Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Verletzung des Verfassungsrechts

 

Orientierungssatz

Beim Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Zusammenhang mit der Behauptung einer Verletzung des GG wird die Darlegungslast des § 160a Abs 2 S 3 SGG nur mit substantieller Argumentation erfüllt (vgl BSG vom 22.4.1997 - 11 BAr 3/97 = SozR 3-1500 § 160a Nr 23).

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 1; GG

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.11.2003; Aktenzeichen L 13 AL 688/03)

SG Karlsruhe (Urteil vom 15.01.2003; Aktenzeichen S 14 AL 2630/02)

 

Tatbestand

Die Beklagte, die dem 1944 geborenen Kläger bis einschließlich 30. Juni 2002 Arbeitslosenhilfe (Alhi) gezahlt hatte, lehnte den Antrag des Klägers auf Weiterbewilligung von Alhi für die Zeit ab 1. Juli 2002 mit der Begründung ab, der Kläger verfüge aus einer im Jahre 1983 abgeschlossenen Kapitallebensversicherung über ein zu berücksichtigendes Vermögen von 36.046,90 € (Rückkaufswert einschließlich Überschussbeteiligung 66.206,90 € abzüglich Freibetrag 30.160 €). Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, er habe bei Ablauf der Lebensversicherung am 1. August 2005 eine Auszahlung von 97.066,57 € zu erwarten und ihm könne im Hinblick auf eine zukünftige monatliche Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung von 626,86 € monatlich eine vorzeitige Auflösung der Lebensversicherung nicht angesonnen werden. Die Klage blieb in den Tatsacheninstanzen erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt: Für den ab Juli 2002 laufenden Bewilligungsabschnitt seien die Bestimmungen der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 26. Juni 2001 (AlhiV 2002) heranzuziehen. Der Wert der Versicherung betrage zum Zeitpunkt der Antragstellung 66.206,90 €, der Freibetrag 29.640 € (57 Lebensjahre x 520 €); es verbleibe somit ein den Alhi-Anspruch ausschließendes Vermögen von 36.566,90 € (§ 1 Abs 1 und 2 AlhiV 2002). Bei der Versicherung handle es sich nicht um Vermögen, das nach § 1 Abs 3 AlhiV 2002 nicht zu berücksichtigen sei. Auch § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002, der anders als § 6 Abs 3 Satz 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung in der vor 2002 geltenden Fassung (AlhiV aF) den Begriff der Unwirtschaftlichkeit weiter objektiviert habe, greife nicht zu Gunsten des Klägers ein. Von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit könne bei einer Beleihung der Lebensversicherung keine Rede sein; offen bleiben könne, ob ein "Verkauf" der Lebensversicherung offensichtlich unwirtschaftlich wäre. § 1 AlhiV 2002 stoße auch auf keine rechtlichen Bedenken; dies folge ua aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 6 Abs 4 AlhiV aF (Urteil vom 5. Juni 2003 - B 11 AL 55/02 R). Das Rechtsstaatsprinzip - Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG) - sei nicht verletzt, da der Verordnungsgeber mit § 4 AlhiV 2002 eine den Grundsätzen des Vertrauensschutzes Rechnung tragende Übergangsregelung geschaffen habe.

Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Zu klären sei die Rechtsfrage: "Sind die Regelungen der AlhiV 2002 im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Altersvorsorgevermögen durch die Ermächtigungsgrundlage gedeckt und verstoßen nicht gegen Art 3 Abs 1, Art 14 Abs 1, Art 20 Abs 3 und Art 80 Abs 1 GG"? Die aufgeworfene Frage sei klärungsbedürftig. Mit vorliegenden Entscheidungen des BSG zur AlhiV aF sei die Frage nicht beantwortet. Vom Verordnungsgeber sei grundsätzlich eine schonende Behandlung von Vermögen, das zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt sei, zu verlangen. Der Verordnungsgeber sei mit der AlhiV 2002 von den ua aus § 193 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch abzuleitenden ordnungspolitischen Vorstellungen des Gesetzgebers abgewichen, weshalb nicht mehr von einer ermächtigungskonformen Verordnung ausgegangen werden könne. Der Verordnungsgeber habe mit der AlhiV 2002 ein seit langem existierendes Regelungskonzept verlassen; damit sei auch die in Art 80 Abs 1 Satz 2 GG geforderte hinreichende Bestimmbarkeit betroffen. Verletzt seien auch Art 14 GG iVm Art 20 Abs 3 GG sowie Art 3 Abs 1 GG. Die aufgeworfene Rechtsfrage sei klärungsfähig, da es auf sie im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ankomme. Mit der Berücksichtigung des errechneten Betrages von 36.566,90 € wäre ausgehend vom letzten Bemessungsentgelt lange vor der frühesten Inanspruchnahme von Altersrente das angesparte private Altersvorsorgevermögen aufgebraucht. Im Hinblick auf knapp 1,7 Millionen Alhi-Empfänger im Jahre 2002 habe die Frage auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Die Beantwortung der Rechtsfrage, die bereits Gegenstand der anhängigen Revisionssache B 11 AL 79/03 R sei, werde der Rechtssicherheit dienen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Die als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Zweifelhaft ist bereits, ob die Ausführungen der Beschwerdebegründung zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage zur Vereinbarkeit der AlhiV 2002 mit verschiedenen Bestimmungen des GG den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügen. Denn die Beschwerdebegründung lässt eine eingehende Auseinandersetzung mit erwähnter Rechtsprechung des BSG - insbesondere Urteil des erkennenden Senats vom 5. Juni 2003, B 11 AL 55/02 R, sowie Urteile des 7. Senats vom 22. Oktober 1998, BSGE 83, 88 = SozR 3-4220 § 6 Nr 6, und vom 27. Mai 2003, B 7 AL 104/02 R, BSGE 91, 94 = SozR 4-4220 § 6 Nr 1 - vermissen. Geltend gemacht wird zwar, mit den genannten Entscheidungen lasse sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht beantworten; substantiierte Erläuterungen, weshalb die den genannten BSG-Entscheidungen zu entnehmenden Aussagen nicht auch auf die Auslegung der einschlägigen Regelungen der AlhiV 2002 übertragen werden können, enthält die Beschwerdebegründung jedoch nicht. Sie beschränkt sich weitgehend ohne Bezug auf vorliegende Rechtsprechung auf die Darstellung der eigenen Auffassung zu der Rechtmäßigkeit der AlhiV 2002. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist aber allein die Nebenentscheidung über die Nichtzulassung der Revision, nicht die Richtigkeit der Entscheidung des LSG in der Hauptsache. Der Beschwerdeführer befasst sich im Rahmen seiner Ausführungen zu den angeblichen Verletzungen der Art 3, 14, 20 und 80 des GG auch weder mit den vom LSG zitierten Äußerungen im Schrifttum noch näher mit der differenzierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf die beispielsweise das BSG in den genannten Entscheidungen hingewiesen hat (ua BVerfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Beim Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Zusammenhang mit der Behauptung der Verletzung des Grundgesetzes wird die Darlegungslast des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nur mit substanzieller Argumentation erfüllt (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23).

Jedenfalls fehlt es aber an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage. Nicht schlüssig erscheint insoweit nach den vom LSG festgestellten Zahlen zur Höhe der Alhi und zum Wert der Lebensversicherung der Vortrag, bei Berücksichtigung des errechneten Betrages von 36.566,90 € sei ausgehend vom letzten Bemessungsentgelt lange vor der frühesten Inanspruchnahme von Altersrente das angesparte private Altersvorsorgevermögen aufgebraucht. Insbesondere fehlt es aber an hinreichenden Ausführungen zu dem vom LSG als entscheidungserheblich angesehenen Umstand, dass dem Kläger kurze Zeit vor dem Ablauf der Versicherung (August 2005) nicht etwa ein "Verkauf" der Lebensversicherung, sondern nur eine Beleihung - und zwar zu einem derzeit günstigen Zinssatz - zugemutet werden soll. Im Rahmen der Ausführungen zur Klärungsfähigkeit hätte der Beschwerdeführer deutlich machen müssen, dass das Revisionsgericht über die aufgeworfene Rechtsfrage auch unter den vom LSG festgestellten Umständen des vorliegenden Einzelfalles zu entscheiden hätte. Insofern ist auch der Hinweis auf ein anhängiges anderes Revisionsverfahren (B 11 Al 79/03 R), in dem andere Einzelumstände vorliegen können, unbehelflich.

Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 2, 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755836

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