Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
Orientierungssatz
Der Darlegungspflicht wird jedenfalls nicht genügt, wenn in einer Nichtzulassungsbeschwerde lediglich formelhaft ein Rechtsproblem beschrieben und behauptet wird, der Entscheidung hierüber komme grundsätzliche Bedeutung zu (vgl BVerwG vom 2.10.1961 - VIII B 78/61 = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 18).
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 1 Nr 2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 13.10.1992; Aktenzeichen L 7 Ar 310/91) |
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg), Unterhaltsgeld (Uhg) und Arbeitslosenhilfe (Alhi) durch die Beklagte sowie dagegen, daß sie überzahlte Leistungen in Höhe von insgesamt 7.651,79 DM erstatten soll.
Die Klägerin bezog während der Zeit vom 30. Mai 1988 bis 27. März 1990 Leistungen von der Beklagten, und zwar Uhg (30. Mai 1988 bis 23. März 1989), Alhi (24. März bis 6. Mai 1989) und nach einer weiteren beitragspflichtigen Beschäftigung Alg (27. September 1989 bis 27. März 1990). Nach Kenntniserlangung von einer Nebentätigkeit der Klägerin als Küsterin nahm die Beklagte ihre Bewilligung von Alg, Uhg und Alhi teilweise zurück; gleichzeitig forderte sie die Klägerin zur Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 7.651,79 DM auf (Bescheide vom 27. Juli 1990, Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 1990). Klage und Berufung blieben erfolglos. In seiner Entscheidung führt das Landessozialgericht (LSG) aus, die Berufung sei unzulässig, soweit sie die Rücknahme der Bewilligung von Alg, Uhg und Alhi betreffe; im übrigen sei sie unbegründet. Betreffe die Berufung - wie hier - mehrere selbständige prozeßuale Ansprüche, so sei ihre Zulässigkeit für jeden Anspruch gesondert zu prüfen. Der Streit um die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Alg, Uhg und Alhi sei als sog Höhenstreit gemäß § 147 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht berufungsfähig. Die Klägerin habe insoweit auch keinen tatsächlich vorliegenden wesentlichen Mangel des sozialgerichtlichen Verfahrens gerügt (§ 150 Nr 2 SGG). Die Berufung wegen des Erstattungsanspruchs der Beklagten sei unbegründet, weil die Rücknahme der Leistungsbewilligungen rechtskräftig feststehe (Urteil vom 13. Oktober 1992).
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die Klägerin das zweitinstanzliche Urteil angreift, ist unzulässig. Sie hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), auf den sie sich allein beruft, nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, muß diese in der Begründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder -fortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es muß anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angegeben werden, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb ihre Klärung aus Gründen der Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts erforderlich ist, und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; Hennig/Danckwerts/König, SGG, Stand März 1993 § 160 Anm 7 und § 160a Anm 7.7; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 106 ff; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX. Kapitel RdNrn 180 ff; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 160a RdNr 14). Diesen Anforderungen ist vorliegend nicht genügt.
Mit ihrem Beschwerdevorbringen hat die Klägerin nicht eine oder mehrere konkrete Rechtsfragen klar bezeichnet, über die im Revisionsverfahren zu entscheiden wäre (vgl zu dieser Voraussetzung: BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 62; BSG, Beschluß vom 23. Februar 1993 - 7/9b BAr 22/92 - nicht veröffentlicht; Kummer aaO RdNr 108). Soweit die Klägerin dem LSG vorwirft, in ihrem Fall "die Gefahr einer rechtlich widersprüchlichen Situation mit nicht hinnehmbaren Rechtsfolgen" verkannt zu haben, handelt es sich nicht um die Darlegung einer Rechtsfrage, sondern um eine Kritik an der Richtigkeit der Entscheidung des LSG. Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde ist aber nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Auch aus dem übrigen Vorbringen der Klägerin läßt sich nicht mit der notwendigen Deutlichkeit entnehmen, über welche Rechtsfrage das Revisionsgericht bei Zulassung der Revision zu befinden haben würde. Der Darlegungspflicht wird jedenfalls nicht genügt, wenn in einer Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - lediglich formelhaft ein Rechtsproblem beschrieben und behauptet wird, der Entscheidung hierüber komme grundsätzliche Bedeutung zu (BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 18; Kummer aaO RdNr 107). Der Hinweis der Klägerin, in ihrem Falle handele es sich nicht um eine sog Bagatellstreitigkeit, so daß die Berufungsausschlußgründe der §§ 144 ff SGG keine Anwendung finden dürften, stellt lediglich eine tatsächliche Behauptung dar; eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist damit nicht dargetan.
Zudem hat die Klägerin die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der vermeintlich aufgeworfenen Rechtsfragen nicht aufgezeigt. Nicht jedes höchstrichterlich unentschiedene Problem rechtfertigt es, die Revision zuzulassen. Die Entscheidung in einem Revisionsverfahren kann in einer die Allgemeinheit berührenden Weise das Recht nur dann fortentwickeln oder vereinheitlichen, wenn sich die Rechtsfrage als solche über den Einzelfall hinaus in der Rechtspraxis in einer Vielzahl von Fällen stellt. Nicht genügend dafür ist, daß der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse ist (BSG, Beschlüsse vom 18. und 23. Februar 1993 - 7 BAr 114/92 und 7/9b BAr 22/92 - jeweils mwN). In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht schlüssig und substantiiert dargelegt worden, daß und aus welchen Gründen die zweifelhafte Rechtsfrage in der Rechtspraxis immer wieder auftritt. Der Hinweis der Klägerin, vom Bundessozialgericht sei zu erwarten, daß es die verfassungskonforme Auslegung der Berufungsausschlußgründe gemäß §§ 144 ff SGG für den praktisch bedeutsamen Fall einer Mehrheit prozeßualer Ansprüche, wie sie nun einmal bei der Rücknahme von Leistungs-Verwaltungsakten mit nachfolgender Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen gegeben sei, prägen könne, ist nicht ausreichend.
Schließlich hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit ihrer vermeintlichen Rechtsfragen - ihre Klärungsfähigkeit unterstellt - nicht mit der notwendigen Deutlichkeit dargelegt. Dafür hätte sie unter Auswertung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum aufgezeigten Problem vortragen müssen, daß das BSG entweder noch keine Entscheidung gefällt hat oder die aufgeworfenen Fragen durch schon vorliegende Urteile abstrakt noch nicht beantwortet sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65; Krasney/Udsching aaO IX. Kapitel RdNr 183). Hieran fehlt es in der Beschwerde gänzlich, obwohl sich das LSG im angegriffenen Urteil umfassend mit dem Verhältnis zwischen präjudiziellem und abhängigem Anspruch und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinandergesetzt hat. Da es zu diesem Problemkreis bereits eine gefestigte Rechtsprechung des BSG gibt (vgl BSG SozR 1500 § 146 Nrn 9, 18 und 19), wäre es erforderlich gewesen, zumindest darzulegen, warum der früheren Rechtsprechung des BSG nicht mehr zu folgen ist und welche neuen - vom BSG noch nicht erwogenen - Argumente zu beachten sind. Diesen Erfordernissen entspricht die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht.
Da die Nichtzulassungsbeschwerde somit den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, ist sie in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen