Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 17.10.2017; Aktenzeichen L 9/10 R 550/12) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 25.10.2012; Aktenzeichen S 36 R 108/11) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Oktober 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe
Mit Urteil vom 17.10.2017 - dem Kläger zugestellt am 4.11.2017 - hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.
Mit einem am 29.11.2017 beim BSG eingegangenen Schreiben und weiterem Schreiben vom 22.2.2018 hat der Kläger für die Durchführung des Verfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
Die Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Zivilprozessordung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen. Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.
Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das vom Kläger angegriffene Urteil auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht ersichtlich.
Zu den Leistungsvoraussetzungen der hier streitigen Rente wegen Erwerbsminderung nach den §§ 43, 240 SGB VI besteht bereits eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG (vgl dazu Gürtner in Kasseler Kommentar, Stand: April 2010, laufende Kommentierung zu §§ 43, 240 SGB VI und die Nachweise im Ablegeordner zu §§ 43, 44 SGB VI).
Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbs 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor.
Ein derartiger Beweisantrag, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich. Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn der Beschwerdeführer - wie hier der Kläger - im Berufungsverfahren durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (Senatsbeschluss vom 31.7.2013 - B 5 R 53/13 B - Juris RdNr 9 sowie BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5; vgl auch Becker, SGb 2007, 328, 331; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 733, 739). Ein unvertretener Beteiligter muss einen konkreten Beweisantrag aber zumindest sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese weiter aufzuklären (Senatsbeschluss aaO sowie BSG Beschlüsse vom 2.6.2003 - B 2 U 80/03 B - Juris RdNr 4 und vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - Juris RdNr 11).
Die Anträge des Klägers in der mündlichen Verhandlung benennen zwar noch hinreichend konkret Beweismittel (sachverständiger Zeuge bzw Sachverständiger), lassen aber jeweils offen, welche konkreten Umstände auf dieser Grundlage zur maßgeblichen Überzeugung des Gerichts festgestellt werden sollen. Auch ein unvertretener Kläger muss dem Berufungsgericht indessen verdeutlichen, dass und ggf wo er die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht und deshalb im Berufungsverfahren auf die Sachverhaltsaufklärung hinwirken, deren Unterlassen er nunmehr rügt (BSG Beschlüsse vom 2.6.2003 - B 2 U 80/03 B - Juris RdNr 4 und vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - Juris RdNr 5). Denn § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG setzt einen Beweisantrag ohne jede Einschränkung voraus.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung insbesondere beantragt hat, weitere Gutachten auf psychiatrischem bzw lungenfachärztlichem Gebiet einzuholen, wird nicht erkennbar, dass sich der Beweisantrag im Rahmen eines Rentenverfahrens möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen muss. Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Fichte, SGb 2000, 653, 656). Liegt bereits ein Gutachten zum Gesundheitszustand und - daraus herleitend - zum verbliebenen Leistungsvermögen vor und hat sich dadurch schon ein gewisses Leistungsbild manifestiert, bedarf es besonderer Angaben, weshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens bzw einer weiteren Beweisaufnahme erforderlich ist. Hierfür muss auch ein unvertretener Beteiligter gezielt zusätzliche Einschränkungen auf das verbliebene Leistungsvermögen durch weitere - oder anders zu beurteilende - dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen angeben und damit konkrete Punkte benennen, die er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat. Daran fehlt es. Der Kläger behauptet bereits keine konkreten Beeinträchtigungen, sondern erstrebt durch ein weiteres Sachverständigengutachten erst die Beschaffung von Grundlagen für weitere Tatsachenbehauptungen. Er stellt damit in Wahrheit Beweisermittlungsanträge.
Soweit der Kläger mit Schreiben vom 24.10.2017 "die Vernehmung des Gutachters Heyl" beantragt hat, kann sich hieraus ein Verfahrensfehler des Berufungsgerichts schon deswegen nicht ergeben, weil dieses nach Verkündung des Urteils am 17.10.2017 ein weiteres Vorbringen der Beteiligten nicht mehr berücksichtigen konnte.
Schließlich kann auch die Rüge des Klägers, das LSG habe gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verstoßen, nicht durchgreifen. Von einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann erst ausgegangen werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl BVerfG vom 30.6.1994 - 1 BvR 2112/93 - Juris RdNr 21). Derartige besondere Umstände sind hier nicht feststellbar. Soweit der Kläger rügt, die "Einlassung des Gerichts bzgl. der Arbeitsunfähigkeitszeiten - während meiner Haftzeit - und deren rentenspezifischen Interpretation, entbehrt jeder Grundlage bzw. entspricht nicht einmal ansatzweise der Wahrheit!", sind solche besonderen Umstände nicht ersichtlich. Vielmehr wendet er sich im Kern seines Vorbringens gegen das Ergebnis der Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann eine Verfahrensrüge hierauf nicht gestützt werden. Auch die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Da dem Kläger somit PKH nicht zu bewilligen ist, hat er nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Fundstellen
Dokument-Index HI11650422 |