Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.05.2018; Aktenzeichen L 21 SB 35/16)

SG Köln (Urteil vom 27.11.2015; Aktenzeichen S 27 SB 1204/15)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2018 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A. zu bewilligen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Der 1983 geborene Kläger begehrt in der Hauptsache die Zuerkennung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "1. Klasse". Er leidet ua an einer hochgradigen Sehbehinderung, der Grad der Behinderung (GdB) ist mit 100 festgestellt unter Zuerkennung des Merkzeichens "Bl". Das LSG hat wie zuvor das SG und die Beklagte die Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "1. Klasse" abgelehnt, weil die Voraussetzungen für dieses Merkzeichen nach § 70 SGB IX und § 3 Abs 1 Nr 6 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) vom Kläger nicht erfüllt würden. Denn nach den danach maßgeblichen Tarifbestimmungen der Deutschen Bahn AG dürfen (bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen) ua Schwerkriegsbeschädigte die 1. Wagenklasse mit Fahrschein der 2. Wagenklasse benutzen. Der Kläger sei jedoch kein Kriegsbeschädigter nach § 1 Abs 1, §§ 2 bis 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Etwas anderes ergebe sich auch nicht nach den weiterhin anwendbaren Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) Nr 34. Der Kläger sei auch kein Verfolgter oder diesen gleichgestellte Person iS des Bundesentschädigungsgesetzes. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht (Art 3 Abs 1, Abs 3 S 2 GG iVm der UN-Behindertenrechtskonvention ≪UN-BRK≫) liege nicht vor.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seinem durch seinen Prozessbevollmächtigten gestellten Antrag vom 23.7.2018 auf Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für die Einlegung einer beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde. Er weist auf folgende Grundsatzfrage hin:

"Kommt die Gewährung des Merkzeichens '1.Kl.' nur für Schwerkriegsbeschädigte und Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes in Betracht und stehen die Vorschriften des Schwerbehindertenrechts mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 GG sowie mit Art. 5 Abs. 2 UN-BRK im Einklang, wenn keine Gleichstellung eines Schwerbehinderten, der weder Kriegsteilnehmer noch Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes ist, vorgenommen wird."

Die nähere Ausgestaltung des Begünstigtenkreises des Merkzeichens "1. Klasse" den tariflichen Bestimmungen der "Eisenbahnen" zu überlassen, sei nicht mit Art 3 Abs 3 S 2 GG iVm der UN-BRK in Einklang zu bringen. Auch seien die AHP ab dem 1.1.2009 von der Versorgungsmedizin-Verordnung und der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" abgelöst worden. Zudem sei die weitere Anwendbarkeit nur instanzgerichtlich entschieden. Eine ausreichende Differenzierung zwischen Zivilblinden und Kriegsblinden bestehe nicht.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung vor dem BSG keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO). Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach summarischer Prüfung des Streitstoffes und dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht ersichtlich.

1. Zunächst ist nicht ersichtlich, dass eine Zulassung der Revision gegen das von dem Kläger angegriffene Urteil des LSG vom 7.5.2018 auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; BSG Beschluss vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39 S 58). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vorneherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG Beschluss vom 4.6.1975 - 11 BA 4/75 - BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4 S 5) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19; BSG Beschluss vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65 S 87). Ist dies aber der Fall, gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 22.3.2018 - B 9 SB 78/17 B - Juris RdNr 12 mwN).

Rechtsfragen, die in diesem Sinne klärungsbedürftig sein könnten, sind hier nicht aufgezeigt oder sonst ersichtlich. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Das BSG hat mit Urteil vom 28.3.1984 (9a RVs 9/83 - BSGE 56, 238 = SozR 3870 § 3 Nr 17) zu den Voraussetzungen für das Schwerkriegsbeschädigten-Vergünstigungsmerkmal "1. Klasse" ausgeführt, dass diese Fahrpreisvergünstigung Kriegsbeschädigten (ua Kriegsblinden) zusätzlich zur Grundrente als Sonderleistung der sozialen Entschädigung gewährt wird und dieser Personenkreis noch enger begrenzt ist als derjenige der Schwerstbeschädigten, denen "wirksame Sonderfürsorge" aus der Kriegsopferfürsorge zu gewähren ist. Der Kläger zählt als Zivilblinder nicht zu diesem eng begrenzten Personenkreis, dem die Fahrpreisermäßigung als Sonderleistung der sozialen Entschädigung für ihr Kriegsopfer außerhalb des gesetzlichen Katalogs der Versorgungsleistungen gewährt wird (vgl BSG, aaO, BSGE 56, 238, 239 = SozR 3870 § 3 Nr 17 S 51). Insoweit kann ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf nicht mehr angenommen werden, auch nicht unter Bezugnahme auf Art 3 Abs 1 und Abs 3 GG sowie Art 5 Abs 2 UN-BRK. Aufgrund der oben genannten Sonderstellung der Kriegsblinden, die unter dem Gesichtspunkt der Eingliederung wegen der besonderen gesundheitlichen Betroffenheit eine Sonderleistung erhalten (vgl BSG, aaO, BSGE 56, 238, 240 ff = SozR 3870 § 3 Nr 17 S 52 ff), liegt ein ausreichendes sachliches Differenzierungskriterium im Verhältnis insbesondere zu Zivilblinden vor, worauf bereits das LSG in seiner Entscheidung zutreffend hingewiesen hat (s S 5 und 6 des Urteils). Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Weitere mögliche Rechtsfragen sind zum vorliegenden Verfahren nicht ersichtlich. Die weiteren Ausführungen des LSG zur Anwendbarkeit der Nr 34 AHP für die Entscheidung haben zum einen lediglich ergänzenden Charakter ("Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus …"), zum anderen hat sich der Senat auch bereits zur weiteren Anwendbarkeit der AHP auch über den 31.12.2008 hinaus geäußert (vgl zB Beschluss vom 24.4.2008 - B 9 VJ 7/07 B - Juris). Soweit der Kläger die Rechtsanwendung des LSG für unzutreffend hält, kann er damit keine Revisionszulassung erreichen (vgl Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 V 46/17 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 3.5.2017 - B 5 RS 3/17 B - Juris RdNr 14).

2. Eine Zulassung nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG scheidet ebenfalls aus. Die danach erforderliche Abweichung (Divergenz) ist gegeben, wenn das angefochtene Urteil auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruht, die zu der in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG zugrunde gelegten Rechtsansicht in Widerspruch steht. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Das LSG hat sich - wie oben bereits ausgeführt - bei seiner Entscheidung an der Rechtsprechung des BSG orientiert.

3. Schließlich ist auch kein Verfahrensmangel ersichtlich, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Ein solcher lässt sich den vorliegenden Gerichtsakten nicht entnehmen. Auf eine Verletzung der Sachverhaltsaufklärungspflicht (§ 103 SGG) wird eine Nichtzulassungsbeschwerde vorliegend schon deshalb nicht gestützt werden können, weil es an einem von dem Kläger bis zuletzt vor dem LSG gestellten und aufrechterhaltenen Beweisantrag fehlt, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sein könnte (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

Da dem Kläger mithin keine PKH zu bewilligen ist, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12463424

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