Verfahrensgang
SG Chemnitz (Entscheidung vom 07.03.2018; Aktenzeichen S 1 SB 235/17) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 21.08.2019; Aktenzeichen L 9 SB 63/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. August 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wehrt sich in der Hauptsache gegen den Entzug des Merkzeichens Hilflosigkeit ("H").
Der am 1.8.1996 geborene Kläger leidet an einem myelodysplastischen Syndrom mit Anämie. Durch eine 2012 durchgeführte Knochenmarktransplantation ist sein Immunsystem deutlich beeinträchtigt. Zudem leidet er an multiplen Knochennekrosen in verschiedenen Skelettregionen. Mit Bescheid vom 11.5.2012 wurden ihm deshalb ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B" und "H" zuerkannt.
Nachdem der Kläger das 18. Lebensjahr vollendet hatte, überprüfte der Beklagte von Amts wegen die gesundheitlichen Voraussetzungen der genannten Feststellungen. Mit Änderungsbescheid vom 28.9.2016 stellte er weiterhin einen GdB des Klägers von 100 fest, erkannte ihm aber das Merkzeichen "H" ab.
Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, der Eintritt der Volljährigkeit des Klägers habe die tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wesentlich geändert. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "H" seien nicht mehr nach den Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen zu beurteilen (Teil A Nr 5 der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" VMG - Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008). Vielmehr seien die allgemeinen Voraussetzungen für Hilflosigkeit bei Erwachsenen nach Teil A Nr 4 VMG heranzuzuziehen. Diese erfülle der Kläger nicht mehr (Urteil vom 21.8.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht ordnungsgemäß dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - juris RdNr 7 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung.
Der Kläger hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob eine generell bestehende, abstrakte Gefährdungslage ausreicht, um Hilflosigkeit gemäß Teil A Nr 4b Satz 2 letzte Alternative VMG annehmen zu können.
Indes hat das LSG seinem Urteil die einschlägigen Vorschriften und die Senatsrechtsprechung zugrunde gelegt. Hilflos iS von Teil A Nr 4b VMG, § 33b Abs 6 EStG ist danach eine Person, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den von den Vorschriften genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (Senatsurteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 1/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 1 RdNr 5 = juris RdNr 11 mwN). Die Beschwerde enthält keine hinreichende Auseinandersetzung mit diesen Rechtsgrundlagen, insbesondere mit § 33b EStG; sie versäumt die Darlegung, warum sich nicht schon aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften in der Auslegung durch den Senat die Antwort auf die von ihr aufgeworfene Frage ergibt.
Unabhängig davon hätte die Beschwerde angeben müssen, dass und warum für den Kläger nach den maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des LSG überhaupt eine abstrakt-generelle Gefährdungslage bestand, die sie mit ihrer Frage unterstellt. Denn ob eine Rechtsfrage in einem zukünftigen Revisionsverfahren geklärt werden kann (Klärungsfähigkeit), beurteilt sich immer auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts, die das Revisionsgericht nach § 163 SGG binden.
Schließlich hält es der Kläger für klärungsbedürftig,
ob allein der Eintritt der Volljährigkeit eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm Teil A Nr 5e VMG begründet, wenn feststeht, dass ein erworbener schwerer Immundefekt und der damit verbundene Immunmangel, der eine ständige Überwachung wegen der Infektionsgefahr erforderlich macht, nach wie vor iS des Teil A Nr 5d, nn der VMG vorliegt.
Insoweit kann dahinstehen, ob die Frage überhaupt über den Einzelfall des Klägers hinausweist oder letztlich nur die Anwendung von § 48 SGB X auf ihn betrifft. Denn der Kläger hat jedenfalls wiederum die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargelegt. Seine Frage geht davon aus, sein erworbener schwerer Immundefekt führe zu einer erhöhten Infektionsgefahr, weshalb er ständig überwacht werden müsse. Indes hat der Kläger die Darlegung versäumt, welche tatsächlichen Feststellungen des LSG diese Behauptung tragen. Das angefochtene Urteil führt aus, schwere Immundefekte lägen beim Kläger nicht vor. Er sei nicht dauernd auf fremde Hilfe angewiesen, auch nicht in Form einer ständigen Überwachung oder Anleitung. Diese tatsächlichen Feststellungen binden den Senat nach § 163 SGG; Verfahrensrügen hat der Kläger dagegen nicht erhoben.
Im Übrigen erwähnt die Beschwerde zwar die einschlägige Rechtsprechung des Senats. Danach ändern sich die tatsächlichen Verhältnisse, nach denen die Hilflosigkeit zu beurteilen ist, wesentlich iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, wenn der hilfsbedürftige Behinderte volljährig wird (Senatsurteil vom 29.8.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSGE 67, 204, 207 = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 S 4 f = juris RdNr 17 mwN). Eine ausreichende Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung lässt die Beschwerde aber ebenso vermissen wie die Darlegung, warum darüber hinaus weitergehender oder neuer grundsätzlicher Klärungsbedarf bestehen sollte. Insbesondere wäre darzulegen gewesen, warum die zitierte Senatsrechtsprechung für die Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen nach Teil A Nr 5 VMG keine Geltung beanspruchen sollte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13976061 |