Verfahrensgang
SG Darmstadt (Entscheidung vom 23.01.2013; Aktenzeichen S 14 R 122/10) |
Hessisches LSG (Beschluss vom 12.03.2015; Aktenzeichen L 1 KR 355/13) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. März 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für eine ab dem 20.5.2009 ausgeübte Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Befreiung vom 14.7.2009 ab. Mit Beschluss vom 12.3.2015 hat das Hessische LSG ebenfalls einen solchen Anspruch verneint und die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG Darmstadt vom 23.1.2013 zurückgewiesen. Der Kläger könne als Syndikusanwalt (ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Angestelltenverhältnis bei einem bestimmten Arbeitgeber) nicht dem Berufsbild des Rechtsanwalts zugeordnet werden. Das LSG hat sich auf die Rechtsprechung des BSG vom 3.4.2014 (Urteile B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12 sowie B 5 RE 3/14 R und B 5 RE 9/14 R, beide in juris) gestützt. Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht aufgrund des Umstands, dass die Beigeladene zu 2 als Rentenberater zugelassen sei. Bei der Rentenberatung handele es sich nicht um eine anwaltliche Tätigkeit. Die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI seien deshalb nicht erfüllt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich vor allem auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wurde zunächst aufgrund der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die Senatsurteile vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R und B 5 RE 9/14 R) ruhend gestellt (Beschluss vom 19.8.2015 - B 5 RE 14/15 B - mit ausdrücklichem Hinweis darauf, dass dies keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit der erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde erlaube). Im Hinblick auf ein Verwaltungsverfahren über die rückwirkende Befreiung als Syndikusanwalt nach dem ab dem 1.1.2016 geltenden Recht wurde erneut das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 30.5.2017 - B 5 RE 14/16 B). Im September 2020 hat der Senat das Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen. Auf mehrfache Nachfragen zum weiteren Fortgang des Verfahrens hat sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht geäußert.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 SGG werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN).
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl ua Senatsbeschluss vom 17.6.2019 - B 5 R 61/19 B - juris RdNr 9 mwN).
Der Kläger formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung,
"ob ein angestellter Rechtsanwalt von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden kann und welche Wirkung eine einmal erteilte Befreiung für zukünftige Anträge auf Befreiung nach § 6 SGB VI haben kann",
"unter welchen Voraussetzungen diese Befreiungsmöglichkeit besteht oder nicht besteht",
"ob ein Rechtsanwalt, der bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber mit der Bearbeitung typisch anwaltlicher Tätigkeiten mit einer eigenen Weisungsunabhängigkeit ausgestattet ist, eine anwaltliche Tätigkeit ausübt"
und
"ob eine Befreiung aus den vom Senat in den Urteilen vom 3.4.2014 angenommenen Gründen auch dann abzulehnen ist, wenn vorher bereits einmal für eine Tätigkeit eine Befreiung erteilt worden war".
Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit aus sich heraus verständliche Rechtsfragen zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert hat, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschlüsse vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15 und vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - BeckRS 2016, 68283 RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Jedenfalls fehlt es an ausreichenden Darlegungen, dass diese Fragen noch klärungsbedürftig sind.
Der Kläger nimmt Bezug auf die Rechtsprechung vom 3.4.2014 (BSG Urteile vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12 sowie B 5 RE 3/14 R und B 5 RE 9/14 R - beide in juris). Danach konnte, wer nach dem bis zum 31.12.2015 geltenden Recht als Rechtsanwalt zugelassen und zugleich rentenversicherungspflichtig beschäftigt war, wegen seiner berufsständischen Versorgung für diese Beschäftigung nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Eine ausreichende Begründung dafür, dass - wie vom Kläger behauptet - die von ihm aufgeworfenen Fragen, ob ein angestellter Rechtsanwalt von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI befreit werden kann, durch diese schon vorliegenden Urteile noch nicht beantwortet sind, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Das Gegenteil liegt nahe schon aufgrund seines eigenen Vortrags, der 8. Senat des LSG habe in seinem Beschluss vom 22.4.2015 (gemeint ist offenbar der hier angefochtene Beschluss des 1. Senats vom 12.3.2015) "nahezu - zum Teil ohne eigene Prüfung - die Aussagen des BSG in seinen Urteilen vom 03.04.2014" übernommen.
