Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Revisionszulassung. Verfahrensfehler. Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip. materielles Recht

 

Orientierungssatz

1. Wenn ein Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip gerügt werden soll, ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt und bis zur letzten mündlichen Verhandlung aufrechterhalten worden ist. Mit dem Beweisantrag muss sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt worden sein, über welche Tatsachen im einzelnen Beweis erhoben werden sollte (vgl zum Ganzen BSG vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG vom 18.12.2018 - B 12 R 37/18 B = juris RdNr 3).

2. Grundsätzlich ist es eine Frage des materiellen Rechts, wen die Folgen treffen, wenn eine bestimmte Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht festgestellt werden kann (non liquet, vgl BVerwG vom 28.3.1974 - V C 27.73 = BVerwGE 45, 131, 132 = juris RdNr 5f).

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 103

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 27.07.2021; Aktenzeichen L 2 BA 26/21)

SG Stade (Gerichtsbescheid vom 15.03.2021; Aktenzeichen S 52 BA 38/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6861,24 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der klagende Fußballverein gegen eine Nacherhebung von Beiträgen und Umlagen zur Sozialversicherung in Höhe von 4243,74 Euro zuzüglich 5221,50 Euro Säumniszuschlägen (insgesamt: 9465,24 Euro).

Auf der Grundlage einer Betriebsprüfung zog die Beklagte den Kläger für den Einsatz des Beigeladenen zu 1. (im Folgenden: Beigeladener) als Fußballspieler in der Zeit von September 2007 bis Juni 2008 zur Zahlung der genannten Beträge heran (Bescheid vom 21.2.2019 idF des Widerspruchsbescheids vom 4.11.2020).

Das SG Stade hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 15.3.2021); das LSG Niedersachsen-Bremen hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten sowie den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben, soweit Säumniszuschläge ab April 2013 festgesetzt worden sind. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat den Vorsitzenden des klagenden Vereins als Zeugen gehört und ausgeführt, der Beigeladene habe in der Zeit von September 2007 bis Juni 2008 in einem sozialversicherungspflichtigen, abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Kläger gestanden. Nach einer wertenden Betrachtung des Gesamtbildes der Tätigkeit verfolgten der Kläger und der Beigeladene mit dessen Einsatz als Fußballspieler wirtschaftliche Interessen. Der Senat habe unter Berücksichtigung der Zeugenaussage, des Vortrags des Klägers und des Beigeladenen keine Zweifel, dass von Nettoentgeltzahlungen in Höhe von monatlich 800 bis 1030 Euro auszugehen sei. Bereits in dem zugrunde liegenden Vertrag sei eine Garantiesumme von mindestens 800 Euro zugesichert worden. Ein konkreter finanzieller Aufwand, zB in Form von Fahrkosten, habe damit nicht korrespondiert. Als Gegenleistung habe sich der Beigeladene zu intensiver Mitarbeit nach Maßgabe der jeweiligen Anordnungen des Trainers verpflichtet. Es habe einen "Strafkatalog" zur Sanktionierung ua einer unentschuldigten Verspätung oder einer Nichtteilnahme an Trainings- und Spielterminen durch Zahlung einer Geldbuße an die Mannschaftskasse gegeben. Der Kläger könne sich weder auf fehlende Beanstandungen in vorausgegangenen Betriebsprüfungen noch auf Verjährung berufen, da die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden seien. Der Vereinsvorsitzende habe die Entgeltverhandlungen mit dem Beigeladenen geführt, einen Spielervertrag unterzeichnet, in dem ausdrücklich von einem "Arbeitsverhältnis als Spieler" die Rede sei, unter fehlerhafter Angabe eines monatlichen Entgelts in Höhe von 150 Euro für die Anmeldung des Beigeladenen bei der Minijobzentrale gesorgt und beim Finanzamt die Auskunft erhalten, dass ein "leistungsorientiertes Kilometergeld" steuerfrei nur für eine Erstattung bis zu 30 Cent pro Kilometer gewährt werden könne. An der Höhe der festgesetzten Beträge bestünden keine Zweifel; bis März 2013 schulde der Kläger auch Säumniszuschläge (Urteil des LSG vom 27.7.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). In der Beschwerdebegründung muss eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert werden (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN). Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6).

