Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütungsanspruch des Inhabers einer Apotheke gegen eine Krankenkasse. Null-Retaxation von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Lenalidomid bzw Thalidomid in den Jahren 2009 und 2010. nicht ausgefülltes zweiten Ankreuzfeld bei einem sog T-Rezept. überholte Rechtslage. keine grundsätzlich bedeutsame und klärungsbedürftige Rechtsfrage
Orientierungssatz
Bei der Rechtsfrage, ob ärztliche Verordnungen auf T-Rezepten während des Zeitraums vom 8.2.2009 bis zum 13.5.2013 zwingend ein Kreuz im zweiten Ankreuzfeld (zur erfolgten Aushändigung von medizinischem Informationsmaterial) enthalten müssen, um von Apothekern eingelöst zu werden, handelt es sich um eine überholte Rechtslage, welche daher nicht den Anforderungen an eine grundsätzlich bedeutsame und klärungsbedürftige Rechtsfrage genügt.
Normenkette
AMVV § 3a Abs. 2; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB V §§ 129, § 129 ff.
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 37 563,05 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 17.2.2021 einen Vergütungsanspruch des Klägers als Inhaber einer Apotheke gegen die beklagte Krankenkasse verneint. Die Beklagte habe wegen der pflichtwidrigen Abgabe von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Lenalidomid bzw Thalidomid in den Jahren 2009 und 2010 zu Recht sog Null-Retaxationen durchgeführt. Zur Durchsetzung ihrer Erstattungsansprüche habe die Beklagte daher mit unstreitigen Forderungen des Klägers in Höhe von insgesamt 37 563,05 Euro aufgerechnet (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 387 ff BGB). Die Abgabe der Arzneimittel habe nicht erfolgen dürfen, weil die notwendige ärztliche Bestätigung über die Information des Patienten auf einem jeweils zweiteilig ausgestellten Sonderrezept (sog T-Rezept) aus Gründen der Arzneimittelsicherheit nach § 3a Abs 2 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) gefehlt habe (nicht ausgefülltes zweites Ankreuzfeld). Eine Interpretationsbefugnis oder ein Auslegungsspielraum des Apothekers bezüglich des Inhalts des T-Rezepts habe nicht bestanden. Ansprüche aus Wertersatz oder aus Bereicherungsrecht bestünden nicht.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er rügt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und ein Abweichen von der Rechtsprechung des BSG nicht hinreichend aufgezeigt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
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Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam: |
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"Mussten ärztliche Verordnungen auf T-Rezepten während des Zeitraumes von 08.02.2009 bis zum 13.05.2013 zwingend ein Kreuz in dem zweiten Ankreuzfeld ('Dem/der Patient(in) wurde vor Beginn der Behandlung medizinisches Informationsmaterial entsprechend den Anforderungen der Fachinformation entsprechender Fertigarzneimittel sowie die aktuelle Gebrauchsinformation des entsprechenden Fertigarzneimittels ausgehändigt') enthalten, um von Apothekern eingelöst werden zu dürfen?" |
Hierzu führt er aus, seit der Einführung des T-Rezepts bis zur Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM) vom 14.5.2013 sei die Rechtslage unklar gewesen. Zu der aufgeworfenen Frage dürfte noch eine Vielzahl weiterer Klageverfahren anhängig sein (Hinweis auf SG Karlsruhe, Az S 9 KR 3202/19, das derzeit ruhend gestellt sei). Auch obergerichtlich bestehe keine einheitliche Rechtsprechung (Hinweis auf Hessisches LSG Urteil vom 18.10.2018 - L 8 KR 282/17). Das BSG habe die aufgeworfene Frage noch nicht entschieden.
Dieser Vortrag genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlich bedeutsamen und klärungsfähigen Rechtsfrage. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich um eine Rechtsfrage zur Auslegung bzw Anwendung einer Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) handelt. Soweit der Kläger das Revisionsverfahren sinngemäß im Hinblick auf die Auslegung von § 3a AMVV (idF der Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Apothekenbetriebsordnung vom 2.12.2008, BGBl I 2338 mWv 8.2.2009 bis 28.2.2013) anstrebt, handelt es sich um eine überholte Rechtslage.
Ein über den Einzelfall hinausgehendes, die Allgemeinheit betreffendes Interesse kann in aller Regel nicht für die Auslegung von bereits außer Kraft getretenen Vorschriften angenommen werden. Anderes gilt, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen nach altem Recht anhängig sind und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage liegt (stRspr; vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kapitel RdNr 61 mwN). Eine solche ausnahmsweise Klärungsbedürftigkeit hat der Kläger nicht dadurch hinreichend dargelegt, wenn er lediglich auf ein ruhend gestelltes Verfahren vor dem SG und auf eine vom angefochtenen Berufungsurteil abweichende Entscheidung eines weiteren Obergerichts hinweist, wobei offenbleiben mag, ob vergleichbare Sachverhalte dort anhängig sind oder waren.
Im Übrigen aber führt der Kläger selbst aus, dass nach der Bekanntmachung des BfARM vom 14.5.2013 mittlerweile anerkannt sei, dass auf T-Rezepten immer auch das zweite Kreuz gesetzt sein müsse, damit der Apotheker die Verordnung ausgeben dürfe. Aus welchem Grund dies bei unverändertem Wortlaut von § 3a AMVV in Bezug auf die Verordnung des Wirkstoffs Thalidomid bzw Lenalidomid im streitigen Zeitraum anders gewesen sein sollte, entbehrt aber ausreichender Beschwerdebegründung. Damit ist ein Bedarf an revisionsrechtlicher Klärung nicht hinreichend aufgezeigt.
2. Soweit der Kläger eine Divergenz gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend macht, hat er den Zulassungsgrund der Rechtsprechungsabweichung nicht hinreichend dargetan.
Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die oberstgerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, vgl zum Ganzen: BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4; BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89 ff; BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 S 22).
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Diesen Maßgaben entsprechend hat der Kläger keine entscheidungserhebliche Divergenz dargelegt, wenn er rügt, dass das Berufungsurteil von der Formulierung des BSG im Beschluss vom 9.10.2012 - B 5 R 196/12 B - (BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 10) abweiche: |
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"Ist nämlich eine bestimmte Auslegung höchstrichterlicher Rechtssätze, die sich innerhalb des möglichen Wortsinns bewegt, möglich und vertretbar, kann dem Rechtssuchenden nicht vorgeworfen werden, sich diese Interpretation zu Eigen gemacht zu haben. Denn ihm darf bei unklarer Rechtslage nicht das Subsumtionsrisiko vager Rechtsbegriffe aufgebürdet werden." |
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Der Kläger meint, durch die Formulierung des LSG, dass dem Apotheker |
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"keine Interpretationsbefugnis oder ein Auslegungsspielraum bezüglich der Aussagekraft des T-Rezepts oder der zu fordernden Inhalte" |
zustehe, habe das LSG dem Apotheker das Subsumtionsrisiko auferlegt und sei damit von dem zitierten Beschluss des BSG abgewichen.
Die zitierten Passagen widersprechen einander bereits nicht. Das Zitat aus dem Beschluss des BSG ist - wie der Kläger selbst ausführt - zur Wortauslegung der Formulierung des (unscharfen) Begriffs "längstens etwa sechs Wochen" bei urlaubsbedingter Abwesenheit und Sorgfaltspflichten zur Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist ergangen (vgl BSG aaO RdNr 7 f). Es handelt sich um die einzelfallbezogene Auslegung und Anwendung von Normen in einem völlig anderen Sachzusammenhang, denen im angestrebten Revisionsverfahren keine entscheidungserhebliche Relevanz zukommen würde. Sinngemäß wendet sich der Kläger mit dieser Rüge allenfalls gegen die Unrichtigkeit des LSG-Urteils, die aber keinen Zulassungsgrund iS von § 160 Abs 2 SGG darstellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 und 3, § 52 Abs 3, § 63 Abs 2 GKG.
Fundstellen