Rückzahlung von Übergangsgeld und Verpflegungskosten (Beschluß des LSG vom 7. Mai 1993 - L 3 Ar 1508/92 -). Das ist unzulässig (§ 141 Abs 1 SGG). Da Gründe für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nicht ersichtlich sind, liegt auf der Hand, daß die Rechtsverfolgung der Klägerin keinen Erfolg haben kann. Die von der Klägerin selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen. Nach der zwingenden Vorschrift des § 166 SGG ist die Beschwerde durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten einzulegen. Darauf ist die Klägerin in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen