Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahnarzt für Kieferorthopädie. keine Behandlung von GKV-Versicherten nach dem Wirksamwerden eines kollektiven Zulassungsverzichts. ausnahmsweise Inanspruchnahme eines solchen Zahnarztes nur in Notfällen
Orientierungssatz
1. Vertragszahnärzte, die in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet haben, sind grundsätzlich nicht mehr zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt, auch wenn ihr Vertragszahnarztsitz noch nicht wieder besetzt ist (vgl zB BSG vom 27.6.2007 - B 6 KA 37/06 R = BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 § 95b Nr 1).
2. Ein an einem kollektivem Zulassungsverzicht beteiligter Vertragszahnarzt bleibt über den Verzichtszeitpunkt hinaus nicht dem Vertragszahnarztsystem verhaftet (vgl zB BSG vom 27.6.2007 - B 6 KA 37/06 R = aaO).
3. Versicherte dürfen derartige nicht bzw nicht mehr im Vertragszahnarztsystem verhaftete Zahnärzte nur in Notfällen in Anspruch nehmen (vgl zB BSG vom 27.6.2007 - B 6 KA 37/06 R = aaO).
Normenkette
SGB 5 § 2 Abs. 1 S. 3, § 13 Abs. 3, § 72 Abs. 1 S. 2, § 72a Abs. 1, 3, § 76 Abs. 1 Sätze 1-2, § 95 Abs. 1 S. 1, § 95b Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 10.02.2009; Aktenzeichen L 1 KR 200/08) |
SG Hildesheim (Aktenzeichen S 20 KR 214/05) |
Tatbestand
Der 1993 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse über seine Mutter familienversicherte Kläger hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg mit seinem Begehren gehabt, zugesichert zu bekommen, dass er sich zu Lasten der Beklagten bei der Kieferorthopädin Dr. L., Hildesheim, behandeln lassen dürfe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen, dazu teilweise auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen und ergänzende Ausführungen gemacht: Dr. L. gehöre aufgrund der von ihr zum 1.7.2004 zurückgegebenen Zulassung nicht mehr zum Kreis der zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 27.6.2007 - B 6 KA 37/06 R, BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 § 95b Nr 1) folge ein Behandlungsanspruch des Klägers auch nicht aus § 95b Abs 3 SGB V. Die Regelung begründe nur einen Anspruch des Zahnarztes gegen die Krankenkasse, nicht aber einen Anspruch des Versicherten auf Behandlung bei nicht zugelassenen Zahnärzten. Anhaltspunkte für einen Systemmangel oder einen Notfall bestünden nicht; dem Kläger seien im Bescheid vom 20.6.2005 Namen und Adressen von fünf zugelassenen, für ihn zumutbar in Betracht kommenden Behandlern benannt worden (Beschluss vom 10.2.2009).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Wer sich auf diesen Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Zwar formuliert der Kläger darin die Rechtsfragen, (1.) "ob in Folge dessen, dass ein Vertragsarzt im Falle eines kollektiven Zulassungsverzichts über den Verzichtszeitpunkt hinaus dem Vertragsarztsystem so lange verhaftet bleibt, bis die Sicherstellung wieder bewirkt ist", sowie (2.) "ob von einem gesetzlich versicherten Kind verlangt werden kann, dass dieses längere Wegstrecken über Land in Kauf nimmt, um dort kieferorthopädisch behandelt zu werden". Er legt jedoch nicht hinreichend dar, dass Frage 1. einer (weiteren) höchstrichterlichen Klärung durch das BSG bedarf, und dass es auf die Beantwortung der Frage 2. für den Ausgang des angestrebten Revisionsverfahrens ankommen wird.
Die Klärungsbedürftigkeit einer Frage fehlt zB, wenn ihre zutreffende Beantwortung nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw der dazu vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel (mehr) unterliegt, sie also "geklärt" ist (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). Unter diesem Blickwinkel würdigt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend, dass der 6. Senat des BSG zur ersten Frage bereits in mehreren Urteilen vom 27.6.2007 entschieden hat (zB BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 § 95b Nr 1) , dass (ehemalige) Vertragszahnärzte, die in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet haben, grundsätzlich nicht mehr zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt sind, auch wenn ihr Vertragszahnarztsitz noch nicht wieder besetzt ist. Dabei hat das BSG ausdrücklich die gegenteilige Rechtsauffassung des LSG Niedersachsen-Bremen verworfen, auf die sich die Beschwerdebegründung ua stützt (BSG, ebenda, jeweils RdNr 25, 30 ff) . Eine Ausnahme hat das BSG nur für Notfallbehandlungen gemacht, wobei dann ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes gegen die Krankenkasse an die Stelle des Kostenerstattungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V trete (BSG, ebenda, jeweils RdNr 26 ff) . Vor diesem Hintergrund aber ist die aufgeworfene Rechtsfrage dahin geklärt, dass ein an einem kollektivem Zulassungsverzicht beteiligter Vertragszahnarzt über den Verzichtszeitpunkt hinaus nicht dem Vertragszahnarztsystem verhaftet bleibt. Wie sich aus § 2 Abs 1 Satz 3 und § 76 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB V ergibt, dürfen Versicherte derartige nicht bzw nicht mehr im Vertragszahnarztsystem verhaftete - damit nicht mehr als Leistungserbringer zugelassene - Zahnärzte indessen nur in Notfällen in Anspruch nehmen. Ein fortbestehendes Bedürfnis nach Klärung der aufgeworfenen Frage in einem erneuten Revisionsverfahren wäre nur unter besonderen Umständen anzuerkennen. Dazu müsste jedoch dargelegt werden, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig geblieben oder erneut klärungsbedürftig geworden ist, zB weil der vorliegenden Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wurde, weil neue Entwicklungen in der Rechtsprechung eingetreten sind oder weil Rechtsänderungen Anlass zu einer Neuinterpretation geben (vgl zum Ganzen zB Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 160 RdNr 8b und c, § 160a RdNr 14g mwN). Das geschieht hier nicht; der pauschale Hinweis auf "die einschlägigen Kommentierungen zu § 95b SGB V", die die Rechtsauffassung des Klägers stützten, reicht dafür angesichts der bereits vorliegenden BSG-Rechtsprechung nicht aus.
In Bezug auf Frage 2. fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits. Denn das LSG hat - teilweise durch seine Bezugnahme auf die Ausführungen im SG-Urteil - Anhaltspunkte für einen Systemmangel oder einen Notfall verneint, weil dem Kläger bereits im Bescheid vom 20.6.2005 Namen und Adressen von fünf zugelassenen, für ihn in Betracht kommenden Behandlern (davon vier in Hildesheim, dem Sitz der Kieferorthopädin Dr. L.) benannt worden seien. Angesichts dieser vom LSG herangezogenen Umstände des Einzelfalls ist nicht ersichtlich, dass sich im angestrebten Revisionsverfahren die aufgeworfene generelle Frage stellen kann, ob von einem familienversicherten Kind verlangt werden kann, "längere Wegstrecken über Land" zur Inanspruchnahme von Behandlungsmaßnahmen in Kauf zu nehmen. Die Prämissen tatsächlicher Art, die die Beschwerdebegründung zur Auslastung noch in Betracht kommender kieferorthopädischer Praxen enthält, decken sich im Übrigen nicht mit den für den Senat maßgeblichen Feststellungen des LSG. Da die LSG-Feststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden, wäre der Senat im Rahmen einer revisionsrechtlichen Prüfung an die vom LSG festgestellten tatsächlichen Verhältnisse zur Zumutbarkeit rechtzeitig aufgezeigter Behandlungsalternativen gebunden (vgl § 163 SGG), ohne dass es insoweit noch auf Erwägungen genereller Art ankäme.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen