Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Vorabentscheidung folgende Fragen vorgelegt:
- Ist Art 78 Abs 2 Buchst b der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 dahingehend auszulegen, daß die darin enthaltene Bestimmung der für die Leistungsgewährung maßgeblichen Rechtsvorschriften auch dann auf Dauer gilt, wenn der Anspruch auf Waisenrente zwar zunächst in dem danach zuständigen Mitgliedstaat (hier: Wohnstaat) bestand, er jedoch später wegen Erreichens einer Altersgrenze wieder entfallen ist, während in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften für den Versicherten ebenfalls gegolten haben, bei Anwendung des Art 79 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 auch über diesen Zeitpunkt hinaus ein Waisenrentenanspruch bestehen würde, oder findet in solch einem Fall ein Wechsel der maßgeblichen Rechtsvorschriften nach Maßgabe des Art 78 Abs 2 Buchst b Ziffer ii der Verordnung statt?
- Gehört zu den Vergünstigungen der sozialen Sicherheit, die Waisen nicht dadurch verlieren dürfen, daß ein in das nationale Recht eingeführtes Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 unanwendbar geworden ist, auch die Aussicht, eine bereits von einem Mitgliedstaat unter Anwendung eines derartigen Abkommens gewährte Waisenrente für eine längere Dauer (zB im Falle einer Schul- oder Berufsausbildung auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus) zu beziehen als die Waisenrente, die nach den gemäß Art 78 Abs 2 Buchst b der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 maßgeblichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zu gewähren ist?
- Bei Bejahung der Frage 2: Können Waisen, die bereits vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 nach dem Recht eines Mitgliedstaates unter Berücksichtigung eines zwischen zwei Mitgliedstaaten geschlossenen Sozialversicherungsabkommens einen Waisenrentenanspruch hatten, wieder auf diesen zurückgreifen, soweit ein zunächst nach den gemäß Art 78 Abs 2 Buchst b der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 maßgebenden Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates gegebener Leistungsanspruch nicht mehr besteht?
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern die bereits für die Zeit bis zum Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft (EG) gewährten Waisenrenten in Anbetracht dessen erneut zu zahlen, daß deren seitdem vom spanischen Versicherungsträger bezogenen Waisenrenten jeweils mit Vollendung des 18. Lebensjahres geendet haben.
Der Vater der Kläger, G. … G. … P., … war spanischer Staatsangehöriger. Er legte folgende Versicherungszeiten zurück: 56 Monate als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland und 80 Monate in Spanien. Im Februar 1985 verstarb der Versicherte in Spanien, ohne vorher eine Rente bezogen zu haben.
Die am 2. Juli 1969 geborene Klägerin zu 1) und der am 31. März 1968 geborene Kläger zu 2) leben in Spanien. Mit Bescheiden vom 23. August 1988 gewährte die Beklagte den Klägern unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit (Abk Spanien SozSich) vom 4. Dezember 1973 (BGBl II 1977 S 687) idF des Ergänzungsabkommens vom 17. Dezember 1975 (BGBl II 1977 S 722) jeweils Halbwaisenrente für die Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 1985. Gleichzeitig teilte sie mit, daß ab 1. Januar 1986 für die Gewährung der Leistungen für Waisen gemäß Art 77, 78 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71), idF der EWGV 2001/83, der spanische Versicherungsträger zuständig sei. Letzterer gewährte dem Kläger zu 2) Waisenrente bis zum 31. März 1986 und der Klägerin zu 1) bis zum 31. Juli 1987, also jeweils bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Den Antrag der Kläger, ihnen wegen noch andauernder Schulausbildung für die Folgezeit Waisenrenten zu gewähren, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab: Auch nach Wegfall der spanischen Rentenleistung bestehe gemäß Art 78 Abs 2 Buchst b EWGV 1408/71 kein Anspruch auf Waisenrente aus der deutschen Rentenversicherung, zumal die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch allein nach innerstaatlichem deutschen Recht nicht erfüllt seien (Bescheid vom 6. Juli 1989). Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. September 1990, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Düsseldorf vom 18. Dezember 1991, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 12. September 1994).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision machen die Kläger im wesentlichen geltend: Entgegen der Auffassung des LSG gehe aus Art 78 Abs 2 EWGV 1408/71 nicht hervor, daß eine einmal begründete Zuständigkeit für immer erhalten bleiben solle. Folglich entfalle der Anspruch auf eine deutsche Waisenrente nur so lange, wie ein Anspruch nach den spanischen Rechtsvorschriften bestehe. Dies sei hier nicht mehr der Fall, da das spanische Gesetz Leistungen für Waisen nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres vorsehe.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des LSG vom 12. September 1994 und das Urteil des SG vom 18. Dezember 1991 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 6. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September „1994” (richtig: 1990) zu verurteilen, ihnen Waisenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat sich zur Sache bisher nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Das vorliegende Verfahren wirft Fragen der Auslegung und Anwendung von Europäischem Gemeinschaftsrecht auf, insbesondere von Art 48, 51 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) sowie von Art 6 und Art 78 EWGV 1408/71. Da sich diese Fragen anhand der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht zweifelsfrei beantworten lassen, hält der erkennende Senat insoweit eine Vorabentscheidung durch den EuGH für geboten (vgl Art 177 EGVtr).
