Verfahrensgang

SG Münster (Entscheidung vom 12.02.2020; Aktenzeichen S 10 U 402/19)

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.06.2020; Aktenzeichen L 15 U 97/20)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 2020 - L 15 U 97/20 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Mit vorbezeichnetem Urteil vom 23.6.2020 - Az L 15 U 97/20 - hat das LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung des Klägers gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid des SG Münster vom 12.2.2020 - Az S 10 U 402/19 - zurückgewiesen. Das SG hatte die Klage, festzustellen, dass die Beklagte ihre Fürsorgepflicht dem Kläger gegenüber vernachlässigt habe, indem sie entgegen § 2 Abs 2 SGB I die sozialen Rechte so auslegte und anwendete, dass diese nicht verwirklicht wurden und dem Kläger dadurch ein Schaden entstanden sei, abgewiesen.

Mit am 8.7.2020 eingegangenem Schreiben hat der Kläger um Prozesskostenhilfe (PKH) nachgesucht. Zur Begründung hat er ua ausgeführt, sein rechtliches Gehör sei verletzt, weil er in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend habe sein können. Abgesehen davon, dass er bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einer Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen wäre, sei ihm kein Ticket für die Anfahrt geschickt worden, sondern nur eine Fahrkarte für den Verkehrsverbund; sein Wohnort liege aber außerhalb des Bereiches dieses Verbundes. Auch sei unklar, ob ihm die Rückfahrt gezahlt worden wäre. Es lägen hinsichtlich der gesetzlichen Unfallversicherung divergierende Entscheidungen vor und die von dem LSG verneinte, für ein Feststellungsinteresse erforderliche Wiederholungsgefahr bestehe.

II

Der Antrag auf PKH ist abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1, § 121 Abs 1 ZPO). Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder aufgezeigt worden noch nach Durchsicht der Akten aufgrund der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstoffs zu erblicken. Dagegen ist eine allgemeine Überprüfung des vorinstanzlichen Urteils in dem Sinne, ob das LSG unter Würdigung der Angaben des Klägers richtig entschieden hat, im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft. Es ist nicht erkennbar, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Des Weiteren müsste die Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren auch klärungsfähig, dh entscheidungserheblich sein. Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht erkennbar.

b) Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Insbesondere ist eine Abweichung eines von dem LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtssatzes von einem Rechtssatz, der in dem vom Kläger zitierten Urteil des BSG vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - enthalten sein könnte, nicht ersichtlich.

c) Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Soweit der Kläger als Verfahrensmangel die Verletzung seines rechtlichen Gehörs rügt, weil er nicht an der mündlichen Verhandlung habe teilnehmen können, ist den in seiner Begründung geschilderten Umständen und dem Akteninhalt nicht hinreichend zu entnehmen, dass das LSG das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG verletzt haben könnte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das LSG nicht in Abwesenheit des Klägers verhandeln durfte und deshalb verfahrensfehlerhaft gehandelt haben könnte. Ausweislich des Akteninhalts und des Vortrags des Klägers ist ihm mit Schreiben vom 8.6.2020, zugestellt am 15.6.2020, ein Einzelticket der Ruhrbahn/VRR zur Anreise zu der mündlichen Verhandlung am 23.6.2020 übersandt worden. Auch ist ihm mitgeteilt worden, dass er das Geld für die Rückfahrt nach dem Ende des Termins erhalten werde. Der Kläger hat gegenüber dem LSG mit E-Mail vom 18.6.2020 erklärt, sich für die Nichtteilnahme am Termin entschuldigen zu wollen, weil er sich in Isolation befinde. Auch sei die Anreise den anderen Personen im Zug gegenüber unsozial. Wenn er das Gericht richtig verstanden habe, hätte das Ticket ohnehin nicht für die Hinfahrt gereicht. Aus diesen Umständen ist nicht zu entnehmen, dass das LSG das rechtliche Gehör des Klägers verletzt haben könnte. So war der E-Mail des Klägers nicht zu entnehmen, dass er eine Verschiebung des Termins zur mündlichen Verhandlung zwecks Sicherstellung seiner Teilnahme veranlassen wollte. Auch war aus ihr nicht erkennbar, dass der Kläger ggf mit einem anderen Verkehrsmittel anreisen wollte. Vielmehr konnte der Text dieser Nachricht dahin verstanden werden, dass er auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichte. Mit dieser Benachrichtigung hatte der Kläger nicht alles getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Hierfür hätte er wenigstens um Aufhebung des Termins nachsuchen müssen, um dem LSG zu verdeutlichen, dass er an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wolle. Unter diesen Umständen konnte das Berufungsgericht trotz Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er nach dem Inhalt des Berufungsurteils auf diese Möglichkeit in der Terminsmitteilung hingewiesen worden ist (vgl auch BSG Beschluss vom 30.8.2018 - B 2 U 230/17 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 38). Auch sonstige Umstände, aus denen sich auf Verfahrensfehler schließen ließe, sind nicht ersichtlich.

Da dem Kläger somit keine PKH zu bewilligen ist, hat er nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14206853

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