Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 1992 werden als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte am 4. März 1992 verurteilt, im Hinblick auf die „Zahlbetragsgarantie” des Einigungsvertrags dem Kläger auch über den 31. Juli 1991 hinaus die bisherigen Gesamteinkünfte aus Zusatzversorgung und Sozialversicherungsrente weiterzuzahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Gegen das am 23. März 1992 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. April 1992 Sprungrevision eingelegt und gleichzeitig eine unbeglaubigte Ablichtung von Seite 15 des Urteils (mit dem Hinweis, daß der Kläger bereits in der mündlichen Verhandlung zur Sitzungsniederschrift sein Einverständnis mit einer Revisionseinlegung durch die Beklagte erklärt hat) sowie einen weder unterschriebenen noch beglaubigten Durchschlag des Protokolls über die Sitzung des SG Berlin vom 4. März 1992 vorgelegt. Am Ende des Protokolls, unterhalb und abgesetzt von der Unterschriftsleiste, findet sich der Vermerk: „Der Kläger erklärt seine Zustimmung zur Revisionseinlegung durch die Beklagte. v.u.g.”. Die am 10. April 1992 angeforderten Prozeßakten des SG Berlin sind beim Bundessozialgericht (BSG) am 23. April 1992 eingegangen. Das Originalprotokoll ist in Höhe der Unterschriftsleiste vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben. Der erwähnte Vermerk ist nicht unterschrieben.
Nach dem Hinweis, daß die Zustimmungserklärung zur Einlegung der Sprungrevision wegen der fehlenden Unterschriften unbeachtlich sein könnte, meint die Beklagte, daß sie angesichts der bekannten Praxis des SG Berlin von einer ordnungsgemäßen Protokollierung ausgegangen sei. Vorsitzender und Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erklärten dienstlich, die Zustimmungserklärung sei vom Kläger tatsächlich abgegeben und nach Vorlesen genehmigt worden. Die fehlende Unterschrift beruhe auf einem Versehen.
Der Kläger hat nach Zustellung der Revisionsbegründung der Beklagten am 26. Juni 1992 mit Schriftsatz vom 24. Juli 1992, eingegangen am gleichen Tag, Anschlußrevision eingelegt und diese am 30. September 1992 begründet.
Entscheidungsgründe
II
Die (Sprung-)Revision der Beklagten ist gemäß § 169 Satz 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Entgegen § 161 Abs 1 Satz 1 und 3 Alt 2, § 164 Abs 1 Satz 1 SGG wurde der Revisionsschrift die „schriftliche Zustimmung” des Klägers nicht „beigefügt” und auch nicht dafür Sorge getragen, daß die schriftliche Zustimmungserklärung oder wenigstens eine ordnungsgemäß gerichtlich beurkundete Zustimmungserklärung bis zum Ablauf der Revisionseinlegungsfrist am 23. April 1992 beim BSG vorlag.
Da das Originalprotokoll mit den Gerichtsakten innerhalb der Revisionseinlegungsfrist beim BSG einging, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Nachweis der Zustimmungserklärung zur Revisionseinlegung durch die Vorlage eines unbeglaubigten Protokolls erbracht werden kann (vgl Beschluß des erkennenden Senats vom 9. November 1992, 4 RA 19/92). Indes genügt das Protokoll in der Originalfassung wegen der fehlenden Unterschriften nicht den Anforderungen an eine öffentliche Urkunde, die allein die schriftliche Zustimmungserklärung zu ersetzen vermag.
Der Große Senat des BSG hat mit Beschluß vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 230, 233 f = SozR Nr 14 zu § 161 SGG) klargestellt, daß dem Erfordernis des § 161 Abs 1 Satz 1 SGG auch dann Genüge getan ist, wenn die Zustimmungserklärung zu Protokoll erklärt wird, denn das Merkmal der Schriftlichkeit erfordert nicht die handschriftliche Unterzeichnung des Schriftstücks. Prozeßrechtlich ist allein entscheidend, welchen Grad von Formenstrenge die maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll fordern (BVerfGE 15, 288, 292). Für die Zulässigkeit der Sprungrevision muß aber der volle Beweis für das Vorliegen der Zustimmungserklärung innerhalb der Revisionseinlegungsfrist gefordert werden. Denn nur so besteht für alle Beteiligten Klarheit, ob die Fiktion des Verzichts auf die Berufung (§ 161 Abs 5 SGG) eintritt. Von späteren Vorgängen, auch wenn diese Rückwirkung haben (Protokollberichtigung, Nachholung der Unterschriften), darf dieser Nachweis nicht abhängig sein, sonst hätte das Erfordernis, die Zustimmung der fristgebundenen Revision beizufügen, keinen Sinn mehr. Nur ein ordnungsgemäß gem § 122 SGG, §§ 159 f Zivilprozeßordnung (ZPO) gefertigtes Protokoll dokumentiert in gleicher Weise wie eine handschriftliche Erklärung die Abgabe der Zustimmungserklärung. Eine öffentliche Urkunde erbringt nach § 415 Abs 1 ZPO nur dann den vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang, wenn sie ua „in der vorgeschriebenen Form aufgenommen” worden ist. Dazu gehört nach § 122 SGG, § 163 Abs 1 Satz 1 ZPO die Unterzeichnung des Protokolls (auch wenn dieses nach einer vorläufigen Aufzeichnung mit Kurzschrift unverzüglich nach der Sitzung hergestellt wurde, § 160a ZPO) durch den Vorsitzenden und den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Dies ist hier nicht geschehen.
Keinesfalls ist ausreichend, eine unbeglaubigte Kopie einer Seite des Urteils vorzulegen, auf der erwähnt ist, der Kläger habe bereits in der mündlichen Verhandlung zur Sitzungsniederschrift sein Einverständnis mit einer Revisionseinlegung durch die Beklagte erklärt. Abgesehen vom eingeschränkten Beweiswert der unbeglaubigten Kopie ist immer erforderlich, die Erklärung selbst vorzulegen (vgl Beschluß des 4. Senats vom 1. Juli 1976 – 4 RJ 135/75 – in SozR 1500 § 161 Nr 8).
Der Beklagten kann wegen der nicht rechtzeitigen Vorlage der Zustimmungserklärung auch keine „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand” gem § 67 Abs 1 SGG gewährt werden. Auch wenn nicht verkannt wird, daß die Fehlerhaftigkeit des Protokolls in den Verantwortungsbereich des SG fällt, ist das Erfordernis, der Revisionsschrift die Zustimmungserklärung beizufügen (§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG), weder eine Prozeßhandlung noch läuft hierfür unmittelbar eine Verfahrensfrist. Wegen der Koppelung an die Revision und damit die Revisionseinlegungsfrist bestehen lediglich mittelbare Auswirkungen, die jedoch nicht zur Anwendbarkeit des § 67 Abs 1 SGG führen (vgl BSG SozR 1500 § 67 Nr 11 mwN).
Im übrigen hätte die Beklagte bereits aus der unbeglaubigten Durchschrift des Protokolls den Verdacht schöpfen können, daß die Zustimmungserklärung nicht unterschrieben ist, denn die Namen des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle befinden sich dort, wo auf dem Original die Unterschriften sind. Die Beklagte hätte rechtzeitig die Nachholung der Unterschriften anregen können, ganz abgesehen von der Möglichkeit, sich eine schriftliche Zustimmungserklärung vom Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten zu beschaffen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht geboten, aus verfassungsrechtlichen Gründen (Rechtsweggarantie, Art 19 Abs 4 Grundgesetz ≪GG≫) von der Zulässigkeit der Revision auszugehen.
Nach allem ist die Sprungrevision der Beklagten zu verwerfen. Damit wird auch die unselbständige Anschlußrevision des Klägers wirkungslos (§ 202 SGG iVm §§ 556 Abs 2, 522 Abs 1 ZPO) und ist ebenfalls zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen