Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 2. Februar 2023 - L 9 SO 19/19 KL - wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
Im Streit ist ein Schiedsspruch über die Höhe der Vergütung für stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 9.10.2018 bis 13.9.2019.
Der Beklagte betreibt im Kreisgebiet des Klägers eine stationäre Wohn- und Pflegeeinrichtung für Menschen mit geistigen sowie geistigen und mehrfach Behinderungen mit externer und interner Tagesstruktur bei insgesamt 35 Plätzen. Er forderte den Kläger im August 2018 erfolglos zum Abschluss neuer Leistungs- und Prüfvereinbarungen bezogen auf verschiedene Leistungstypen auf und beantragte im Oktober 2018 die Festsetzung der Vergütung durch die Schiedsstelle. Diese hat neben den Grund- und Maßnahmepauschalen für die verschiedenen Leistungstypen einen Investitionsbetrag iH von jeweils 10 Euro festgesetzt(Schiedsspruch vom 21.5.2019) . Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt, die Beteiligten hätten sich im Verlauf der mündlichen Verhandlung über wesentliche, zuvor strittige Positionen verständigen können, nicht aber über die Abschreibung für das Gebäude sowie den Investitionsbedarf. Der Beklagte, der zunächst von einem Investitionsbedarf iH von 14,73 Euro pro Tag und Platz und in der mündlichen Verhandlung noch iH von 12,70 Euro pro Tag und Platz ausgegangen sei, habe schließlich im Wege eines Kompromisses den Abschluss iH von 10 Euro angeboten. Der Kläger habe zunächst einen Investitionsbetrag von 4,67 Euro pro Tag und Platz ermittelt und zuletzt die Fortschreibung des Betrags iH von 7 Euro angeboten. Die Schiedsstelle sehe es deshalb angesichts des weitgehend kompromissbereiten Verhandlungsverhaltens beider Seiten als interessengerecht und angemessen an, den vom Beklagten beantragten Investitionsbetrag zuzusprechen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat den Schiedsspruch aufgehoben(Urteil vom 2.2.2023) . Die Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Schiedsstelle ergäbe sich aus einer unzureichenden Plausibilitätskontrolle. Im Rahmen der Sitzung der Schiedsstelle seien zwar von beiden Verfahrensbeteiligten pauschale Investitionsbeträge von 7 Euro (Kläger) und 10 Euro (Beklagter) beantragt worden, es sei jedoch nicht erkennbar, dass eine Plausibilitätsprüfung durch die Schiedsstelle vorgenommen worden sei, warum ein Investitionsbetrag iH von 10 Euro statt wie zuvor 7 Euro sachgerecht sei.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, mit der er eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend macht.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz nicht in der gebotenen Weise bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Wer eine Divergenz(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) geltend machen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und der herangezogenen Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht aber lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat(sog Subsumtionsfehler vgl zBBSG vom 9.1.2020 - B 8 SO 55/19 B - RdNr 6 ;BSG vom 16.7.2013 - B 8 SO 14/13 B - RdNr 6 ;BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN) . Für die Darlegung der Divergenz ist zudem erforderlich, dass die behauptete Abweichung entscheidungserheblich ist.
Der Beklagte zitiert als tragende abstrakte Rechtssätze Auszüge aus mehreren Entscheidungen des BSG(BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 3/18 R - BSGE 128, 162 = SozR 4-3500 § 76 Nr 3, RdNr 11;BSG vom 7.10.2015 - B 8 SO 19/14 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 8 RdNr 12;BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 3/13 R - BSGE 116, 233 = SozR 4-3500 § 76 Nr 1, RdNr 14;BSG vom 8.12.2022 - B 8 SO 8/20 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 15 RdNr 16 mwN;BSG vom 13.7.2017 - B 8 SO 11/15 R -SozR 4-3500 § 75 Nr 10 RdNr 21) :
"Die Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGG XII aF(idF des Gesetzes vom 27.12.2003) deren Entscheidungsspielraum sich am Vereinbarungsspielraum der Vertragsparteien misst, ist gerichtlich im Rahmen der normativen Vorgaben der §§ 75 ff SGB XII aF regelmäßig nur eingeschränkt dahin überprüfbar, ob
- die verfahrensrechtlichen Regelungen eingehalten sind,
- der Sachverhalt ermittelt ist und
- die Schiedsstelle bei der Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange ihren Gestaltungsspielraum nicht verkannt hat(stRspr …)."
"Als Verwaltungsakt unterliegt der Schiedsspruch grundsätzlich dem Begründungserfordernis des § 35 Abs. SGB X , wonach in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Schiedsstelle zu ihrer Entscheidung bewogen haben(§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X ) . In Bezug auf die Darlegungstiefe reicht insoweit aus, dass die maßgebenden Gründe des Schiedsspruchs erkennbar sind und den Sachverhalt, Verfahrensablauf, Anträge und Erwägungen der Schiedsstelle sowie die dafür maßgebenden normativen Kriterien einschließlich ihrer Gewichtung enthält."
Als dritten Rechtssatz des BSG zitiert der Beklagte aus dem Urteil vom 7.10.2015 - B 8 SO 21/14 R - BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9, RdNr 16:
"Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bzw. dass eine sozialhilferechtliche Schiedsstelle sich im Rahmen des ihr zustehenden Entscheidungsspielraums an der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG zum sog externen Vergleich im Recht der Sozialen Pflegeversicherung … orientiert. Im Hinblick auf die anders geartete Struktur des SGB XII und die geringere Normdichte, insbesondere die fehlenden ausdrücklichen Regelungen über die Mitwirkungspflichten im Schiedsstellenverfahren, besteht indes keine Veranlassung, diese Rechtsprechung in der Form zu übertragen, dass die Schiedsstellen zu einem entsprechenden Vorgehen vollumfänglich und in jedem Fall gezwungen wären, wenn nicht anderes in den Verträgen oder Verordnungen der§§ 75 ff SGB XII vorgeschrieben ist. ... Die Schiedsstelle ist nicht zu einem sogenannten externen Vergleich verpflichtet(vgl.BSG, Urteil vom 13.07.2017 - B 8 SO 11/15 R - R. 21 zitiert nach juris). "
Dies genügt schon nicht den Anforderungen der zulässigen Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Der Beklagte stellt lediglich mehrere Entscheidungen des BSG kumulativ dar, ohne dass die eigentlichen tragenden Rechtssätze, von denen das LSG abgewichen sein soll, herausgearbeitet werden. Es ist aber nicht Aufgabe des BSG, aus dem Vortrag die Entscheidungen sowie die entscheidungserheblichen Rechtssätze herauszufiltern, die die Zulassung der Revision wegen Divergenz rechtfertigen könnten.
Der Beklagte bezeichnet jedenfalls keine von der BSG-Rechtsprechung abweichenden Rechtssätze des LSG, sondern referiert weitgehend - zum Teil bis hin zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt - aus dem Urteil des LSG, ohne dass klar würde, welchen eigenen Rechtssatz das LSG aufgestellt haben soll, der von einem oder allen der oben zitierten Absätze aus den Entscheidungen des BSG abweichen soll. Der Beklagte trägt weiter vor, dass die Entscheidung des LSG auf dem Rechtssatz beruhe, dass die sozialhilferechtliche Schiedsstelle eine Plausibilitätsprüfung auch dann durchzuführen habe, wenn sowohl die Leistungserbringer als auch Leistungsträgerseite von ihren zuvor konkret errechneten Vergütungssätzen im Rahmen einer Kompromisslösung abweiche. Damit habe das LSG einen eigenen rechtlichen Maßstab entwickelt, indem es fordere, dass auch nachdem sich die Verfahrensbeteiligten im Kompromisswege während der Schiedsstellenverhandlung unter Abweichung von ihren ursprünglichen Antragswerten aufeinander zubewegten, die Schiedsstelle gleichwohl eine weitere Plausibilitätsprüfung darüber anzustellen habe, ob der nunmehr beantragte neue Wert objektiv zutreffend zugrunde zu legen ist.
Auf diese Weise bezeichnet der Beklagte aber keine sich widersprechenden Rechtssätze. Er verallgemeinert vielmehr das vom LSG gefundene Subsumtionsergebnis. Soweit der Beklagte einen konkludent aufgestellten Rechtssatz behaupten wollte, hätte er näher darlegen müssen, dass dieser sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus einem abstrakten Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung eindeutig enthalten ist und mit dem das LSG eigene von der Rechtsprechung des BSG abweichende Kriterien aufstellen wollte(vglBSG vom 19.12.2011 - B 12 KR 42/11 B - RdNr 8 ;BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45 = juris RdNr 12) . Er zeigt auch nicht ausreichend auf, inwieweit der tatsächliche und rechtliche Kontext der herangezogenen bundesgerichtlichen Entscheidung mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist(BSG vom 1.7.2021 - B 12 KR 101/20 B - RdNr 7 ).
Selbst wenn man das Vorbringen des Beklagten dahingehend auslegen würde, dass das LSG in seiner Entscheidung insofern dem BSG bewusst widersprochen habe, indem es eine bindende vergleichsweise Einigung der Beteiligten im Schiedsstellenverfahren als für die Schiedsstelle bzw das LSG nicht bindend angesehen hätte, könnte damit eine Divergenz nicht zulässig begründet werden, weil nach dem eigenen Vortrag des Beklagten gerade zwischen den Beteiligten keine Einigung auf einen konkreten Investitionsbetrag erfolgt ist. Die Klage ist auf solche Gegenstände beschränkt, über die keine Einigung zwischen den Vertragsparteien erzielt werden konnte(§ 77 Abs 1 Satz 3 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung) . Dies war laut Schiedsspruch nur hinsichtlich Gebäudeabschreibung und Investitionsbetrag sowie des im Klageverfahren nicht streitigen Gewinnzuschlags der Fall. Eine vorherige Einigung im Hinblick auf den Investitionsbetrag ist danach gerade nicht erfolgt, sondern die Beteiligten hatten sich lediglich bis auf 3 Euro angenähert. Insofern oblag es auch nach dem Vortrag des Beklagten nach wie vor der Entscheidung der Schiedsstelle, über die Berechtigung des geforderten höheren Investitionsbetrags zu entscheiden.
Sofern der Beklagte eine Divergenz zwischen dem dritten angeführten Rechtssatz und der Entscheidung des LSG geltend macht, genügt auch dies nicht den Bezeichnungsvoraussetzungen. Aus der Formulierung im Urteil des LSG, dass sich aus dem Akteninhalt der Schiedsakte nicht ergäbe, wie sich zB die Investitionsbeträge in anderen Pflegeeinrichtungen mit einem ähnlichen Leistungsangebot bezogen auf den vorliegenden streitigen Zeitraum 2018/2019 darstellte, meint der Beklagte als tragenden Rechtssatz des LSG entnehmen zu können, dass die sozialhilferechtliche Schiedsstelle stets verpflichtet sei, einen externen Vergleich durchzuführen. Damit wird aber - sofern dies überhaupt zur Bezeichnung divergierender Rechtssätze genügen könnte - mit dem gleichzeitigen Vortrag, dass das LSG die gänzlich fehlende Plausibilitätsprüfung als wesentlichen Grund für die Aufhebung des Schiedsspruchs angeführt habe, zumindest die Entscheidungserheblichkeit nicht hinreichend dargelegt. Auf die Frage, ob die Durchführung eines externen Vergleichs auch für den streitgegenständlichen Zeitraum zwingend ist, kommt es nicht an.
Mit seiner Begründung macht der Beklagte im Kern nur die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was die Zulassung der Revision nicht begründen kann(vgl nurBSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160 Nr 7; zuletztBSG vom 29.4.2021 - B 8 SO 92/20 B ) . Für die Bezeichnung der Divergenz genügt es nämlich nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt habe. Ebenso wenig genügt eine isolierte Wiedergabe einzelner Passagen der Aussagen beider Gerichte. Der Widerspruch muss in der Beschwerdebegründung klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden(BSG vom 1.12.2020 - B 12 KR 48/20 B - RdNr 5 ) . Denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher auch nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt haben, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat(vglBSG vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 undBSG vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN) . Dies zeigt die Beschwerdebegründung aber nicht ansatzweise auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Vorsitzende Richterin am BSG Krauß ist wegen an der Signatur gehindert. Bieresborn |
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Luik |
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Bieresborn |
Fundstellen
Dokument-Index HI16675221 |