Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 07.02.2022; Aktenzeichen S 12 U 156/20) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.07.2022; Aktenzeichen L 2 U 40/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Juli 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil des LSG mit einem von ihm selbst verfassten und nicht unterzeichneten, am 27.8.2022 durch Telefax beim BSG eingegangenen Schreiben vom 26.8.2022 Beschwerde eingelegt.
Der Kläger kann jedoch, worauf er bereits durch die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden ist, die Beschwerde wirksam nur durch zugelassene Prozessbevollmächtigte einlegen lassen (§ 73 Abs 4 SGG). Das von ihm privatschriftlich eingelegte Rechtsmittel entspricht daher nicht der gesetzlichen Form.
Gegen diesen Vertretungszwang bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das haben mehrfach sowohl das BVerfG (Kammerbeschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 13 sowie Beschlüsse vom 16.6.1983 - 1 BvR 664/83 - SozR 1500 § 166 Nr 10, vom 12.1.1960 - 1 BvL 17/59 - BVerfGE 10, 264, 267 f und vom 17.3.1959 - 1 BvL 5/57 - BVerfGE 9, 194, 199 f) als auch das BSG (Beschlüsse vom 21.1.1971 - 7 RAr 49/70 - SozR Nr 43 zu § 166 SGG und vom 25.10.1957 - 8 RV 935/57 - SozR Nr 20 zu § 166 SGG) entschieden. Der Vertretungszwang ist auch mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere mit dem durch Art 6 EMRK garantierten Anspruch auf Zugang zum Gericht, vereinbar (EGMR Urteil vom 10.5.2007 - 76680/01 - Skugor vs Deutschland, juris RdNr 106 ff - zur Qualifizierung einer Rüge, der Anwaltszwang verletze Art 6 EMRK, als "offensichtlich unbegründet"; BVerfG Kammerbeschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 13; BSG Beschlüsse vom 4.8.2016 - B 13 R 213/16 B - juris RdNr 8, vom 3.5.2011 - B 9 SB 21/11 B - juris RdNr 3, vom 27.1.2005 - B 11a/11 AL 265/04 B - juris RdNr 7 und vom 21.8.2003 - B 3 P 8/03 B - juris RdNr 6). Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des EGMR vom 14.11.2013 (17092/04 - Kozlitin vs Russland), auf das der Kläger hinweist. Schließlich verletzt der Vertretungszwang auch nicht Art 47 Abs 2 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh), wonach sich jede Person vor Gericht beraten, verteidigen und vertreten lassen "kann". Denn diese Kann-Vorschrift versperrt den Mitgliedstaaten keinesfalls die Möglichkeit, vor ihren obersten Gerichtshöfen einen Vertretungszwang vorzuschreiben (vgl EuGH Beschluss vom 3.9.2015 - C-52/15 - Celex-Nr 62015CO0052 = juris RdNr 18 ff - Lambauer; BSG Beschluss vom 5.4.2011 - B 5 R 66/11 B - juris RdNr 4; BFH Beschluss vom 22.7.2010 - V S 8/10 - BFH/NV 2010, 2095; Alber in Tettinger/Stern, Kölner Gemeinschaftskommentar zur EUGrdRCh, 2006, Art 47 RdNr 72; Blanke in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl 2022, Art 47 EUGrdRCh RdNr 19; Eser/Kubiciel in Meyer/Hölscheidt, EUGrdRCh, 5. Aufl 2019, Art 47 RdNr 40; Jarass, EUGrdRCh, 4. Aufl 2021, Art 47 RdNr 56; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl 2018, Art 47 EUGrdRCh RdNr 11; auch vor dem EuGH besteht ein Vertretungszwang, vgl Art 19 Abs 3 Satzung EuGH sowie Art 59 Verfahrensordnung des Gerichtshofes). Soweit sich der Kläger auf Art 14 Abs 3 Buchst d) des von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten (BGBl II 1973, 1553) Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 beruft, übersieht er, dass sich diese Vorschrift nicht auf sozialgerichtliche Verfahren, sondern allein auf strafrechtliche Anklagen (criminal charges) bezieht. Schließlich ist auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Vereinten Nationen (Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10.12.1948) nicht verletzt, weil der Kläger im vorliegenden Verfahren sowohl beteiligten- als auch prozessfähig (§ 70 Nr 1, § 71 Abs 1 SGG) ist und damit als rechtsfähig anerkannt wird, wie es Art 6 AEMR vorschreibt.
Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist folglich als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Roos Hüttmann-Stoll Karmanski
Fundstellen
Dokument-Index HI15471143 |