Die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Waisenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung setzen eine Anwendbarkeit der einschlägigen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland voraus. Dem könnten hier die Regelungen der EWGV 1408/71 entgegenstehen. Grundsätzlich gelten diese für die Kläger, da zum einen deren verstorbener Vater spanischer Staatsangehöriger war sowie als Arbeitnehmer oder Selbständiger Versicherungszeiten sowohl in Spanien als auch in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hat (vgl Art 2 EWGV 1408/71) und zum anderen im vorliegenden Fall Leistungen an Hinterbliebene beansprucht werden (vgl Art 4 Abs 1 Buchst d EWGV 1408/71). Einschlägig ist hier Art 78 EWGV 1408/71. Leistungen iS dieses Artikels sind Familienhilfen und ggf zusätzliche oder besondere Beihilfen für Waisen sowie Waisenrenten, mit Ausnahme von Waisenrenten aus der Versicherung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Art 78 Abs 1 EWGV 1408/71). Da für den Versicherten nicht nur die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (sondern diejenigen von Spanien und der Bundesrepublik Deutschland) gegolten haben (vgl dazu Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst a EWGV 1408/71) und er vor seinem Tode auch keine Rente bezogen hat (vgl dazu Art 78 Abs 2 Satz 2 EWGV 1408/71), richtet sich das anwendbare Recht im Grundsatz nach Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71. Dieser Regelung zufolge werden Leistungen für Waisen ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat die Waisen oder die natürliche oder juristische Person, die ihren Unterhalt bestreitet, wohnen, wie folgt gewährt:
i) Nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet die Waisen wohnen, wenn Anspruch auf eine der in Abs 1 genannten Leistungen – ggf unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71 – nach den Rechtsvorschriften dieses Staates besteht, oder ii) in den anderen Fällen nach den Rechtsvorschriften des Staates, die für den Verstorbenen die längste Zeit gegolten haben, wenn Anspruch auf eine der in Abs 1 genannten Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates ggf unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71 besteht; wenn nach diesen Rechtsvorschriften kein Anspruch besteht, werden die Anspruchsvoraussetzungen in bezug auf die Rechtsvorschriften der anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaaten in der Reihenfolge der abnehmenden Dauer der nach den Rechtsvorschriften dieser Staaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten geprüft.
Im vorliegenden Fall stellt sich vor allem die Frage, ob diese Regelung die für die Leistungsgewährung maßgebenden Rechtsvorschriften in dem Sinne bestimmt, daß die Anwendung der Rechtsvorschriften anderer in Betracht kommender Mitgliedstaaten in vollem Umfang und auf Dauer ausgeschlossen ist. Wäre diese Frage ohne Einschränkungen zu bejahen, so würden jegliche Ansprüche der Kläger auf Waisenrenten nach deutschem Recht ausscheiden. Da die Kläger in Spanien wohnen und für sie mit dem Wirksamwerden des Beitritts Spaniens zur EG (vgl Art 2 des Vertrages ≪unterzeichnet am 12. Juni 1985≫ zwischen den damaligen Mitgliedstaaten der EG und dem Königreich Spanien und der Portugiesischen Republik über den Beitritt des Königreiches Spanien und der Portugiesischen Republik zur EWG und zur Europäischen Atomgemeinschaft, Abl EG Nr L 302 vom 15. November 1985, S 9), also für die Zeit ab dem 1. Januar 1986, zunächst ein Anspruch auf Leistungen für Waisen nach den spanischen Rechtsvorschriften bestand, wären gemäß Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff i EWGV 1408/71 nach wie vor allein die Rechtsvorschriften dieses Staates maßgebend.
Sollte Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71 hingegen für die hier streitigen Zeiträume (bei der Klägerin zu 1) ab 1. August 1987, beim Kläger zu 2) ab 1. April 1986) eine Anwendung des deutschen Rentenversicherungsrechts zulassen, so würde folgendes gelten: Die Ansprüche der Kläger auf Halbwaisenrente richten sich gemäß der Übergangsvorschrift des § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch nach den §§ 1263, 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO). § 1267 Abs 1 Satz 1 RVO sieht vor, daß nach dem Tode des Versicherten seine Kinder Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres erhalten. Die Waisenrente wird längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet, das ein freiwilliges soziales Jahr iS des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres leistet oder das infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1267 Abs 1 Satz 2 RVO). Hier lag bei den Klägern eine über deren Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus fortdauernde Schulausbildung vor.
Darüber hinaus müssen jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1263 Abs 2 RVO gegeben sein. Nach dieser Vorschrift werden Hinterbliebenenrenten nur gewährt, wenn dem Verstorbenen zur Zeit seines Todes Versichertenrente zustand oder zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit von ihm erfüllt ist oder nach § 1252 RVO als erfüllt gilt. Da der Versicherte hier keine Rente bezogen oder zu beanspruchen hatte (vgl dazu Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 6050 Art 78 Nr 8) und auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1252 RVO (zB Berufsunfähigkeit oder Tod infolge eines nach deutschem Recht versicherten Arbeitsunfalls) nicht gegeben sind, kommt es darauf an, ob der Versicherte die für die Wartezeiterfüllung erforderliche Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hatte (vgl § 1246 Abs 2 RVO). Legt man insoweit ausschließlich die innerstaatlichen deutschen Rechtsvorschriften, also nicht auch die Bestimmungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts (vgl Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71) oder des Abk Spanien SozSich (vgl dazu Rs C-23/92, Grana-Novoa, Abl EG 1993 Nr C 201 = SozR 3-6050 Art 3 Nr 4) zugrunde, so war dies nicht der Fall, da bei dem Versicherten insoweit allein die von ihm als Arbeitnehmer in Deutschland zurückgelegten 56 Versicherungsmonate berücksichtigt werden können. Anrechnungsfähig sind dabei nämlich grundsätzlich nur Zeiten, für die nach deutschem Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invaliden- oder Angestelltenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (vgl §§ 1249, 1250 Abs 1 Buchst a RVO; beitragsfreie Zeiten iS von § 1250 Abs 1 Buchst b und c RVO sind hier nicht ersichtlich).
Unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 ist die erforderliche Wartezeit dagegen erfüllt, da dann den 56 deutschen Versicherungsmonaten gemäß Art 45 bzw Art 72 EWGV 1408/71 die von dem Versicherten in Spanien zurückgelegten 80 Versicherungsmonate hinzuzurechnen sind. Entsprechend verhält es sich bei einer Anwendung des Abk Spanien SozSich. Dessen Art 5, 22 bis 25, 27 und 41 sehen nämlich zur Begründung und Berechnung von deutschen Waisenrenten auch eine Berücksichtigung spanischer Versicherungszeiten vor. Die beanspruchten Waisenrenten stehen den Klägern also nach Maßgabe der §§ 1263, 1267 RVO nur dann zu, wenn zusätzlich entweder Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst b EWGV oder die einschlägigen Bestimmungen des Abk Spanien SozSich herangezogen werden können.
Um angesichts der Gegebenheiten des vorliegenden Falles zu einer Rentengewährung aus der deutschen Rentenversicherung zu gelangen, würden sich demnach vor allem drei Lösungswege anbieten:
- Man könnte Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71 dahin auslegen, daß er die maßgebenden Rechtsvorschriften nicht ein für allemal, sondern jeweils nur bezogen auf den in Betracht kommenden Leistungszeitraum bestimmt.
- Man könnte im Rahmen des Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71 neben den danach an sich maßgebenden Rechtsvorschriften des Wohnstaates eine Anwendung der Rechtsvorschriften eines anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaates auch dann zulassen, wenn sich ein Waisenrentenanspruch mit längerer Bezugsdauer zwar nicht allein aufgrund dieser Rechtsvorschriften, jedoch unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 ergibt.
- Man könnte im Rahmen des Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71 neben den danach an sich maßgebenden Rechtsvorschriften des Wohnstaates eine Anwendung der Rechtsvorschriften eines anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaates jedenfalls dann zulassen, wenn ein Waisenrentenanspruch mit längerer Bezugsmöglichkeit bereits vor dem Beitritt des Wohnstaates zur EG nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates unter Berücksichtigung eines zwischen den beiden betroffenen Mitgliedstaaten geschlossen Sozialversicherungsabkommens zuerkannt worden war.
Dabei beziehen sich die Wege 1 und 2 auf die erste im Beschlußtenor gestellte Frage, der dritte Weg hingegen auf die Vorlagefragen 2 und 3.
Unter Zugrundelegung der erstgenannten Auslegungsmöglichkeit zu Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71 wären im vorliegenden Fall die Waisenrenten der Kläger für die hier streitigen Zeiträume ab der jeweiligen Vollendung des 18. Lebensjahres, also nach Wegfall der zunächst nach spanischem Recht bestehenden Leistungsansprüche, (wieder) nach den deutschen Rechtsvorschriften zu gewähren, da entsprechende Rentenansprüche iS von Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff ii EWGV 1408/71 unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 bestehen würden.
Gegen eine derartige Auslegung hat sich zwar der deutsche Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in seiner erstinstanzlich eingeholten Stellungnahme vom 21. März 1991 ausgesprochen und insoweit auf zwei Fundstellen zu den Motiven des Verordnungsgebers Bezug genommen (vgl Sammlung der Gemeinschaftsbestimmungen über die soziale Sicherheit, Kommission der EG, 3. Aufl 1987, Erläuterung Nr 5412 ≪zu Art 78 EWGV 1408/71≫; Ratsprotokoll vom 15. Juli 1970 ≪1277/70 SOC 160≫, zitiert nach: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ≪Hrsg≫, Internationales Rentenversicherungsrecht, VO 1408/71, Art 78 Abs 2 Buchst b, zu „Wegfall ausl. Waisenrente”); dafür könnte jedoch der Wortlaut des Art 78 Abs 2 Satz 1 EWGV 1408/71 sprechen. Dieser regelt an sich nur, nach welcher Rechtsvorschrift Leistungen für Waisen „gewährt” werden, enthält dagegen keine ausdrückliche Bestimmung für den Fall, daß Leistungen nicht mehr gewährt werden. Sofern Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b EWGV 1408/71 die für die Leistungserbringung maßgebenden Rechtsvorschriften tatsächlich „ein für allemal” festlegen wollte, fehlt es auch an einem eindeutigen Hinweis, von welchem Zeitpunkt an diese „endgültige” Regelung gelten sollte. Insbesondere läßt die Fassung des Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff i EWGV 1408/71 kaum den Schluß zu, daß auf Dauer die Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet die Waisen in einem bestimmten Zeitpunkt (etwa zur Zeit des Todes des Arbeitnehmers) gewohnt haben, anwendbar sein sollen. Vielmehr deutet die Verwendung der Präsensform „wohnen” auf die Maßgeblichkeit des aktuellen Wohnortes der Waisen hin. Sind demnach jedenfalls bei dem Tatbestandsmerkmal des Wohnens spätere Änderungen zu berücksichtigen (vgl dazu EuGH Rechtssache ≪Rs≫ 807/79, Gravina, EuGHE 1980, 2205 = SozR 6050 Art 78 Nr 2; BSG SozR 6050 Art 78 Nr 3; Nrn 2 und 5 des Beschlusses Nr 129 der Verwaltungskommission der EG für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 17. Oktober 1985 ≪im folgenden nur Beschluß Nr 129≫, Abl EG Nr C 141 vom 7. Juni 1986, S 7), so liegt es nahe, daß gleiches auch für die Frage gilt, ob ein Anspruch auf Leistungen für Waisen nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates „besteht”.
Eine andere Auslegung könnte leicht zu unverständlichen Ergebnissen führen. Würde zB bei ansonsten gleichen Verhältnissen wie im vorliegenden Fall eine Waise kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres von Deutschland nach Spanien umziehen, verlöre sie den deutschen Rentenanspruch und erhielte nur noch bis zum Erreichen dieser Altersgrenze Leistungen vom spanischen Träger, könnte danach aber in keinem Fall mehr Waisenrente aus der deutschen Rentenversicherung beanspruchen (vgl dazu aber Nrn 2 und 5 des Beschlusses Nr 129 der Verwaltungskommission aaO). Bei einem Umzug nach Vollendung des 18. Lebensjahres müßte der deutsche Träger dagegen die Waisenrente bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1267 Abs 1 Satz 2 RVO von vornherein gemäß Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff ii EWGV 1408/71 weitergewähren, da im Zeitpunkt der Begründung des Wohnsitzes in Spanien nach den dortigen Rechtsvorschriften kein Leistungsanspruch iS von Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff i EWGV 1408/71 mehr bestand. Ähnliche Ungereimtheiten werden in bezug auf eine strikte Anwendung der vom BMA vertretenen Ansicht auch dann deutlich, wenn man sich vorstellt, daß hier einer der Kläger sein 18. Lebensjahr bereits vor dem Beitritt Spaniens vollendet gehabt hätte. Auch diesem gegenüber könnte sich die Beklagte kaum auf eine Leistungspflicht des spanischen Trägers nach Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff i EWGV 1408/71 berufen, müßte also gemäß Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff ii EWGV 1408/71 Waisenrente zahlen.
Der EuGH hat diese Auslegungsfrage – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden. Letztlich dürfte es darauf ankommen, welche Bedeutung dem Prinzip der Freizügigkeit iS von Art 48 und 51 EGVtr in bezug auf die Hinterbliebenen eines Arbeitnehmers beizumessen ist. Dazu hat der EuGH in der Rs C-251/91 (Athanasopoulos, EuGH I 1991, 2797 = SozR 3-6050 Art 77 Nr 1) deutlich gemacht, daß die Waisen eines verstorbenen Erwerbstätigen ebenfalls in gewisser Weise in den Schutzbereich dieser Vertragsbestimmungen einbezogen sind. Im übrigen sieht Art 78 Abs 3 EWGV 1408/71 – worauf der EuGH an der genannten Entscheidung ebenfalls hinweist – ausdrücklich vor, daß Leistungen für Waisen nach Maßgabe dieser Vorschrift ohne Rücksicht darauf gewährt werden, in welchem Mitgliedstaat die Waisen oder die Person, die ihren Unterhalt bestreitet, wohnen.
Der zweite Lösungsweg betrifft die Weiterentwicklung einer bestimmten Rechtsprechung des EuGH. Dieser hat bereits mehrfach entschieden, daß das Bestehen eines Anspruchs auf Waisenrente gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates, der nach Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziff i EWGV 1408/71 zuständig ist, den Anspruch auf höhere Leistungen für Waisen, der nach den Rechtsvor-schriften eines anderen Mitgliedstaates allein begründet ist, nicht vollständig entfallen läßt, sondern letzteren nur in Höhe des erstgenannten Anspruchs verdrängt, so daß den Waisen gegen den zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaates in diesem Fall ein Anspruch auf einen Zuschlag (eine Zusatzleistung) in Höhe des Unterschiedes zwischen beiden Beträgen zusteht (vgl dazu aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art 77, 78 EWGV 1408/71: Rs 733/79, Latzera, EuGHE 1980, 1915 = SozR 6050 Art 77 Nr 2; Rs 807/79, Gravina, EuGHE 1980, 2205 = SozR 6050 Art 78 Nr 2; Rs 320/82, d'Amario, EuGHE 1983, 3811 = SozR Art 77 Nr 4; Rs 1/88, Baldi, EuGHE 1989, 667 = SozR 6050 Art 78 Nr 9; Rs C-251/89, Athanasopoulos, EuGHE I 1991, 2797 = SozR 3-6050 Art 77 Nr 1). Ebenso wie danach ein Anspruch auf einen Zuschlag besteht, wenn die Leistungen für Waisen nach den Rechtsvorschriften eines anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaates höher sind als die des Wohnstaates, dürfte der vom EuGH entwickelte Grundsatz, daß die Gemeinschaftsregelung nicht zu einer Verringerung der nach dem innerstaatlichen Recht eines Mitgliedstaates zu gewährenden Leistungen führen darf, auch für Fälle gelten, in denen die Anspruchsdauer der Waisenrente in dem anderen Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften für den Versicherten ebenfalls gegolten haben, länger ist als diejenige im Wohnstaat. Der erkennende Senat würde daher keine Bedenken tragen, den Klägern die begehrten Waisenrenten zuzusprechen, wenn der Versicherte nicht nur 56 sondern 60 Kalendermonate nach innerdeutschem Recht anrechenbare Versicherungszeiten vorzuweisen gehabt hätte.
Zweifelhaft ist jedoch, ob diese Grundsätze auf Fälle ausgedehnt werden sollten, bei denen sich in dem anderen Mitgliedstaat ein Anspruch mit längerer Bezugsdauer erst unter Berücksichtigung des Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 ergibt. Allerdings lassen sich auch für eine solche Auslegung des Gemeinschaftsrechts gewisse Anhaltspunkte in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH finden. So hat er es in der Rs C-251/91 (Athanasopoulos, EuGH I 1991, 2797 = SozR 3-6050 Art 77 Nr 1) für einen Anspruch auf Zusatzleistung ausreichen lassen, daß sich der Anspruch auf die höhere Leistung nicht allein aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates (danach wäre ein Wohnort im Inland erforderlich gewesen), sondern erst aufgrund einer Anwendung von Gemeinschaftsrecht (vgl Art 10 Abs 1 EWGV 1408/71) ergab. Ferner hat der EuGH in der Rs C-186/90 (Durighello, EuGHE I 1991, 5773 = SozR 3-6050 Art 45 Nr 4) die dortige Vorlagefrage dahin beantwortet, daß die Art 77 bis 79 EWGV 1408/71 nicht so ausgelegt werden können, daß sie der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates, die Familienbeihilfen für den unterhaltsberechtigten Ehegatten des Rentenempfängers vorsehen, auf den Fall einer Person entgegenstehen, die eine Altersrente in Anwendung der EWGV 1408/71 bezieht.
Aus keiner der beiden genannten Entscheidungen ist jedoch der Schluß zu ziehen, daß die Rechtsprechung des EuGH zur Zusatzleistung für Waisen auch auf Fälle zu erstrecken ist, in denen die nach nationalem Recht für den geltend gemachten Anspruch erforderliche Wartezeit mit den vorhandenen innerstaatlichen Versicherungszeiten nicht erfüllt ist und sich deshalb der Anspruch auf die höhere Leistung erst unter Berücksichtigung des Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 ergeben könnte. Die in der Rs C-251/89 (Athanasopoulos, SozR 3-6050 Art 77 Nr 1) bedeutsame Gleichstellung des Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat folgt unmittelbar aus dem Sinn und Zweck der Zusatzleistung und beruht insoweit auf dem allgemeinen Grundsatz der Freizügigkeit. In der Rs C-186/90 (Durighello, SozR 3-6050 Art 45 Nr 4) diente die aufgrund der Zusammenrechnungsvorschrift des Art 45 EWGV 1408/71 gewährte Altersrente lediglich als Anknüpfung für die beanspruchte Familienbeihilfe. Insoweit kam schon nach allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts (vgl Art 6, 48, 51 EGVtr) eine Benachteiligung gegenüber Versicherten, die ihre Rente nur aufgrund von innerstaatlichen Versicherungszeiten beziehen, nicht in Betracht.
Der erkennende Senat hätte auch Bedenken gegen die Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 bei der Prüfung eines Anspruchs auf eine Zusatzleistung für Waisen (vgl dazu auch BSG SozR 6050 Art 78 Nr 7). Dadurch würde nicht nur die Ausnahme zur Regel gemacht, sondern auch das in Art 78 EWGV 1408/71 zum Ausdruck kommende Konzept zur Bestimmung der für die Leistungsgewährung maßgebenden Rechtsvorschriften erheblich modifiziert. Mag eine derartige Rechtsauffassung noch sachgerecht erscheinen, wo sie – etwa bei einem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat – dem Schutz eines bereits einmal tatsächlich erreichten Besitzstandes dient (vgl dazu Nrn 2 und 5 des Beschlusses Nr 129 der Verwaltungskommission aaO), würde sie in Fällen wie dem vorliegenden wohl zu weit führen. Hier haben die Kläger zu keinem Zeitpunkt nach Maßgabe des Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EWGV 1408/71 Waisenrenten aus der deutschen Rentenversicherung bezogen.
