Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 26.06.2019; Aktenzeichen S 5 KA 4802/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.03.2022; Aktenzeichen L 5 KA 2311/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. März 2022 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Regresses wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen aus dem Jahr 2013.
Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin und nimmt im Bereich der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung an der hausärztlichen Versorgung teil. Nachdem der Beklagte dem Kläger 2012 eine individuelle Beratung für das Jahr 2007 erteilt hatte, setzte die zuständige Prüfungsstelle wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen für das Jahr 2013 um 42,44 % einen Regress in Höhe von 25 000 Euro fest (Bescheid vom 17.12.2015). Im anschließenden Widerspruchsverfahren beantragte der Kläger vorsorglich den Abschluss einer regressablösenden Individualvereinbarung gemäß § 106 Abs 5d SGB V aF. Der Beklagte lehnte die Vereinbarung einer individuellen Richtgröße ab und wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Beschluss vom 26.7.2017/Bescheid vom 11.8.2017). Eine Regressablösevereinbarung setze eine von der allgemeinen Richtgröße nicht berücksichtigte strukturelle Praxisbesonderheit voraus. Zudem hätte eine individuelle Richtgrößenvereinbarung erst mit Wirkung vom Quartal 4/2017 in Kraft treten können; § 106 Abs 5d SGB V aF besitze aber seit dem 1.1.2017 keine Gültigkeit mehr, sodass die Geschäftsgrundlage einer solchen Vereinbarung bereits mit Beginn des Kalenderjahres 2017 entfallen wäre. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II
1. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen entspricht.
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Dem wird die Beschwerde des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob
1. "der Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung gemäß § 106 Absatz 5d SGB V voraussetzt, dass eine von der allgemeinen Richtgröße nicht berücksichtigte strukturelle Praxisbesonderheit beim Vertragsarzt vorliegt?",
2. "der Abschluss einer individuellen Zielvereinbarung gemäß § 106 Absatz 5d Satz 4 SGB V (a.F.) nur dann möglich ist, wenn hinreichend konkrete und ausreichende Wirtschaftlichkeitsziele für das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes sich aus der Zielvereinbarung der Arzneimittelvereinbarung entnehmen lassen?" sowie
3. "mit der Neuregelung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen ärztlich verordneter Leistungen zum 1.1.2017 durch den § 106b SGB V (n.F.) die Regelungen des § 106 Absatz 5d Satz 2 SGB V (a.F.) keine Gültigkeit mehr besitzen und die Geschäftsgrundlage für eine individuelle Richtgrößenvereinbarung mit Beginn des Kalenderjahrs 2017 weggefallen ist?"
Dass diese sich alle auf eine Richtgrößenprüfung nach altem Recht beziehenden Rechtsfragen (noch) grundsätzliche Bedeutung haben, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Die Voraussetzungen eines Regresses wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen waren für das Jahr 2013 in § 84 Abs 6, § 106 Abs 5a bis 5d SGB V aF im Einzelnen geregelt. Seit den Änderungen durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) wird die Durchführung von Richtgrößenprüfungen nicht mehr bundesgesetzlich geregelt; die Regelungen des § 106 Abs 5d SGB V aF, auf die der Kläger in den von ihm formulierten Fragen abstellt, sind zum 1.1.2017 aufgehoben wurden. Damit haben diese Fragen nicht mehr geltendes Recht zum Gegenstand. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die Auslegung einer Rechtsnorm, bei der es sich um bereits außer Kraft getretenes Recht handelt, regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage daraus erwächst, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10; BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht kann eine Klärungsbedürftigkeit nur anerkannt werden, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage dieses nicht mehr geltenden Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 6 KA 26/20 B - juris RdNr 25, jeweils mwN). Solche Umstände müssen in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (BSG Beschluss vom 26.1.2022 - B 6 KA 17/21 B - juris RdNr 7).
Dem ist der Kläger nicht hinreichend nachgekommen. Insbesondere genügt es nicht, wenn er allgemein behauptet, es handele sich "nicht um eine singuläre Besonderheit, sondern Auswirkungen auf alle die noch zu entscheidenden Richtgrößenprüfungen bis zum Jahr 2017, welche in großer Zahl noch rechtshängig sind" (vgl S 24 der Beschwerdebegründung zur ersten Rechtsfrage) oder ausführt, die Rechtsfragen hätten auch eine grundsätzliche Bedeutung, da sie "sämtliche Vertragsärzte, welche sich noch in Richtgrößenprüfungen befinden, treffen; die Widerspruchsverfahren für die Richtgrößenprüfungen bis 2016 sind - teilweise auch bedingt durch die Corona-Pandemie nicht durchzuführenden mündlichen Anhörungen - noch in einer Vielzahl offen und noch nicht abschließend geklärt" (vgl S 30 der Beschwerdebegründung zur zweiten Rechtsfrage) bzw "eine größere Anzahl von Vertragsärzten betrifft, welche noch in ausstehenden Richtgrößenprüfungen involviert sind. In einer Reihe von weiteren mit der Beklagten geführten Widerspruchs- bzw. Klageverfahren ist die Rechtsfrage zu 3. strittig (u.a. SG Stuttgart S 5 KA 4713/13)" (vgl S 36 der Beschwerdebegründung zur dritten Rechtsfrage). Unabhängig davon, dass dies zum Teil schon in der Sache nicht zutrifft, da die ersten beiden Rechtsfragen gerade nicht "alle" oder "sämtliche" Vertragsärzte betreffen, bei denen noch Richtgrößenprüfungen aus den Jahren vor 2017 offen sind, sondern lediglich diejenigen, bei denen die Prüfgremien den Abschluss einer regressablösenden Individualvereinbarung gemäß § 106 Abs 5d SGB V aF aus den in den Rechtsfragen genannten Gründen abgelehnt haben, genügen diese allgemeinen Angaben nicht, um zu belegen, dass noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage desselben außer Kraft getretenen Rechts zu entscheiden ist. Dies gilt ebenso, soweit der Kläger in Bezug auf die dritte Rechtsfrage ein einziges beim SG Stuttgart anhängiges Verfahren konkret benannt hat (vgl BSG Beschluss vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - juris RdNr 35).
Nur ergänzend sei hinsichtlich der letzten Rechtsfrage darauf hingewiesen, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass § 106 Abs 5d Satz 2 SGB V aF zum 1.1.2017 außer Kraft getreten ist und damit der Abschluss neuer Individualvereinbarungen nicht mehr in Betracht kommt. Soweit der Kläger geklärt wissen möchte, ob hierdurch bereits zuvor abgeschlossenen Vereinbarungen die Geschäftsgrundlage entzogen wurde, ist diese Frage für den vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, da eine solche Vereinbarung zwischen dem Kläger und den Prüfungsgremien auch nach eigenen Darlegungen gerade nicht zustande gekommen ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keinen eigenen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.
Fundstellen
Dokument-Index HI15673511 |