Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Revision wegen unterbliebener weiterer Anhörungsmitteilung als Verfahrensmangel

 

Orientierungssatz

1. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel in der Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs in der Weise geltend gemacht, dass das LSG vor Erlass eines ablehnenden Beschlusses von einer weiteren Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs. 4 S. 2 SGG abgesehen habe, so sind die einen solchen Mangel begründenden Tatsachen ausreichend zu bezeichnen.

2. Der Beschwerdeführer hat hierzu die Notwendigkeit einer weiteren Anhörungsmitteilung darzulegen. Eine solche ist dann erforderlich, wenn sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert hat, insbesondere durch Vortrag neuer entscheidungserheblicher Tatsachen, durch Beweisanträge oder wenn die Berufung erst dann substantiiert begründet wird.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 30.08.2016; Aktenzeichen L 6 AS 1205/13)

SG Hannover (Aktenzeichen S 59 AS 1085/12)

 

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. August 2016 werden als unzulässig verworfen.

Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2112,47 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG), weil die zu ihrer Begründung angeführten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt sind.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX, RdNr 56 ff).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Frage, ob "die Sozialbehörde bei Auszahlungen als Drittschuldner an den im Rahmen des von dem Vollstreckungsgericht beschlossenen Pfändungsfreibetrages für den Schuldner unter Herausrechnung von Pfändungsfreibeträgen weiterer unterhaltsberechtigter Personen als maßgebenden Betrag, der dem Schuldner und Leistungsbezieher in jedem Fall für seinen notwendigen Unterhalt verbleiben müsse gebunden ist und hier insbesondere ein über den individuell auf den Schuldner entfallender Teil des vom Vollstreckungsgericht festgesetzten Vollstreckungsfreibetrages hinausgehender vom Jobcenter als Regelleistung bewilligter und gezahlter individueller Leistungsanspruch von einer Pfändung umfasst ist".

Inwieweit dem grundsätzliche Bedeutung im aufgezeigten Sinne zukommt, zeigen die Beschwerden nicht ausreichend auf. Wie von ihnen selbst angeführt, besteht grundsätzlicher Klärungsbedarf zunächst insofern nicht mehr, als Alg II-Ansprüche nach der Rechtsprechung des BGH gemäß § 54 Abs 4 SGB I unter Beachtung der Vorschriften in §§ 850c ff ZPO wie Arbeitseinkommen pfändbar sind (BGH Beschluss vom 25.10.2012 - VII ZB 31/12 - juris; BGH Beschluss vom 25.10.2012 - VII ZB 74/11 - juris; jeweils mwN). Soweit dabei - wie den Beschwerden zu entnehmen ist - zusätzlich zu dem Alg II-Anspruch des Schuldners selbst nach dem Vorbringen hier des Beigeladenen - auch Zugriff genommen werden soll auf die Alg II-Ansprüche weiterer, mit ihm in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebender Personen - hier nach dem Vortrag die Ehefrau, deren Tochter sowie der gemeinsame Sohn des Schuldners und seiner Ehefrau - hätte es näherer Ausführungen bedurft, inwiefern eine solche Möglichkeit ernstlich in Betracht gezogen werden kann. Nach der gesetzlichen Konzeption des SGB II sind die Ansprüche der Leistungsberechtigten auch beim Zusammenleben in Bedarfsgemeinschaft als Individualansprüche ausgestaltet (stRspr; vgl nur BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 15). Deshalb hätte in näherer Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung dargelegt werden müssen, inwiefern § 54 Abs 4 SGB I die Pfändung auch solcher Ansprüche auf laufende existenzsichernde Geldleistungen nach dem SGB II erlauben könnte, die dem Schuldner nicht in eigener Person zustehen, woran es fehlt.

Soweit in den Beschwerden bezogen auf den Beigeladenen aus der Differenz zwischen der damaligen Regelleistung von 328 Euro und der vom Vollstreckungsgericht festgesetzten Pfändungsfreigrenze von 323 Euro ein "Pfändungsraum" von 5 Euro im Monat ermittelt wird, zeigen die Beschwerden nicht auf, ausgehend von welcher Rechtsgrundlage die so ermittelten Beträge pfändungsrechtlich überhaupt relevant sind.

Auch das Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), ist nicht schlüssig bezeichnet. Soweit mit den Beschwerden insoweit sinngemäß als Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird, dass das LSG vor Erlass des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht von einer weiteren Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG abgesehen habe, sind die einen solchen Mangel begründenden Tatsachen nicht ausreichend bezeichnet (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36).

Der Beschwerdebegründung ist insoweit nur zu entnehmen, dass das LSG den Klägern mehrfach Gelegenheit zur Stellungnahme auf Anhörungen nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG eingeräumt habe und sie - die Kläger - insoweit zuletzt mit Schriftsatz vom 17.9.2015 auf ein Hinweisschreiben vom 23.7.2015 mit dem Verweis auf die Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Beigeladenen reagiert hätten. Inwiefern im Anschluss daran nach den Maßstäben der Rechtsprechung des BSG die Notwendigkeit einer weiteren Anhörungsmitteilung bestanden hat, zeigen die Beschwerden nicht schlüssig auf. Danach ist eine neue Anhörungsmitteilung erforderlich, wenn sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert hat, insbesondere durch Vortrag neuer entscheidungserheblicher Tatsachen, durch Beweisanträge oder wenn die Berufung erst dann substantiiert begründet wird (vgl zu diesen Maßstäben letztens etwa BSG Beschluss vom 2.11.2015 - B 13 R 203/15 B - juris RdNr 12 ff; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B - juris RdNr 7 f, jeweils mit Nachweisen älterer Rechtsprechung; zur Kritik an diesen Maßstäben vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811 ff). Dass es hier so liegt, kann der Beschwerdebegründung nicht schlüssig entnommen werden. Danach rügen die Kläger einerseits, dass ihnen gegen die vom LSG zuvor als maßgeblich bekannt gemachten neuen Tatsachengesichtspunkte nicht ein weiterer rechtlicher Hinweis und Stellungnahmemöglichkeit gegeben worden sei. Andererseits tragen sie selbst vor, dass sie auf die - nach dem Beschwerdevorbringen - letzte Anhörungsmitteilung des LSG nochmals repliziert hätten. Demgemäß hätte mit den Beschwerden vorgetragen werden müssen, inwiefern sich mit diesem Vortrag die Prozesssituation entscheidungserheblich verändert hat, woran es fehlt. Nicht ausreichend ist insoweit allein der Hinweis, dass für die Kläger nicht erkennbar gewesen sei, auf welche rechtlichen Erwägungen das LSG seine Entscheidung stützen werde; hierauf erstreckt sich der Anspruch auf Wahrung rechtlichen Gehörs nicht (stRspr, vgl letztens etwa BSG Beschluss vom 8.3.2016 - B 13 R 317/15 B - juris RdNr 4).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO, die dem eingeklagten Geldbetrag entsprechende Streitwertfestsetzung auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 52 Abs 3 Satz 1, 63 Abs 2 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10448950

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