Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts. ehrenamtlicher Richter. Mitwirkung an einem Verhandlungstermin ohne Vereidigung
Leitsatz (amtlich)
Wirkt ein ehrenamtlicher Richter an der mündlichen Verhandlung mit, ohne dass er zuvor vereidigt worden ist, ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt.
Orientierungssatz
Auch wenn die Vereidigung nach § 45 Abs 2 S 2 DRiG für eine unmittelbar anschließende, erneute Bestellung weiter gilt, betrifft dies nur die "Dauer des Amtes". Bei einem Wechsel des ehrenamtlichen Richters an ein höherinstanzliches Gericht, ist nach dessen Berufung in das neue Amt stets eine erneute Vereidigung erforderlich.
Normenkette
DRiG § 45 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 3; SGG §§ 3, 33, 153 Abs. 5, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5, § 202 S. 1; ZPO § 547 Nr. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 22.02.2017; Aktenzeichen L 12 R 168/14) |
SG Oldenburg (Gerichtsbescheid vom 14.10.2014; Aktenzeichen S 82 R 339/12) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Februar 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger blieb mit seinem Antrag bei der Beklagten und vor dem SG (Gerichtsbescheid vom 14.10.2014) erfolglos. Die Berufung ist nach weiterer Sachaufklärung und Anhörung nach § 153 Abs 5 SGG auf die Berichterstatterin übertragen worden. Das Berufungsgericht hat in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richtern die Berufung mit Urteil vom 22.2.2017 zurückgewiesen. Die Zustellung des Urteils ist mit einem Hinweis erfolgt, wonach im Nachgang der Sitzung bekannt geworden sei, dass eine Vereidigung des ehrenamtlichen Richters M. auf die Niedersächsische Verfassung noch nicht erfolgt sei.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angegriffenen Urteil. Er rügt den Verfahrensmangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts.
Auf Nachfrage des Senats zum Zeitpunkt der Vereidigung des genannten ehrenamtlichen Richters hat das Berufungsgericht mit Schreiben vom 2.8.2017 eine Abschrift des Protokolls über dessen Vereidigung in der öffentlichen Sitzung vom 27.4.2017 übermittelt.
II. Auf die Beschwerde des Klägers ist das Urteil des LSG vom 22.2.2017 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger hat frist- und formgerecht (vgl § 160a Abs 1 S 2 und Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend den geltend gemachten absoluten Revisionsgrund (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 S 1 SGG) gerügt.
Wirkt ein ehrenamtlicher Richter an der mündlichen Verhandlung oder einer Beratung des Gerichts mit, ohne dass er zuvor vereidigt worden ist, so folgt daraus eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung in diesem Termin nach § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO (vgl BVerwG Beschluss vom 5.11.2004 - 10 B 6/04 - Buchholz 310 § 138 Ziff 1 VwGO Nr 41 - Juris RdNr 2; BGH Urteil vom 22.5.2003 - 4 StR 21/03 - BGHSt 48, 290 - Juris RdNr 5 zu § 338 Nr 1 StPO; BAG Urteil vom 11.3.1965 - 5 AZR 129/64 - BAGE 17, 114 - Juris RdNr 13 ff).
Zwar wird der Status als ehrenamtlicher Richter bereits mit der das Berufungsverfahren abschließenden Zustellung des Berufungsschreibens erlangt (vgl BAG Urteil vom 11.3.1965 - 5 AZR 129/64 - BAGE 17, 114 - Juris RdNr 14), sodass das LSG hier formal zutreffend nach § 153 Abs 5 iVm § 33 Abs 1 S 2, § 3 SGG mit zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt war. Ohne Vereidigung fehlt es aber an einer für die Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters wesentlichen Voraussetzung, sodass in der mündlichen Verhandlung keine "vorschriftsmäßige" Besetzung gegeben ist.
