Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 23.05.2000)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 2000 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 23. Mai 2000 hat das Landessozialgericht Hamburg (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Die Klägerin sei weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig. Nach ihrem beruflichen Werdegang sei sie als einfache, angelernte Arbeiterin einzustufen. Aufgrund der getroffenen medizinischen Feststellungen sei sie noch in der Lage, eine zumutbare Tätigkeit auszuüben. Sie könne noch körperlich leichte und zuweilen auch mittelschwere Arbeiten – unter Beachtung weiterer, im Berufungsurteil einzeln benannter Leistungseinschränkungen – vollschichtig verrichten. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung und/oder vielfältige erhebliche Leistungseinschränkungen lägen nicht vor. Für die bei der Klägerin festgestellten Krankheiten und Behinderungen stütze sich der Berufungssenat auf die Gutachten der Doktores (Dres) F. …, R. … und B. … …, auf die Befundberichte der Dres P. … und Bo. … sowie auf die Ausführungen der beiden letztgenannten Ärzte im Termin zur mündlichen Verhandlung. Aufgrund dieser Gutachten und Berichte sei der Sachverhalt als geklärt anzusehen.

Den Antrag gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf Anhörung von Dr. C. … … habe der Berufungssenat abgelehnt, weil dieser Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden sei und durch seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden wäre. Der hilfsweise beantragten Anhörung von Dr. C. … … als sachverständigen Zeugen habe es nicht bedurft. Die von ihm im Befundbericht vom 11. März 1999 aufgeführte „ausgeprägte depressive Symptomatik im Sinne einer Major-Depression” möge, was der Berufungssenat unterstelle, bei der im Februar 1999 erfolgten einzigen Untersuchung zu beobachten gewesen sein, der zeugenschaftlichen Bestätigung dieser Wahrnehmung durch Dr. C. … habe es aber nicht bedurft. Weder hätten vorher Dr. F. … und Dr. R. … noch habe nachher Dr. Bo. … eine vergleichbare Symptomatik beobachtet.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Beschwerdebegründung sind dazu diejenigen Tatsachen genau anzugeben, die den Mangel ergeben sollen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 10, 14).

Die Klägerin rügt zunächst, das LSG sei dem im Verhandlungstermin am 23. Mai 2000 gemäß § 109 SGG gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens bei Dr. C. … nicht gefolgt. Damit hat sie keinen Revisionszulassungsgrund bezeichnet, weil nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf eine Verletzung des § 109 SGG gestützt werden kann. Diese Regelung gilt ausnahmslos (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 34, 67), mithin selbst für den Fall, daß das Gericht den nach § 109 SGG gestellten Antrag aus offensichtlich nicht zutreffenden, dem Akteninhalt entgegenstehenden Gründen abgelehnt hat (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 127), und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 1500 § 160 Nr 69; vgl hierzu Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, Kapitel IX RdNr 125).

Des weiteren macht die Klägerin eine Verletzung der berufungsgerichtlichen Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) geltend. Wird ein Verstoß gegen § 103 SGG gerügt, ist der Darlegungspflicht nur genügt, wenn die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthält: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund deren die von diesem Beweisantrag berührten Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der das bisherige Beweisergebnis betreffenden Umstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung hätten Anlaß geben müssen, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung, (5) Schil-derung, daß und warum die Entscheidung des LSG auf dem angeblich fehlerhaften Unterlassen einer Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nrn 5, 35, 45 und § 160a Nrn 24, 34). Diesen Kriterien trägt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend Rechnung.

