Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 18.07.1997; Aktenzeichen L 9 Vs 77/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Juli 1997 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Streitig ist, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „Bl” vorliegen.

Bei der 1953 geborenen Klägerin ist als Behinderung eine „angeborene Fehlbildung der Augen mit hochgradiger Sehschwäche mit einem GdB von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen „G”, „RF”, „B” und „H” anerkannt. Die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens „Bl” lehnte der Beklagte jedoch ab. Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision nicht zugelassen.

Die Beschwerde, mit der die Klägerin als Zulassungsgrund ausschließlich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), ist unzulässig, denn in der Beschwerdebegründung hat sie diesen Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muß der Beschwerdeführer wenigstens eine Rechtsfrage aufwerfen, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder -Fortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es muß daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angegeben werden, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb ihre Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ in ständiger Rechtsprechung, zB SozR 1500 § 160a Nrn 31, 39, 59, 65; SozR 3-4100 § 111 Nr 1; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7 sowie Beschluß des Senats vom 3. September 1997 – 9 BVg 3/97 – und Beschluß des 7. Senats vom 30. März 1994 – 7 BAr 144/93 – beide unveröffentlicht). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt. Die Klägerin hat – sinngemäß – die Frage aufgeworfen, ob Blindheit iS des Gesetzes ausschließlich nach objektiven Kriterien festzustellen ist oder ob auch subjektive Kriterien, wie bei der sog Orientierungsblindheit, einzubeziehen sind, es deshalb einer Klarstellung bedarf, daß die in Nr 23 Abs 3 Anhaltspunkte (AHP) 1996 vorgenommene Aufzählung nicht abschließend ist. Die Klägerin hat weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit dieser Frage dargelegt. Geklärt ist in der Rechtsprechung nämlich, daß den AHP zwar keine Normenqualität zukommt, sondern sie nur antizipierte Sachverständigengutachten sind, die sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich als ein geschlossenes Beurteilsgefüge zum GdB und zur MdE auswirken. Ihre Rechtskontrolle durch die Gerichte beschränkt sich auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht und Fragen der Gleichbehandlung (vgl BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 6, § 3 Nr 5 sowie ebenda BVerfG § 3 Nr 6). Unter Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung hätte die Klägerin darlegen müssen, daß trotz der Streichung des § 24 Abs 2 (Orientierungsblindheit) Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫ durch das 2. Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14. August 1969 (BGBl I 1153) und, nachdem § 24 BSHG vollständig aufgehoben und statt dessen § 76 Abs 2a Nr 3 BSHG durch Art 7 des Gesetzes vom 23. Juni 1993 (BGBl I 944) eingefügt worden ist, in den AHP 1996 ohne Verstoß gegen das eben genannte höherrangige Recht die Orientierungsblindheit dennoch hätte aufgenommen werden müssen. Daran fehlt es. Vor allem fehlt es aber an Ausführungen dazu, warum der Rechtsstreit über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat und die aufgeworfene Rechtsfrage im Revisionsverfahren entschieden werden könnte, denn die Feststellungen des LSG, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der Nr 23 Abs 3 AHP 1996 nicht vorliegen, hat die Klägerin nicht angegriffen. Bei dieser Sachlage hätte sie darlegen müssen, daß die AHP 1996, obwohl sie nur antizipiertes Sachverständigenwissen wiedergeben, dennoch vom BSG ausgelegt werden können und daß das Ergebnis einer Auslegung die Auffassung der Klägerin stützt, weil die AHP medizinisch nach den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft insoweit unzutreffend sind. Denn allenfalls dann käme eine Gleichbehandlung der Klägerin mit den vom Gesetz geregelten, von den AHP 1996 aufgegriffenen Fällen der Blindheit in Frage. Daran fehlt es indes ebenfalls.

Da die Begründung der Beschwerde mithin den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, ist sie in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174772

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