Diesen Anforderung wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

Insoweit genügt es nicht, auszuführen, dass eine "Präzisierung der Rechtsprechung zu § 7 SGB IV, der viel zu allgemein gefasst wurde, insbesondere zu Amateuren und ehrenamtlich Tätigen … zur Fortbildung des Rechts dringend erforderlich" sei (S 4 der Beschwerdeschrift vom 15.9.2021) oder dass "es im Jahr 2007/2008 bis jetzt keine gesetzlichen Rechtsgrundlage gibt, wie das Fußballspielen auf vereinsrechtlicher Basis von dem Spielen als Arbeitnehmer konkret abzugrenzen" sei (S 11 Beschwerdeschrift vom 16.11.2021). Schließlich liegt auch in der Frage, "wann Spieler der unteren Ligen Angestellte des Vereins" seien (S 37 der Beschwerdeschrift vom 16.11.2021), keine den Anforderungen entsprechende Bezeichnung einer abstrakt-generellen Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer konkreten Norm des Bundesrechts, sondern eine unbeachtliche Subsumtionsrüge (vgl hierzu BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 12 KR 65/20 B - juris RdNr 14 mwN).

Zudem ist die Klärungsbedürftigkeit der sinngemäß aufgeworfenen Fragen oder beschriebenen Rechtsprobleme nicht hinreichend dargelegt. Es fehlt insbesondere an einer hinreichenden Auseinandersetzung damit, inwieweit diese anhand der gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung des BSG als hinreichend geklärt anzusehen sind. Diesbezüglich befasst sich der Kläger nicht ausreichend mit den von der Rechtsprechung des BSG zu § 7 SGB IV bereits aufgestellten Kriterien; insbesondere fehlt jede Auseinandersetzung mit den Senatsentscheidungen zu ehrenamtlichen Tätigkeiten (BSG Urteile vom 27.4.2021 - B 12 KR 25/19 R - BSGE 132, 97 = SozR 4-2400 § 7 Nr 55 und - B 12 R 8/20 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 56; BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 15/19 R - BSGE 131, 266 = SozR 4-2400 § 7 Nr 54).

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Die Beschwerdebegründung muss daher erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht.

Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger hat weder sich widersprechende Rechtssätze noch aufgezeigt, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG nicht nur nicht beachtet oder unzutreffend angewandt, sondern auch in Frage gestellt hätte. Die Behauptung, das LSG verstoße gegen die Rechtsprechung des BSG, weil nicht aufgeklärt worden sei, "wofür, wieviel und aus welchem Grund gezahlt wurde", und habe nicht berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des BSG "auf den Kenntnisstand aus der Sicht eines Laien" abzustellen sei, sowie der Einwand, die Begründungen seien von der "Aktenlage nicht getragen" (S 4 f der Beschwerdeschrift vom 15.9.2021), können ebenso wenig zur Zulassung der Revision wegen Divergenz führen wie die Behauptung, das LSG habe "die wesentlichen Ausführungen des BSG, des BAG, des BFH und des BGH … nicht auf den vorliegenden Sachverhalt angewendet" (S 11 der Beschwerdeschrift vom 16.11.2021 - vgl hierzu BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).

Auch soweit in der innerhalb der bis zum 22.11.2021 verlängerten Begründungsfrist eingegangenen Beschwerdeschrift vom 16.11.2021 im Folgenden umfangreich aus verschiedenen Entscheidungen der Bundesgerichte zitiert wird, erfüllt dies nicht die Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz. Es fehlt insbesondere an einer Gegenüberstellung einander widersprechender abstrakter Rechtssätze. Der Kläger legt lediglich dar, dass das LSG aus seiner Sicht die von der Rechtsprechung der Bundesgerichte entwickelten Maßstäbe und Kriterien nicht hinreichend berücksichtigt und die Tatsachen nicht entsprechend seinen eigenen Vorstellungen gewürdigt habe. Darüber hinaus berücksichtigt der Kläger nicht, dass nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG eine Divergenzrüge nur mit der Begründung einer Abweichung zur Rechtsprechung der dort genannten Gerichte erhoben werden kann.

3. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16, 16c mwN). Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf die Verletzung der §§ 109, 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG).

a) Der Kläger legt zwar dar, dass das LSG in zahlreichen Punkten von einem aus seiner Sicht unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, eine Verletzung der Sachaufklärungs- bzw Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) ist damit aber nicht hinreichend bezeichnet. Insoweit fehlt es bereits an einem in Bezug genommenen Beweisantrag. Wenn ein Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip gerügt werden soll, ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt und bis zur letzten mündlichen Verhandlung aufrechterhalten worden ist. Mit dem Beweisantrag muss sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt worden sein, über welche Tatsachen im einzelnen Beweis erhoben werden sollte (vgl zum Ganzen BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2018 - B 12 R 37/18 B - juris RdNr 3). Dass der Kläger vor dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag nicht nur gestellt, sondern auch bis zuletzt aufrechterhalten hätte, ist nicht dargetan.

Soweit er ausführt, das "LSG begründet seine Entscheidung an mehreren Stellen durch eigene Schätzungen und Unterstellungen" (S 5 der Beschwerdeschrift vom 15.9.2021), statt die Tatsachen aufzuklären, genügt dies nicht, um einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht hinreichend zu bezeichnen. Denn der Kläger bezeichnet bereits nicht, um welche vermeintlichen Schätzungen und Unterstellungen es konkret geht.

b) Auch eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens oder des rechtlichen Gehörs legt der Kläger nicht hinreichend dar. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Prozessgericht nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden. Es hat (lediglich) die Darlegungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216).

In der Beschwerdebegründung sind jedoch keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass das LSG Darlegungen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen haben könnte. Eine nicht mit der Ansicht des Klägers übereinstimmende rechtliche Wertung oder Beweiswürdigung des LSG begründet keinen Verfahrensmangel. Das Gericht ist auch nicht gehalten, die Beteiligten zu der beabsichtigten Beweiswürdigung zuvor anzuhören. Vielmehr entscheidet das Gericht nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung und ein Verfahrensmangel kann grundsätzlich nicht auf eine Verletzung dieser Vorschrift gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Diese Regelungen dürfen nicht durch die Rüge einer Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens oder des rechtlichen Gehörs umgangen werden.

c) Soweit der Kläger rügt, das LSG habe die Grundsätze eines fairen Verfahrens dadurch verletzt, dass es die allgemeinen Beweislastregeln "umgedreht" habe (S 11 der Beschwerdeschrift vom 16.11.2021), fehlt es schon an Darlegungen dazu, ob und inwieweit dadurch das Verfahrensrecht betroffen ist. Grundsätzlich ist es eine Frage des materiellen Rechts, wen die Folgen treffen, wenn eine bestimmte Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht festgestellt werden kann (non liquet, vgl hierzu BVerwG Urteil vom 28.3.1974 - V C 27.73 - BVerwGE 45, 131, 132 = juris RdNr 5 f).

d) Bezüglich der Rüge, das LSG sei dem Antrag auf Akteneinsicht nicht ausreichend nachgekommen (S 11 der Beschwerdeschrift vom 16.11.2021), fehlt es an hinreichenden Darlegungen dazu, dass die Entscheidung des LSG auf einem solchen Mangel beruhen könnte. Soweit der Kläger hierzu ausführt, die Sache sei nicht verhandlungsreif gewesen, weil die Steuerfahndungsakte nicht vorgelegen habe (S 15 der Beschwerdeschrift vom 16.11.2021), rügt er damit im Kern letztlich wieder einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht, ohne sich auf einen entsprechenden Beweisantrag zu beziehen. Der Kläger begründet auch den in diesem Zusammenhang gemachten Vorwurf, das LSG habe "kurzen Prozess" machen wollen, nicht hinreichend. Vielmehr mutmaßt er, ob die Steuerfahndungsakte die Annahme des LSG wiedergebe, sei ohne Akteneinsicht völlig offen. Um welche Annahmen des LSG es dabei konkret geht, zeigt der Kläger nicht auf.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 und § 162 Abs 3 VwGO.

6. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG und berücksichtigt, dass das LSG die angefochtenen Bescheide der Beklagten sowie den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben hat, soweit Säumniszuschläge ab April 2013 festgesetzt worden sind. Die bisher für die Zeit von September 2007 bis einschließlich Mai 2018 erhobenen Säumniszuschläge in Höhe von 5221,50 Euro reduzieren sich daher auf 2617,50 Euro (223,50 Euro für die Zeit bis einschließlich Juli 2008 und je 42 Euro für insgesamt 57 Monate von Juli 2008 bis einschließlich März 2013). Zusammen mit den rückständigen Beiträgen in Höhe von 4243,74 Euro ergibt sich daraus der Streitwert in Höhe von 6861,24 Euro.

Heinz Beck U. Waßer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15203367

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