Auch für die an dritter Stelle aufgeführte Lösungsmöglichkeit läßt sich wegweisende Rechtsprechung des EuGH finden. Ausgangspunkt ist insoweit die Entscheidung in der Rs C-227/89 (Rönfeldt, EuGHE I 1991, 323 = SozR 3-6030 Art 48 Nr 3). Danach lassen es Art 48 Abs 2 und Art 51 EGVtr nicht zu, daß Arbeitnehmer Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren, weil in das nationale Recht eingeführte Abkommen zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten aufgrund Inkrafttretens der EWGV 1408/71 unanwendbar geworden sind. In der Rs C-475/93 (Thévenon, Urteil vom 9. November 1995, EuGH-Tätigkeiten, Nr 30/95, S 12) hat der EuGH dazu klargestellt, Art 48 Abs 2 und Art 51 EGVtr seien dahin auszulegen, daß die EWGV 1408/71 gemäß ihrem Art 6 an die Stelle von Abkommen tritt, die ausschließlich zwischen zwei Mitgliedstaaten in Kraft sind, wenn ein Versicherter bis zum Inkrafttreten der EWGV 1408/71 nur in einem der Abkommensstaaten Versicherungszeiten zurückgelegt hat.
Wendet man diese Grundsätze entsprechend auf Leistungen für Waisen iS des Art 78 Abs 1 EWGV 1408/71 an, so könnte es sich bei den Waisenrenten, die den Klägern mit Bescheiden der Beklagten vom 23. August 1988 für die Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 1985 unter Berücksichtigung der Vorschriften des Abk Spanien SozSich gewährt worden sind, um Vergünstigungen handeln, welche die Kläger nicht dadurch gänzlich verlieren durften, daß mit dem Beitritt Spaniens zur EG am 1. Januar 1986 in diesem Lande ua auch die EWGV 1408/71 in Kraft trat. Da der verstorbene Vater der Kläger seine Versicherungszeiten in Deutschland und Spanien vor diesem Zeitpunkt zurückgelegt hatte, würde im vorliegenden Fall die Entscheidung des EuGH vom 9. November 1995 (Rs C-475/93, Thévenon) einem Schutz der durch das Abk Spanien SozSich begründeten Rechtspositionen der Kläger nicht entgegenstehen.
Fraglich dürfte daher hier vor allem sein, ob das Abk Spanien SozSich im Vergleich zu der ab 1. Januar 1986 geltenden Gemeinschaftsregelung als für die Kläger günstiger zu bewerten ist. Abgesehen davon, daß es für diese Prüfung jedenfalls an Feststellungen des LSG zur Höhe der seinerzeit vom spanischen Träger gewährten Leistungen fehlt und der erkennende Senat entsprechende Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht nachholen kann (vgl § 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), bedarf es hier – neben der Beantwortung der Vorlagefrage 1 – jedenfalls auch der europarechtlichen Klärung, nach welchen Kriterien diese Bewertung vorzunehmen ist. Kommt es dabei insbesondere allein auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der EWGV 1408/71 für Spanien, also auf den 1. Januar 1986, an oder ist insoweit auf den jeweils streitigen Leistungszeitraum abzustellen? Sollte ersteres zutreffen, wäre weiter zu fragen, ob bei dem anzustellenden Vergleich allein die Höhe der jeweiligen Leistungen am 1. Januar 1986 den Ausschlag gibt oder ob auch die voraussichtliche Anspruchsdauer zu berücksichtigen ist. Da sich eine Abschätzung unter Einbeziehung der möglichen Anspruchsdauer nur schwer vornehmen läßt, spricht einiges dafür, die Beurteilung für jeden Leistungszeitraum, also grundsätzlich für jeden Monat, gesondert vorzunehmen. Auch wenn damit ein höherer Verwaltungsaufwand verbunden ist, läßt sich wohl nur so gänzlich ausschließen, daß die Anwendung der Gemeinschaftsregelung – nach Höhe oder Anspruchsdauer – eine Verringerung der nach dem Recht eines Mitgliedstaates gewährten Leistungen zur Folge hat.
Danach würden den Klägern für die hier streitigen Zeiträume zumindest Waisenrenten in der nach den Bestimmungen des Abk Spanien SozSich zu berechnenden Höhe zustehen.
Fundstellen