Es bedarf vorliegend keiner Auseinandersetzung darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen – ausnahmsweise – ein Beweisantrag nach § 109 SGG einen Beweisantrag nach § 103 SGG enthalten kann (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160 Nr 67). Von der Klägerin wird mit der Beschwerde nicht geltend gemacht, der von ihr gemäß § 109 SGG gestellte Antrag sei hilfsweise auch als Antrag gemäß § 103 SGG zu verstehen gewesen. Ein derartiges Vorbringen ergibt sich auch nicht daraus, daß die Klägerin die Nichtanhörung von Dr. C. … als sachverständigen Zeugen zu der Frage rügt, ob bei ihr „… eine Major-Depression mit Paramutismus, Antriebsverlust, sozialem Rückzug, Schlafstörungen, innerer Unruhe und depressiver Pseudodemenz” vorliege, die eine Leistungsunfähigkeit bedeuteten. Denn in dieser Rüge liegt gerade nicht die Behauptung, Dr. C. … … habe von Amts wegen als Sachverständiger gehört werden müssen. Die Rüge, das LSG sei einem in der Vorinstanz ausdrücklich gestellten Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes als sachverständigen Zeugen nicht nachgekommen, kann jedenfalls dann nicht als Rüge des Übergehens eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens (von Amts wegen) gewertet werden, wenn der Beschwerdeführer – wie hier – in der Vorinstanz anwaltlich vertreten war. Bei einem rechtskundig vertretenen Beteiligten muß davon ausgegangen werden, daß die unterschiedliche Bedeutung der Beweismittel „sachverständiger Zeuge” einerseits und „Sachverständiger” andererseits bekannt ist. Wird kein ausdrücklicher Beweisantrag auf Einholung eines (weiteren) Gutachtens von Amts wegen gestellt, so fehlt die damit verbundene Warnfunktion, die dem Tatsachengericht verdeutlichen soll, daß die gerichtliche Aufklärungspflicht in diesem Punkt noch nicht als erfüllt angesehen wird (BSG SozR 1500 § 160 Nr 67).

Soweit es die unterlassene Anhörung von Dr. C. … als sachverständigen Zeugen betrifft, weist die Klägerin zwar auf einen Beweisantrag hin, den sie im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt habe, es fehlt jedoch an Darlegungen zur Rechtsauffassung des LSG, wonach die von diesem Beweisantrag berührten Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und zu den Umständen, die zu der weiteren Sachaufklärung hätten Anlaß geben müssen. Wie die Klägerin in der Beschwerdebegründung selbst ausführt, hatte der sachverständige Zeuge bereits mit dem Befundbericht vom 11. März 1999 das Vorliegen der mit dem Beweisantrag unter Beweis gestellten Diagnosen bescheinigt. Weiter ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, daß der von Dr. C. … … erstattete Befundbericht vom 11. März 1999 Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und vom Gerichtssachverständigen gewürdigt worden ist. Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin mit der Beschwerde näher darlegen müssen, weshalb die zeugenschaftliche Bestätigung der bereits bekannten Diagnosen noch beweisbedürftig war und zu einer weiteren Sachaufklärung hätte beitragen können. Weder mit dem gestellten Beweisantrag noch mit der Beschwerdebegründung ist von der Klägerin dargetan worden, bei der Anhörung von Dr. C. … könnten sich andere als die bereits mit dem Befundbericht vom 11. März 1999 mitgeteilten Erkenntnisse ergeben. Das Erfordernis einer weiteren Sachaufklärung ist nicht dargelegt, wenn die beantragte Beweiserhebung sich lediglich auf die Wiederholung bereits bekannter Beurteilungen bezieht.

Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung ausführt, Dr. C. … habe nicht nur gemäß § 109 SGG über ihre Leistungsunfähigkeit gehört werden sollen, sondern als sachverständiger Zeuge zu den – genannten – Diagnosen, die ihre Leistungsunfähigkeit bedeuteten, befragt werden sollen, so wird weder aus der Formulierung des Beweisantrages noch aus dem Beschwerdevorbringen hinreichend klar, ob insoweit von dem sachverständigen Zeugen überhaupt eine eigene gutachterliche Stellungnahme hatte eingeholt werden sollen oder ob es sich bei dem Zusatz bezüglich der Leistungsunfähigkeit um eine eigene Wertung der Klägerin handelt. Indem die behauptete Leistungsunfähigkeit nach den Darlegungen der Klägerin jedenfalls an die erwartete Bestätigung der Diagnosen geknüpft war, könnte in der unterbliebenen Anhörung des sachverständigen Zeugen zur Leistungsunfähigkeit nur dann ein im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG berücksichtigungsfähiger Verfahrensmangel gesehen werden, wenn bereits das Übergehen des Beweisantrages auf zeugenschaftliche Bestätigung der Diagnosen hinreichend als verfahrensfehlerhaft dargetan worden wäre. Dies ist aber – wie ausgeführt – nicht der Fall.

Im übrigen fehlt es auch an Ausführungen dazu, daß die Entscheidung des LSG auf der unterbliebenen Anhörung des sachverständigen Zeugen Dr. C. … beruhen kann. Näherer Darlegungen zu diesem Punkt hätte es insbesondere deshalb bedurft, weil sich das LSG und die von ihm gehörten Gutachter nach dem Vorbringen der Klägerin ersichtlich mit den unter Beweis gestellten Diagnosen und auch mit dem Leistungsvermögen der Klägerin auseinandergesetzt haben.

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175305

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