Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Zulässigkeit der Berufung. Ermittlung des Beschwerdegegenstandswerts. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Meldeaufforderung. auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt. maßgeblicher Zeitpunkt für die Wertbestimmung. Wertgrenze unabhängig von der Klageart. Erfordernisse an die Darlegung eines Verfahrensmangels bei behaupteter Verkennung des Rechtsmittel- bzw Streitgegenstands
Orientierungssatz
1. Beim Rechtsschutz gegen eine Meldeaufforderung bemisst sich der Wert des Beschwerdegegenstands nach der Höhe einer Leistungsminderung bei einem Meldeversäumnis. Dies folgt aus der Eigenschaft der Meldeaufforderung als ein Verwaltungsakt, der die nach § 59 SGB 2 iVm § 309 SGB 3 bestehende Meldeobliegenheit der Leistungsberechtigten konkretisiert (vgl BSG vom 19.12.2011 - B 14 AS 146/11 B).
2. Wird eine Meldeaufforderung angefochten, stellt sie sich prozessual als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG dar, weil ihre Nichtbefolgung grundsätzlich zur Leistungsminderung führt und sie im Hinblick auf den Berufungswert nicht unabhängig von dieser rechtlichen Wirkung betrachtet werden kann.
3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstands ist derjenige der Einlegung der Berufung (vgl BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 57/04 R = SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 14).
4. Die gewählte Klageart ist für die Anwendung von § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG bedeutungslos, wenn das Rechtsverhältnis gleichwohl eine Geldleistung zum Gegenstand hat (vgl BSG vom 28.4.2017 - B 4 AS 223/17 B).
5. Die Darlegung eines Verfahrensmangels, der in der Verkennung des Rechtsmittel- bzw Streitgegenstands liegt, erfordert die lückenlose Darlegung des Verfahrensgangs unter Auslegung der den Rechtsmittel- bzw Streitgegenstand bestimmenden Entscheidungen und Erklärungen (vgl BSG vom 10.2.1988 - 9/9a BV 80/87 = SozR 1500 § 160a Nr 62) und die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Regelungsgehalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen, dem Klagebegehren, der Entscheidung erster Instanz und dem Berufungsbegehren (vgl BSG vom 28.12.2005 - B 12 KR 42/05 B = juris RdNr 10).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 158 S. 1, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 202 S. 1; ZPO § 4 Abs. 1 Hs. 1; SGB II § 59; SGB III § 309
Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 20.03.2018; Aktenzeichen L 18 AS 112/18) |
SG Berlin (Urteil vom 08.12.2017; Aktenzeichen S 96 AS 24982/14) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. März 2018 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, denn die Klägerin hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG), nicht schlüssig bezeichnet. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG entscheiden.
Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe nicht durch Beschluss gemäß § 158 Satz 1 und 2 SGG entscheiden dürfen, weil zuvor keine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt sei, widerlegt die Klägerin diesen Vortrag bereits selbst, indem sie auf den gerichtlichen Hinweis des Berichterstatters vom 20.2.2018 verweist, die Berufung als unzulässig verwerfen zu wollen. Inwiefern dieser Hinweis irreführend sein soll, hat die Klägerin ebenso wenig dargelegt wie ein etwaiges Bemühen, durch einen schriftsätzlichen Widerspruch auf eine mündliche Verhandlung hinzuwirken.
Nicht schlüssig aufgezeigt hat die Klägerin zudem eine Verletzung von § 158 Satz 1 SGG im Hinblick darauf, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffe (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG). Die Darlegungen der Klägerin dazu lassen nicht erkennen, dass das LSG den Wert des Beschwerdegegenstands unzutreffend ermittelt und deshalb unzulässig ein Prozess- statt eines Sachurteils gefällt hat. Es ist bereits entschieden, dass sich beim Rechtsschutz gegen eine Meldeaufforderung der Wert des Beschwerdegegenstands nach der Höhe einer Leistungsminderung bei einem Meldeversäumnis bemisst (vgl zuletzt BSG vom 26.6.2018 - B 14 AS 431/17 B) und dass dies aus der Eigenschaft der Meldeaufforderung als ein Verwaltungsakt folgt, der die nach § 59 SGB II iVm § 309 SGB III bestehende Meldeobliegenheit der Leistungsberechtigten konkretisiert (zur VA-Qualität BSG vom 19.12.2011 - B 14 AS 146/11 B). Wird sie angefochten, stellt sie sich prozessual als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG dar (Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, online-Ausgabe, § 144 RdNr 15.3, Aktualisierung Juni 2018), weil ihre Nichtbefolgung grundsätzlich zur Leistungsminderung führt und sie im Hinblick auf den Berufungswert nicht unabhängig von dieser rechtlichen Wirkung betrachtet werden kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstands ist derjenige der Einlegung der Berufung (vgl BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 57/04 R - SozR 4-1500 § 96 Nr 4). Diese Grundsätze kann die Klägerin nicht dadurch infrage stellen, dass sie eine eigene Berechnung durchführt, die nicht allein die im vorliegenden Verfahren umstrittene Meldeaufforderung vom 15.8.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.9.2014 umfasst, zu der ein Sanktionsbescheid ergangen ist, der wieder zurückgenommen wurde, sondern bis in das Jahr 2013 zurückreichende vergangene Meldeaufforderungen und so zu einem Wert des Beschwerdegegenstands von 960 Euro kommt.
Nicht schlüssig dargelegt ist zudem ein Verstoß gegen § 158 Satz 1 SGG dadurch, dass das LSG zu Unrecht ein Feststellungs- und Bescheidungsbegehren nicht berücksichtigt habe und für diese Begehren die Wertgrenze des § 144 SGG keine Geltung hätte. Vor dem Hintergrund, dass die Klageart für die Anwendung des § 144 SGG grundsätzlich bedeutungslos ist, wenn das Rechtsverhältnis gleichwohl - wie hier - eine Geldleistung zum Gegenstand hat (vgl BSG vom 24.8.2017 - B 4 AS 223/17 B - juris) hätte es weiterer Ausführungen zu einer Verletzung des § 144 SGG durch das LSG bedurft.
Ein Verfahrensmangel ist auch im Hinblick darauf nicht schlüssig aufgezeigt, dass die Klägerin sinngemäß geltend macht, das LSG habe ihr Begehren und damit den Streitgegenstand verkannt, indem es nicht über das von ihr verfolgte Feststellungs- bzw Bescheidungsbegehren entschieden habe. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche, ohne an die Anträge gebunden zu sein. Die Darlegung eines Verfahrensmangels, der in der Verkennung des Rechtsmittel- bzw Streitgegenstands liegt, erfordert die lückenlose Darlegung des Verfahrensgangs unter Auslegung der den Rechtsmittel- bzw Streitgegenstand bestimmenden Entscheidungen und Erklärungen (vgl BSG vom 10.2.1988 - 9/9a BV 80/87 - SozR 1500 § 160a Nr 62) und die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Regelungsgehalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen, dem Klagebegehren, der Entscheidung 1. Instanz und dem Berufungsbegehren (vgl BSG vom 28.12.2005 - B 12 KR 42/05 B - juris). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin nicht, die sich nicht objektiv mit dem Regelungsgehalt der Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen auseinandersetzt, sondern lediglich ihre eigene, abweichende Rechtsmeinung darlegt. Dies gilt auch hinsichtlich ihrer Ausführungen zu § 96 SGG sowie zu der Frage der Berücksichtigung eines gesonderten Gegenstandswerts für den von ihr gestellten Hilfsantrag.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13219808 |