Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarbegrenzungsregelung. umsatzmäßig unterdurchschnittliche Praxis. Erreichung des durchschnittlichen Umsatzes. Bindung des Honorarzuwachses an Fall- bzw Patientenzahlerhöhung
Orientierungssatz
Honorarbegrenzungsregelungen, wie die Vorschriften über das Individualbudget, müssen umsatzmäßig unterdurchschnittlichen Praxen in "effektiver Weise" ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Nach diesen Vorgaben ist jede Regelung unbedenklich, die Honorarzuwächse unterdurchschnittlich abrechnender Altpraxen davon abhängig macht, dass auch Fall- bzw Patientenzahlerhöhungen vorliegen.
Normenkette
SGB 5 § 85 Abs. 4 S. 2 Fassung: 2003-11-14
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) höheres Honorar für die Quartale III/1999 bis II/2000, IV/2000, I/2001, III/2001, I bis III/2002.
Zwischen 1987 und Ende August 2003 war der Kläger in Bonn als Chirurg zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seine Honorarabrechnung in den streitbefangenen Quartalen wurde in Anwendung der Vorschriften über die "Individualbudgets" auf der Grundlage des § 7 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Beklagten begrenzt. Der Kläger hält die der Begrenzung seines Honoraranspruchs zugrunde liegenden Vorschriften des HVM für unwirksam, weil sie ihm entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht ermöglichten, den durchschnittlichen Umsatz seiner Fachgruppe in angemessener Zeit zu erreichen.
Widersprüche, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden, dass die Erhöhung des Individualbudgets für unterdurchschnittlich abrechnende Altpraxen davon abhängig gemacht werde, dass der anerkannte Leistungsbedarf der Praxis, der dem Individualbudget unterliege, in Punkten gegenüber dem Bemessungszeitraum bzw gegenüber dem durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert der jeweiligen Fachgruppe gesteigert worden sei. Nach der Rechtsprechung des BSG sei für die Zulassung einer Wachstumschance für unterdurchschnittliche Praxen nicht allein auf die Steigerung der Patientenzahl, sondern auch auf eine damit verbundene Umsatzsteigerung abzustellen. Da der Kläger seinen Leistungsbedarf gegenüber dem Referenzzeitraum (1997/1998) nicht gesteigert habe, habe die Beklagte ihm zu Recht in den streitbefangenen Quartalen kein höheres Individualbudget zugestanden (Urteil vom 15.8.2007) .
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger geltend, das Berufungsurteil weiche vom Urteil des Senats vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R - ab und beruhe auf dieser Abweichung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) .
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Zulassungsgrund der Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist zwar in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Form bezeichnet, eine Entscheidungsabweichung liegt aber tatsächlich nicht vor.
Die Entscheidung im Rechtsstreit hängt davon ab, ob die Regelungen des § 7 Abs 5 Buchst b iVm § 13 Abs 1 Satz 1 des zum 1. Juli 2004 in Kraft getretenen, rückwirkend aber auch für die streitbefangenen Quartale geltenden Honorarverteilungsvertrags (HVV) der Beklagten (zur Ersetzung der Honorarverteilungsmaßstäbe durch Honorarverteilungsverträge s § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V idF des Art 1 Nr 64 Buchst h aa des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190) rechtmäßig sind. Dass das Individualbudget der früheren Praxis des Klägers richtig berechnet und die HVV-Vorschriften zutreffend angewandt worden sind, ist zwischen den Beteiligten nicht mehr umstritten.
Nach § 7 Abs 5b HVV wird einem Vertragsarzt, der am 1.7.1999 länger als 20 Quartale im Bereich der KÄV Nordrhein zugelassen war und mit seinem Individualbudget unterhalb des durchschnittlichen Punktzahlengrenzwerts der Fachgruppe liegt, ein erlaubter Zuwachs von jährlich 10 % bezogen auf den durchschnittlichen Punktzahlengrenzwert der jeweiligen Fachgruppe zugeordnet. Dies gilt aber nur, wenn die Voraussetzungen des § 13 HVV erfüllt sind. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass ein erlaubter Zuwachs von jährlich 10 % sog Altpraxen unter der Voraussetzung zugeordnet wird, dass die vertragsärztliche Praxis ihren anerkannten Leistungsbedarf, der dem Individualbudget unterliegt, in Punkten gegenüber dem Bemessungszeitraum gesteigert hat. Ist keine Steigerung erfolgt, wird ein Zuwachs nicht zugestanden.
Das LSG hat festgestellt, dass der Kläger seinen Leistungsbedarf in Punkten in den streitbefangenen Quartalen gegenüber dem Bemessungszeitraum 1997/1998 nicht gesteigert hat, und hält die Bindung eines Zuwachses des Individualbudgets an eine Erhöhung des anerkannten Leistungsbedarfs gemäß § 13 Abs 1 Satz 1 HVV für rechtmäßig. Das Berufungsgericht hat das mit folgendem, von der Beschwerdebegründung zutreffend hervorgehobenen Rechtssatz begründet: "Entgegen anders lautender Interpretation hat das BSG in der Entscheidung vom 10. Dezember 2003 im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen, ausgeführt, dass nicht nur auf eine Erhöhung der Fallzahl, sondern auch eine damit verbundene Umsatzsteigerung abzustellen sei". Dem stellt die Beschwerdebegründung folgenden Rechtssatz aus der Senatsentscheidung vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R - gegenüber: "In der Rechtsprechung ist wiederholt klargestellt worden, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen ... die Möglichkeit haben müssen, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen ... . Dabei muss der HVM es dem einzelnen Vertragsarzt mit unterdurchschnittlichem Umsatz nicht nur überhaupt, sondern auch in effektiver Weise ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen (BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 20 bis 22) ". Zwischen beiden Rechtssätzen besteht keine für den hier zu beurteilenden Fall entscheidungserhebliche Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.
Aus der Rechtsprechung des Senats ist abzuleiten, dass Honorarbegrenzungsregelungen wie die Vorschriften über das Individualbudget umsatzmäßig unterdurchschnittlichen Praxen in "effektiver Weise" ermöglichen müssen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Nach diesen Vorgaben ist jede Regelung unbedenklich, die Honorarzuwächse unterdurchschnittlich abrechnender Altpraxen davon abhängig macht, dass auch Fall- bzw Patientenzahlerhöhungen vorliegen. Danach ist die Versagung einer Honorarsteigerung gemäß § 7 Abs 5 Buchst b iVm § 13 Abs 1 HVV bei fehlender Steigerung des Punktzahlvolumens jedenfalls in solchen Fällen nicht zu beanstanden, in denen der Arzt seine Fall- bzw Patientenzahl gegenüber dem Referenzzeitraum nicht gesteigert hat (Senatsbeschluss vom 28.11.2007 - B 6 KA 45/07 B -) . Noch nicht entschieden hat das BSG, ob es zulässig ist, die Erhöhung des Individualbudgets bei unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen davon abhängig zu machen, dass neben der Fall- bzw Patientenzahl auch der Honorarumsatz gesteigert worden ist, also der anerkannte Leistungsbedarf in Punkten der betroffenen Praxis sich erhöht hat. In der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist die Steigerung der Fall- bzw Patientenzahl immer als typische Konstellation angesehen worden, die für einen gewissen "Erfolg" des Arztes im Wettbewerb um Patienten Indizcharakter haben kann, und regelmäßig den Weg darstellt, den vertragsärztlichen Umsatz zu erhöhen. Ob in diesem Sinne die Erhöhung der Zahl der behandelten Fälle nicht nur eine notwendige, sondern auch eine allein hinreichende Voraussetzung dafür ist, dass im HVM (HVV) Steigerungsmöglichkeiten für das Individualbudget vorgesehen werden müssen, ist durch das BSG noch nicht abschließend entschieden worden. Da es an einer entsprechenden Festlegung des BSG fehlt, kann das LSG mit seiner Rechtsauffassung, Zuwachsmöglichkeiten dürften auch von der mit einer Erhöhung der Fallzahl zwar typischerweise - aber eben nicht immer - verbundenen Steigerung des anerkannten Leistungsbedarfs in Punkten abhängig gemacht werden, nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein.
Danach könnte die Revision nur zugelassen werden, wenn die für das Berufungsurteil tragende, vom Senat noch nicht abschließend entschiedene Frage grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hätte. Das kann der Senat in diesem Verfahren prüfen, obwohl der Kläger eine Grundsatzrüge ausdrücklich nicht erhoben hat. Die Grundsatzrüge ist hier Bestandteil der zulässigen Divergenzrüge. Den Darlegungsanforderungen nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG für eine Grundsatzrüge wird jedoch durch das Vorbringen des Klägers zur Divergenz nicht hinreichend entsprochen.
Für die Geltendmachung grundsätzlicher Bedeutung muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Zu der über den hier zu beurteilenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Rechtsfrage ist der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nichts zu entnehmen. Der Kläger selbst hat seine vertragsärztliche Tätigkeit Mitte 2003, also vor mehr als vier Jahren eingestellt. Ob über seinen Fall hinaus zu der untypischen Konstellation, dass eine Praxis gegenüber dem Referenzzeitraum 1997/1998 zwar die Fallzahl - wenn auch nur geringfügig und auch nicht in allen Quartalen - erhöht hat, ohne dass sich das aber in einer Erhöhung des vertragsärztlichen Umsatzes niedergeschlagen hat, noch Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, die auf der Grundlage der Regelung des § 7 Abs 5 Buchst b HVV iVm § 13 Abs 1 Satz 1 HVV zu entscheiden sind, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich. Dasselbe gilt für die Frage, ob Bestimmungen in Honorarverteilungsmaßstäben oder Honorarverteilungsverträgen anderer KÄVen, die vergleichbare Zuwachsbegrenzungsregelungen bezogen auf die einzelne Praxis in Relation zu einem bestimmten Referenzzeitraum kennen, gegenwärtig noch umstritten sind. Ohne entsprechende Darlegungen besteht für die Durchführung eines Revisionsverfahrens zu dieser Frage kein Anlass.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts auf 71.890,70 Euro entspricht dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 4.9.2007. Sie beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm §§ 62 Abs 2, 53 Abs 3 Nr 4 iVm §§ 54, 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz.
Fundstellen