Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 18.10.2018 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 anstelle eines Zugangsfaktors von 0,892 wegen vorzeitiger Inanspruchnahme dieser Rente verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin misst folgender Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung bei:
"Ist die Regelung des § 77 Abs. 2 SGB VI im Hinblick auf die versicherungsmathematischen Abschläge (Erniedrigung des Zugangsfaktors) durch das zum 01.07.2014 in Kraft getretene RV-Leistungsverbesserungsgesetz wegen Verstoßes gegen Art. 14 GG und Art. 3 GG verfassungswidrig geworden?"
Sie hat allerdings deren Klärungsbedürftigkeit nicht schlüssig dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Die Beschwerdebegründung geht insbesondere nicht auf die Entscheidung des BVerfG vom 11.11.2008 (1 BvL 3-7/05 - BVerfGE 122, 151 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16, nachfolgend zitiert nach Juris) zur Verfassungsmäßigkeit der Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit ein.
1. Nach dieser Entscheidung sind die Regelungen über Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente mit Art 14 Abs 1 GG vereinbar. Nach der Gesetzesbegründung hätten die infolge eines vorgezogenen Rentenbeginns eingetretenen längeren Rentenlaufzeiten durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden sollen, damit aus einem vorzeitigen Rentenbezug keine finanziellen Vorteile im Vergleich zu anderen Versicherten entstünden. Die Einführung des Zugangsfaktors habe dem Ziel der Kostenneutralität vorgezogener Rentenleistungen gedient. Mit dieser Regelung habe letztlich nur der aus dem vorzeitigen Bezug der Rente entstandene Vorteil ausgeglichen werden sollen (BVerfG Beschluss vom 11.11.2008, aaO, Juris RdNr 81). Die hiermit beabsichtigte Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung stelle eine für die Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art 14 Abs 1 S 2 GG anerkannte Zielsetzung im öffentlichen Interesse dar. Das BVerfG habe das gesetzgeberische Ziel einer Verbesserung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre als hinreichenden Grund für Eingriffe in von Art 14 Abs 1 GG geschützte Anwartschaften gewertet (BVerfG Beschluss vom 11.11.2008, aaO, Juris RdNr 82).
Zwar weist die Klägerin sinngemäß darauf hin, dass diese Entscheidung zu einem Zeitpunkt ergangen ist, als das zum 1.7.2014 in Kraft getretene Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.6.2014 (BGBl I 787) noch nicht existent war. Die Entscheidung enthält aber Ausführungen zu der von der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Problematik. So verweist das BVerfG in dem genannten Beschluss auf eine mit der Einführung des Zusatzfaktors beabsichtigte "Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung". Warum dies mit einer "finanziellen Notlage der gesetzlichen Rentenversicherung" gleichbedeutend sein soll, legt die Klägerin nicht dar. Zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Entscheidung hätte umso mehr Anlass bestanden, als das LSG sich auf diese gestützt hat.
Die Klägerin beruft sich allein auf den Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 (1 BvR 3588/08, 555/09 - BVerfGE 128, 138 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9), nach dem die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung mit dem GG vereinbar ist, auch wenn der Rentenbezug vor der Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. Warum diese "Entscheidung … genauso im Hinblick auf die Altersrenten (gilt) und … in ihrer Rechtfertigung wortlautidentisch komplett zu übertragen" ist, zeigt die Klägerin ebenfalls nicht auf. Dies wäre jedoch schon deshalb geboten gewesen, weil sich das BVerfG in der Entscheidung vom 11.11.2008 (aaO) gerade mit der Verfassungsgemäßheit von Abschlägen bei der vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrenten beschäftigt hat.
2.a) Ebenso wenig setzt sich die Klägerin mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 3 Abs 1 GG auseinander. Nach dem Verständnis des Senats sieht die Beschwerdebegründung eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes insbesondere darin, dass der Gesetzgeber mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz eine abschlagsfreie vorzeitige Rente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b SGB VI idF vom 23.6.2014) und die sog "Mütterrente" (§ 249 Abs 1, § 307d SGB VI idF vom 23.6.2014) eingeführt hat, ohne die Abschläge für eine vorzeitige Inanspruchnahme von Altersrenten nach § 77 Abs 2 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI abzuschaffen.
Nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.11.2008 (aaO) ist die Begünstigung von Versicherten mit 45 Pflichtbeitragsjahren beim Bezug einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz sei vom BVerfG nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten habe (vgl aaO, Juris RdNr 62). Es liege in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, bei Erfüllung von 45 Pflichtbeitragsjahren die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit früher beginnen zu lassen mit der Folge, dass es zu keiner oder einer geringeren Kürzung der Rente durch Abschläge nach dem Zugangsfaktor komme. Die Privilegierung von Versicherten mit 45 Pflichtbeitragsjahren sei durch die dauerhafte und berechenbare Beitragsleistung jener Versicherten zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt (vgl aaO, Juris RdNr 70).
Dass sich aus diesen rechtlichen Erwägungen keine Anhaltspunkte für die Frage ableiten lassen, ob auch besonders langjährig Versicherte iS von § 236b SGB VI privilegiert werden dürfen, die eine Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben müssen, um eine Altersrente mit 63 Jahren vorzeitig ohne Abschläge in Anspruch nehmen zu können, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Ebenso wenig zeigt sie die Voraussetzungen für eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG auf. Insbesondere fehlt ein Vortrag dazu, dass es sich bei denjenigen Versicherten, die infolge der Aufwertung der Kindererziehungsleistung für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder begünstigt worden sind, um Personengruppen handelt, die im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG mit der Personengruppe der Klägerin vergleichbar sind. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen erhält, die die Vorteile eines früheren Ruhestandes, einer längeren Rentenlaufzeit und der Ersparnis weiterer Beitragsleistungen ausgleichen (vgl BVerfG Beschluss vom 11.11.2008, aaO, Juris RdNr 88, 97). Nur im Fall einer Vergleichbarkeit käme aber eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG in Betracht (stRspr, vgl nur BVerfG Beschluss vom 11.11.2008, aaO, Juris RdNr 62 mwN).
b) Die Klägerin macht ferner eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG im Hinblick auf die Gruppe von Personen geltend, die bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 1.7.2014 eine vorzeitige gekürzte Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres beziehen, obwohl sie ebenfalls 45 Pflichtbeitragsjahre zurückgelegt haben. Insoweit setzt sich die Klägerin nicht mit den Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 11.11.2008 (aaO, Juris RdNr 73 mwN) zu Stichtagsregelungen auseinander. Zudem zeigt sie nicht auf, dieser Personengruppe anzugehören und damit auch im hiesigen Zusammenhang in einer eigenen Rechtsposition betroffen zu sein.
Soweit die Klägerin des Weiteren eine Ungleichbehandlung darin sieht, dass die durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz verursachten finanziellen Mehrbelastungen der Rentenversicherung durch die Kürzung der Rentenanwartschaften der Bestandsrentner finanziert würden, geht sie nicht darauf ein, dass die Renten aus den laufenden Einnahmen der Rentenversicherungsträger, dh insbesondere aus den Beitragsleistungen der Erwerbstätigen und den aus Steuermitteln finanzierten Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung, gezahlt werden (vgl dazu zB BVerfGE 76, 256, 301, 302 f). In diesem Zusammenhang ist auch auf die in der Beschwerdebegründung nicht berücksichtigte ständige Rechtsprechung des BVerfG zu verweisen, wonach dem Gesetzgeber nicht vorgegeben werden kann, in welchen Bereichen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung Einsparungen erzielt werden sollen (vgl zB BVerfGE 116, 96, 127; 117, 272, 298; BVerfG Beschluss vom 11.11.2008, aaO, Juris RdNr 84).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13144473 |