Bei der Vereidigung nach § 45 Abs 2 S 1 DRiG handelt es sich dem Wortlaut gemäß um eine zwingende Voraussetzung für die Amtsausübung des ehrenamtlichen Richters ("ist … zu vereidigen"). Dies entspricht dem Zweck der Eidesleistung, die den ehrenamtlichen Richter in feierlicher Form in die Pflicht nehmen und ihm auf diese Weise eindrücklich bewusst machen soll, welcher verantwortungsvollen Aufgabe er sich bei der Ausübung seines Richteramts zu unterziehen hat (vgl BVerwG Beschluss vom 5.11.2004 - 10 B 6/04 - Juris RdNr 2). Dabei wiegt allerdings nicht jeder formale Verstoß bei der Vereidigung so schwer, dass ein absoluter Revisionsgrund anzunehmen ist (vgl BVerwG Urteil vom 21.10.1980 - 2 WD 17/80 - BVerwGE 73, 78; BFH Beschluss vom 28.8.2007 - VII B 68/06 - Juris RdNr 5 zum Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot bzw die Protokollierungspflicht bei der Vereidigung).
Es kann dahinstehen, ob eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts schon allein deshalb vorliegen kann, wenn eine - zusätzliche - Vereidigung auf die Niedersächsische Landesverfassung nach der Kann-Vorschrift des § 45 Abs 7 DRiG iVm § 15 des Niedersächsischen Richtergesetzes fehlt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 28.1.2009 - B 6 KA 53/07 B - Juris RdNr 21).
Denn nach den Ermittlungen des Senats steht fest, dass auch die Vereidigung des ehrenamtlichen Richters M. auf das Grundgesetz (§ 45 Abs 3 DRiG) nicht wie erforderlich "vor seiner ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung des Gerichts" (§ 45 Abs 2 S 1 DRiG) erfolgt ist. In dem Antwortschreiben des LSG vom 2.8.2017 auf die Nachfrage des Senats, wann der ehrenamtliche Richter auf das Grundgesetz bzw auf eine Landesverfassung vereidigt worden sei, wird auf das beigefügte Protokoll vom 27.4.2017 verwiesen. Aus dessen Inhalt ergibt sich, dass der ehrenamtliche Richter erst an diesem Tag - und damit für die Sitzung am 22.2.2017 zu spät - seinen Eid sowohl auf das Grundgesetz als auch auf beide Landesverfassungen (§ 45 Abs 3 und 7 DRiG) geleistet hat.
Es kommt dabei nicht darauf an, ob der ehrenamtliche Richter M. bereits ordnungsgemäß für seine vorangehende richterliche Tätigkeit am SG Bremen vereidigt worden ist. Nach der seit dem Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz vom 26.6.1990 (BGBl I 1206) geltenden Fassung des § 45 Abs 2 S 2 DRiG gilt die Vereidigung zwar auch für eine unmittelbar anschließende, erneute Bestellung weiter - dies betrifft jedoch nur "die Dauer des Amtes". Wechselt der ehrenamtliche Richter an ein höheres Gericht, so bedarf es nach seiner Berufung in das neue Amt stets auch einer erneuten Vereidigung (vgl Bader in Bader/Hohmann/Klein, Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, 13. Aufl 2012, VI RdNr 4; Liebscher in Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl 2015, § 20 RdNr 24; Schwab, NZA 1991, 657, 658).
Der eingetretene Besetzungsmangel wird nicht dadurch geheilt, dass die Vereidigung am 27.4.2017 nachgeholt worden ist; die spätere Vereidigung deckt nur die künftige, aber nicht die vorangegangene Amtsführung des ehrenamtlichen Richters ab (vgl BVerwG Beschluss vom 5.11.2004 - 10 B 6/04 - Buchholz 310 § 138 Ziff 1 VwGO Nr 41 - Juris RdNr 5).
Der Verfahrensmangel stellt einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird.
Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, steht es im Ermessen des erkennenden Senats, nach § 160a Abs 5 SGG zu verfahren. Im Rahmen dieser Ermessensausübung ist der Senat nicht daran gebunden, dass der Kläger nur die Zulassung der Revision und nicht - auch nicht hilfsweise - die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beantragt hat. Der Senat verweist den Rechtsstreit maßgeblich aus prozessökonomischen Gründen sogleich an das LSG zurück.
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
NZS 2017, 920 |
Breith. 2018, 430 |
RohR 2018, 24 |