Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflicht von arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen. Verfassungsmäßigkeit. Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung. Verletzung. allgemeiner Gleichheitssatz
Orientierungssatz
1. Die Einbeziehung sogenannter arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger in die Rentenversicherungspflicht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BSG vom 10.5.2006 - B 12 RA 2/05 R = SozR 4-2600 § 2 Nr 8).
2. Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde ist bzgl der Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darzulegen, worin die für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale gesehen werden und der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat.
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 17.1.2008 - 1 BvR 2964/07).
Normenkette
SGB 6 § 2 S. 1 Nr. 9; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; SGG § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 30.05.2007; Aktenzeichen L 2 R 414/06) |
SG Hannover (Urteil vom 21.09.2006; Aktenzeichen S 1 RA 634/02) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten ua um die Versicherungspflicht der Klägerin als sog arbeitnehmerähnliche Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte ua die Rentenversicherungspflicht der Klägerin nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI fest. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Mit ihrer Beschwerde wendet sie sich gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) vom 30.5.2007.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 30.5.2007 ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
1. Die Klägerin beruft sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) . Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7) . Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zu Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31) . - Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hält die Rechtssache zunächst deshalb für grundsätzlich bedeutsam, "da die Vorschrift des § 2 Nr. 9 SGB VI gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und damit verfassungswidrig ist". Sie vergleicht rentenversicherungspflichtige Selbstständige mit rentenversicherungspflichtigen Nichtselbstständigen und stellt insoweit eine "erhebliche steuerliche Ungleichbehandlung" fest, die von § 2 SGB VI ausgehe. Ferner legt sie dar, dass alle selbstständig Tätigen gleich zu behandeln seien und eine Differenzierung nach den in § 2 Satz 1 Nr 9 Buchst a und b SGB VI geregelten "Anknüpfungspunkten" nicht sachgerecht sei.
Es kann unerörtert bleiben, ob die Klägerin damit eine oder mehrere konkrete Rechtsfragen bezeichnet hat, über die in einem Revisionsverfahren zu entscheiden wäre. Jedenfalls hat sie die Klärungsbedürftigkeit solcher Fragen nicht dargelegt. Der Senat hat ua in dem - vom LSG auch zitierten - Urteil vom 10.5.2006 (B 12 RA 2/05 R, SozR 4-2600 § 2 Nr 8) zu § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - im Hinblick auf Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG - umfassend Stellung genommen und die Einbeziehung sog arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger in die Rentenversicherungspflicht verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Die Klägerin hat dieses zwar zur Kenntnis genommen ("Zwar hat der 12. Senat bereits zur Verfassungsmäßigkeit des § 2 Nr. 9 SGB VI ... Stellung genommen ..."), sich mit der Rechtsprechung des Senats jedoch an keiner Stelle ihrer Beschwerdebegründung auseinandergesetzt, sondern ohne Befassung hiermit (einfach) "abweichend von der Rechtsprechung des 12. Senats des BSG" die Verfassungswidrigkeit des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI angenommen. Die Klägerin hat ihrer Darlegungspflicht auch deshalb nicht genügt, weil sie sich mit den Maßstäben der von ihr herangezogenen Prüfungsnorm des Art 3 Abs 1 GG nicht beschäftigt hat. Will er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus der Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes herleiten, so muss der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, worin er die für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale erblickt und dass der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat. Hieran fehlt es.
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Die Klägerin hat überdies die Frage formuliert, |
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"welche Grenze für die Wesentlichkeit i.S.d. § 2 Nr. 9 SGB VI zugrunde zu legen ist". |
Der Senat kann offenlassen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage gestellt hat, die für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist, oder (nur) eine abstrakte Frage benannt hat, über die das Revisionsgericht sachlich nicht entscheiden kann. Denn sie hat es auch hier unterlassen, die Klärungsbedürftigkeit der Frage darzutun. Nicht jede Bezeichnung einer Rechtsfrage als zweifelhaft und höchstrichterlich bisher nicht entschieden rechtfertigt es, die Grundsatzrevision zuzulassen. Insbesondere reicht - wie hier - ein Vorbringen nicht aus, wonach Klärungsbedürftigkeit allein deshalb bestehe, weil höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht vorliege. Der Beschwerdeführer hat auch in einem solchen Fall im Einzelnen - unter Hinweis auf den Zweck der Vorschrift, die Entstehungsgeschichte und den Gesamtzusammenhang, in den die Norm gestellt ist - darzulegen, warum die Rechtsfrage umstritten und im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist. Insoweit hätte sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung im Blick auf die Auslegung des "Wesentlichkeitsbegriffs" näher damit befassen müssen, welche Gründe für den vom Berufungsgericht angenommenen "Grenzwert von 5/6" sprechen und welche Erwägungen dessen Heranziehung in der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung zugrunde liegen. Sie hätte sich dabei vor allem mit der Entstehungsgeschichte des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI auseinandersetzen, dessen Zusammenhang mit § 7 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB IV in dessen ab 1.1.1999 geltender Fassung beleuchten und auf vergleichbare "Wertungen" im Sozialrecht, beispielsweise auf § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV in seiner bis zum 31.3.1999 geltenden Fassung eingehen müssen. Auf den Vortrag, für die "Festlegung der Wesentlichkeitsgrenze auf 5/6" sei eine Begründung nicht gegeben worden, hätte sich die Klägerin jedenfalls nicht beschränken dürfen.
2. Die Klägerin beruft sich des Weiteren darauf, dass das anzufechtende Urteil auf "Verfahrensmängeln" beruhe, weil das LSG das Tatbestandsmerkmal "auf Dauer" iS des § 2 Satz 1 Nr 9 Buchst b SGB VI nicht geprüft und diese Bestimmung deshalb fehlerhaft angewandt und - weiter - ein zur Anwendung des § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG führendes Verhalten "völlig unhaltbar" und "schlicht falsch" unterstellt und ihr deshalb "rechtsfehlerhaft" Kosten auferlegt habe. Der Sache nach setzt sich die Klägerin mit diesem Vorbringen allein mit der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz, der Anwendung und Auslegung des § 2 Satz 1 Nr 9 Buchst b SGB VI und der Überzeugungsbildung bzw Ermessensausübung des LSG im Rahmen des § 192 SGG auseinander. Die Klägerin verkennt dabei, dass eine inhaltliche Überprüfung des Berufungsurteils im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen ist und erst nach zulässiger Einlegung der statthaften Revision durch das BSG als Revisionsgericht erfolgen kann.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen