Verfahrensgang
SG Dresden (Entscheidung vom 27.07.2020; Aktenzeichen S 35 R 117/18) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 19.01.2022; Aktenzeichen L 10 R 537/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1970 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die Beklagte lehnte ihren erneuten Rentenantrag vom 4.7.2017 ab (Bescheid vom 22.9.2017; Widerspruchsbescheid vom 17.1.2018). Das SG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen, nachdem es ein Gutachten vom 26.4.2019 beim Internisten G und ein Gutachten vom 3.10.2019 beim Psychiater und Psychotherapeuten F eingeholt hatte; eine vom SG zudem beabsichtigte Begutachtung auf orthopädischem Fachgebiet war von der Klägerin abgelehnt worden (Gerichtsbescheid vom 27.7.2020). Das LSG hat im dagegen von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren weitere Befundberichte eingeholt sowie ein Gutachten nach Aktenlage vom 22.9.2021 beim Internisten D. Die Berufung hat es mit Urteil vom 19.1.2022 zurückgewiesen. Aus den eingeholten Berichten und Sachverständigengutachten ergebe sich, dass die Klägerin in der Lage sei, unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich erwerbstätig zu sein. Es bestünden auch keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Klägerin mit dem verbliebenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 27.4.2022 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Die geltend gemachten Verfahrensmängel werden nicht anforderungsgerecht bezeichnet (§ 160 Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 27.4.2022 nicht gerecht.
a) Die bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG), indem das LSG ihren Terminverlegungsantrag abgelehnt habe. Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sowie zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet dies auch unter Beachtung des allgemeinen Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (vgl BSG Urteil vom 10.8.1995 - 11 RAr 51/95 - SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr 11; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 5 R 131/18 B - juris RdNr 5 mwN). Die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten kann ein erheblicher Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG sein (vgl Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 110 RdNr 5 mwN); die Verhinderung eines vertretenen Beteiligten nur, wenn seine persönliche Anwesenheit im Termin unerlässlich ist (vgl BSG Beschluss vom 25.6.2021 - B 13 R 163/20 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 6.1.2022 - B 5 LW 1/21 B - juris RdNr 20). Dass die Klägerin gegenüber dem LSG einen solchermaßen erheblichen Grund in der gebotenen Weise geltend gemacht habe, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan.
Die Klägerin bringt vor, der Termin am 19.1.2022 habe weder von ihr noch von ihrem Bevollmächtigten wahrgenommen werden können. Hierzu seien dem LSG "Gesundheitsaspekte" geschildert worden. Im Einzelnen trägt die Klägerin vor, ihr Bevollmächtigter habe zunächst um Durchführung einer Videoverhandlung gebeten mit der Begründung, er könne am Verhandlungstag nicht mit dem Auto anreisen, weil er seinen Führerschein vorübergehend habe abgeben müssen. Die Anfrage sei vom LSG negativ beschieden worden. Nachdem ihr Bevollmächtigter sich einen Fahrer habe organisieren können, habe ihn eine schwere Erkältung ereilt, die er bereits wenige Tage zuvor nach Erhalt einer Boosterimpfung gegen Covid-19 gehabt habe. Das LSG habe ihm jedoch keinen Glauben geschenkt und auch seiner Mitteilung, als möglicherweise an Covid-19 erkrankte Person keine Arztpraxis aufsuchen zu können, keine Bedeutung beigemessen. Diesem Vorbringen lässt sich schon nicht mit ausreichender Klarheit die Stellung eines ordnungsgemäßen Verlegungsantrags entnehmen. Es wird nicht hinreichend deutlich, wann genau und in welcher Form die Terminverlegung beantragt worden sein soll. Ebenso wenig vermag der Senat dem Vorbringen mit der gebotenen Deutlichkeit zu entnehmen, ob der Bevollmächtigte der Klägerin seine Verhinderung mit einer (möglichen) Impfreaktion oder dem Verdacht auf eine Covid-19-Infektion begründet haben will. In Bezug auf die Verhinderung der Klägerin ist nicht im erforderlichen Umfang dargetan, dass gegenüber dem LSG die Unerlässlichkeit ihrer persönlichen Anwesenheit im Termin geltend gemacht worden ist. Das allgemeine Vorbringen, der Klägerin sei etwaiger weiterer Vortrag verwehrt worden, genügt insoweit nicht.
Ungeachtet all dessen zeigt die Beschwerde nicht hinreichend auf, dass die Klägerin alles Zumutbare getan habe, um sich mit den geltend gemachten Verhinderungsgründen gegenüber dem LSG Gehör zu verschaffen. Einen Verstoß gegen Art 103 Abs 1 GG kann nicht geltend machen, wer es selbst versäumt hat, sich vor Gericht durch die zumutbare Ausschöpfung der vom einschlägigen Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (stRspr; vgl BVerfG ≪Kammer≫ Nichtannahmebeschluss vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - BVerfGK 17, 479 - RdNr 28 mwN; BSG Beschluss vom 8.12.2020 - B 1 KR 58/19 B - juris RdNr 16). Die Darlegung des Verfahrensmangels einer Gehörsverletzung aufgrund zu Unrecht verweigerter Terminverlegung erfordert deshalb auch Ausführungen dazu, dass der Beteiligte alle ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um eine Verschiebung des Termins zu erreichen (vgl BSG Beschluss vom 7.8.2015 - B 13 R 172/15 B - juris RdNr 7). Darzulegen ist ua, dass der Terminverlegungsantrag hinreichend substantiiert geltend gemacht und - soweit dies vom Gericht verlangt worden ist (§ 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 Abs 1 Satz 1 SGG) - auch glaubhaft gemacht worden ist (vgl zB BSG Beschluss vom 18.4.2019 - B 5 R 342/18 B - juris RdNr 9 mwN). Dem Beschwerdevorbringen in seiner Gesamtheit lässt sich entnehmen, dass das LSG eine Glaubhaftmachung der krankheitsbedingten Verhinderungen verlangt hat. Die Klägerin zeigt nicht auf, dieser Aufforderung nachgekommen zu sein. Indem sie in Zweifel zieht, ob ein Rechtsanwalt zu einer solchen Glaubhaftmachung gehalten sei, räumt sie vielmehr sinngemäß eine unterbliebene Glaubhaftmachung jedenfalls in Bezug auf seine Verhinderung ein. Die Beschwerde setzt sich auch nicht mit den Ausführungen des LSG im Beschluss vom 19.1.2022 auseinander, wonach der Terminverlegungsantrag abgelehnt werde, weil weder der behauptete Krankenhausaufenthalt der Klägerin noch der behauptete Schüttelfrost nach Boosterimpfung ihres Bevollmächtigten glaubhaft gemacht worden sei; es bestünden Zweifel, ob beim Bevollmächtigten eine zur Reise- und Verhandlungsunfähigkeit führende Erkrankung vorliege, der sich dahingehend erst eingelassen habe, nachdem er sich zwei Tage vor dem Verhandlungstermin nach der Möglichkeit einer Videoverhandlung erkundigt habe und darauf hingewiesen worden sei, dass sich dies so kurzfristig nicht mehr organisieren lasse; der Bevollmächtigte habe nicht einmal glaubhaft gemacht, dass und wann er eine Boosterimpfung erhalten habe.
Die Klägerin zeigt auch nicht auf, dass eine Glaubhaftmachung der Erkrankung des Bevollmächtigten nicht zumutbar gewesen sein könnte, indem sie pauschal vorbringt, der Hausarzt des Bevollmächtigten hätte wegen des bestehenden Verdachts einer Covid-19-Infektion eine Untersuchung in der Arztpraxis nicht zugelassen. Die Beschwerde erläutert nicht, warum keine anderen zumutbaren Mittel zur Glaubhaftmachung gefunden werden konnten, zumal im Januar 2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und damit möglicherweise auch eine ärztliche Bescheinigung der Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit ohne persönlichen Arztkontakt erlangt werden konnte.
b) Die Klägerin wendet sich gegen die Beweiswürdigung des LSG, indem sie vorbringt, dieses habe nicht nur zu Unrecht eine zeitliche Leistungseinschränkung - tatsächlich könne sie maximal zwei Stunden täglich eine Arbeit verrichten -, sondern auch unter fehlerhafter "rechtlicher" Würdigung der Sachverständigengutachten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen verneint. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch von vornherein nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ausführt, das LSG habe keine leidensgerechte Tätigkeit benannt und eine solche sei auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt auch nicht vorstellbar, macht sie die inhaltliche Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung geltend. Auch damit lässt sich eine Revisionszulassung nicht erreichen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN).
Mit dem Vorbringen, wenn ein Sachverständiger bestimmte Krankheitszeichen als Charaktereigenschaft werte, löse dies eine Befangenheit aus, wendet die Klägerin sich bei verständiger Würdigung gegen das Gutachten des Sachverständigen F. Falls die Klägerin damit rügen will, dass das LSG diesem Sachverständigen gefolgt sei, würde sie wiederum eine im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht rügefähige Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend machen. Wenn die Klägerin mit ihrem Vorbringen einen Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen F verbinden will, müsste dieser gegenüber dem LSG angebracht werden und wäre jedenfalls verspätet. Nach § 118 Abs 1 SGG iVm § 406 Abs 1 und 2 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden; der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Sollte die Klägerin eine Sachaufklärungsrüge erheben wollen mit dem Vorbringen, es hätte mit Blick auf ihre psychische Erkrankung einer "sehr sorgsamen weiteren Begutachtung" bedurft, wären auch deren Darlegungsanforderungen nicht erfüllt (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Die Beschwerde bezeichnet schon keinen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss des Berufungsverfahrens aufrechterhaltenen Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist. Zudem fehlte es an einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des LSG im Berufungsurteil, wonach der Sachverständige F zu der nachvollziehbaren und überzeugenden Einschätzung gelangt sei, die Klägerin sei trotz der vorliegenden Gesundheitsstörungen - auf psychiatrischem Fachgebiet eine kombinierte dissoziative Störung sowie eine rezidivierende depressive Störung mit zum Zeitpunkt der Begutachtung mittelgradiger depressiver Episode - zu vollschichtiger Tätigkeit in der Lage und es lägen keine Befunde vor, die eine abweichende Einschätzung zulassen würden.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15274471 |