Der Kläger macht geltend, es sei zu klären, unter welchen Voraussetzungen die Befreiungsmöglichkeit bestehe, und wiederholt mehrfach, auch nach den Urteilen vom 3.4.2014 stellten sich noch eine "Vielzahl von konkreten Rechtsfragen". Es bleibt indes offen, welche Rechtsfragen in den genannten Entscheidungen unbeantwortet geblieben sind. Für ein substantiiertes Vorbringen, dass solche im konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet wurden, genügt der bloße Hinweis auf weitere, noch anhängige Gerichtsverfahren nicht. Auch die Bezugnahme auf frühere Schriftsätze reicht insoweit nicht aus (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13a). Mit seinem Vortrag, das LSG gehe zu Unrecht von einer ständigen Rechtsprechung des BVerfG aus, dass Syndikusanwälte bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht anwaltlich beschäftigt seien, macht er eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend. Dies gilt auch hinsichtlich seines weiteren Vorbringens, das Berufungsgericht verkenne die Rechtsprechung des BGH zur Stellung der Syndikusanwälte. Dabei erschließt sich dem Senat schon nicht die Klärungsbedürftigkeit einer "konkreten Rechtsfrage, wie der BGH die Tätigkeit von Rechtsanwälten bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern bewertet hat".
Es fehlt insbesondere jede substantiierte Auseinandersetzung mit den Urteilen vom 3.4.2014, in denen der Senat nicht nur die Unvereinbarkeit der Berufsbilder des Rechtsanwalts und des Syndikusanwalts dargestellt hat, sondern auch auf den Unterschied zwischen dem angestellten Rechtsanwalt, der unabhängig und weisungsfrei Mandate seines Arbeitgebers bearbeitet, und dem Syndikusanwalt eingegangen ist, der im Rahmen eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und Arbeitskraft seinem Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss. Es mangelt damit an Darlegungen sowohl zur Klärungsbedürftigkeit als auch zur Klärungsfähigkeit der vom Kläger aufgeworfenen Fragen. Dass sein Vortrag, seine Beschäftigung habe sich im Hinblick auf seine Entscheidungskompetenzen und seine Weisungsunabhängigkeit erheblich von den am 3.4.2014 entschiedenen Konstellationen unterschieden, überhaupt relevant ist, legt der Kläger nicht dar. Auch für die Frage, welche Bedeutung Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nach der Rechtsprechung des Senats haben und inwiefern grundsätzliche Fragen dazu offen sind, fehlt es an substantiellem Vorbringen. Soweit der Kläger die Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend machen will, kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67 und Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 5 RS 10/18 B - juris RdNr 11).
Aus dem Vortrag, der Senat habe in seinen Urteilen "eine Reihe von Rechtsfragen aufgeworfen, die mittlerweile höchst umstritten sind" geht auch kein erneuter Klärungsbedarf zu den vom Kläger ausdrücklich bezeichneten Fragen hervor. Erneute Klärungsbedürftigkeit kann sich zwar aus neuen Entwicklungen in der Rechtsprechung des BVerfG, der Tatsachengerichte oder aus dem Schrifttum ergeben (vgl Leitherer, aaO, § 160 RdNr 8b). Dies ist insbesondere der Fall, wenn im neueren Schrifttum bislang noch nicht berücksichtigte Argumente angeführt oder sonst erhebliche Einwände vorgebracht werden (vgl BSG Beschluss vom 4.2.2021 - B 9 V 42/20 B - juris RdNr 6 mwN). Um darzulegen, dass einer bereits entschiedenen Rechtsfrage gleichwohl noch grundsätzliche Bedeutung zukomme, hat ein Beschwerdeführer aber aufzuzeigen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen wurde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist (stRspr; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52; BSG Beschluss vom 3.5.2018 - B 5 RE 5/18 B - juris RdNr 12 mwN). Auch diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Nach den drei Urteilen des für Streitigkeiten aus § 6 SGB VI allein zuständigen Senats vom 3.4.2014 reichen die Ausführungen nicht, es liege "noch keinerlei gefestigte Rechtsprechung vor" und es würde die "Grundsätze des bisherigen Verfahrens verletzen", wenn bereits durch eine einmalige Entscheidung des BSG jede weitere Klärung mit den Rechtsfragen zusammenhängender weiterer Fragen durch die Nichtzulassung der Revision unmöglich gemacht würde, ebenso wenig aus wie der Hinweis auf eine einzelne Literaturstelle. Welche konkreten Gründe gegen welche Erwägungen des Senats vorgetragen werden, lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen.
2. Soweit der Kläger der Ansicht ist, die Urteile des Senats vom 3.4.2014 (aaO) wichen von der früheren Rechtsprechung des 12. Senats des BSG, insbesondere in den Urteilen vom 31.10.2012 (ua B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9) ab, legt er auch den Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dar (zu den Anforderungen vgl BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 4 mwN). Das Vorbringen, der 12. Senat des BSG sei "noch davon ausgegangen, dass eine grundsätzliche Befreiungsmöglichkeit besteht", genügt dafür nicht. Aus der Beschwerdebegründung geht schon nicht hervor, dass es sich dabei um zumindest vergleichbare Sachverhalte handelte und sich die zitierten Entscheidungen auf Normen mit einem inhaltsgleichen Regelungsgehalt bezogen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14470829 |